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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Nun, gnädige Frau,“ sagte ich heiter; „ich bin ja mit dem Leben davongekommen. Aber, nicht wahr, jetzt kein Wort mehr von so leidigen Dingen, und zur Belohnung für meinen schwatzhaften Gehorsam das, was Sie mir vorhin sagen wollten, wenn ich Ihnen zuvor die Gedichte recitirt hätte. Das, wovon der Herzog meint, ich könne es werden, anstatt eines Schauspielers, und das etwas zehnmal Besseres sei, als Schauspieler.“

Sie sah mir voll mit den lieben, schönen Augen ins Gesicht und erwiderte mit köstlichem Lächeln:

„Es ist dasselbe, was ich Ihnen bereits selbst gesagt habe.“

„Ich bitte um Verzeihung – ich erinnere mich nicht: was war es?“

„Daß Sie ein Dichter werden müssen; vielmehr: daß Sie es schon sind.“

„Und das sagt der Herzog?“ rief ich mit freudigem Schrecken.

„Nicht einmal, zehnmal hat er es gesagt, gestern Abend. ,Laßt den nur erst die Welt kennen,‘ rief er einmal über das andere; ,der wird euch noch ganz andere Dinge zu Stande bringen, als seine Sonette auf‘ – nun, Sie wissen ja, daß er den Namen nicht gern über die Lippen bringt. Und der Herzog versteht sich darauf, glauben Sie mir. Er ist selbst Dichter, und sein großer Kummer ist, daß er sich nicht ganz der Poesie widmen darf. Er meint, Herzog und Dichter könne man nicht in einer Person sein, wenigstens nicht vor der Welt. Er mag ja wohl Recht haben. So dichtet er nur in seinen Mußestunden und läßt keinen Menschen etwas davon sehen, außer daß er dann und wann mir ein paar Verse bringt. Ich habe ihn so oft gebeten, er solle die Blätter, die überall herumfahren, sammeln und, wenn auch nur für den nächsten Kreis, drucken lassen. Und er will es jetzt auch, und Sie sollen ihm dabei helfen.“

„Ja so!“ sagte ich in etwas gedehntem Tone.

„Gar nicht ,ja so!‘“ rief die schöne Frau. „Gar nicht, als ob er Sie deßhalb kommen lassen! sich deßhalb nur für Sie interessire, damit er Jemand habe, der ihm dabei helfen kann! Das ist ihm gestern Abend erst eingefallen, oder vielmehr mir. Sie verkennen ihn vollständig und die guten Absichten, die er mit Ihnen hat: wie er Ihr Talent fördern will und Sie in eine Lage bringen, daß Sie jede gute Stunde ohne alle Sorge Ihrer Poesie widmen können. Und wie er Ihnen viele, viele solcher guten Stunden und Tage bereiten will an seiner Seite, in seiner Nähe, so daß Sie doch völlig Freiheit hätten, zu kommen und zu gehen, die Welt zu sehen auf Reisen mit ihm oder allein – mein Gott, das findet sich ja Alles, das macht sich ja hernach Alles ganz von selbst. Nein, nein! Sie hatten kein Recht zu Ihrem ,Ja so!‘ und ich bin Ihnen deßhalb bös, ernstlich bös. Wenn Sie wüßten –“

Das Spiel mit den Ringen war wieder in vollem Gange, aber diesmal war der Ausdruck des Gesichtes nicht der des erschrocken-verlegenen Kindes – es lag ein wirklicher Schmerz auf den sonst so lachenden Zügen, und aus den gesenkten Wimpern tropften ein paar Thränen auf die funkelnden Ringe. Ich hatte nur eine Regung: der schönen Frau zu Füßen zu stürzen und sie um Verzeihung anzuflehen. Es war mir ja nur herausgefahren, das leidige: Ja so! – das unschickliche, ungeschickte Wort, bei dem ich mir gar nichts Rechtes gedacht hatte, da meine Gedanken bei etwas ganz Anderem waren, das ich ihr hatte sagen wollen und jetzt sagen mußte, sollte ich nun nicht auch in Thränen ausbrechen, die mir bereits die Augen heiß machten. Aber hier galt es, mich – mein eigen Selbst zu schützen; das in mir zu wahren, wofür zu leben mich einzig des Lebens werth dünkte.

Und so sagte ich denn, mit Mühe mein Schluchzen unterdrückend:

„Stoßen Sie mich von sich, und der gütige Herzog! Ich weiß, Sie werden, er wird es thun, wenn ich es sage; aber es ist besser so. Besser, in mein altes Elend zurück, als in Herrlichkeit und Freuden leben um diesen Preis! Ich kann nicht von der Gnade Anderer leben. Ich habe schon die Abhängigkeit von meiner Mutter schmerzlich empfunden; aber es war doch meine Mutter, wenn sie mich auch nicht liebte. Und es war kein Wohlleben und kein Reichthum, was sie mir bot. Als sie mir das bot, durch den Priester bieten ließ, habe ich Nein gesagt, und als sie ihre Hand von mir gezogen und ich im die Abhängigkeit von Fremden fiel, trotzdem es gute Menschen waren und mir es gern gegeben hätten, habe ich es wieder nicht angeommen und bin davongegangen und dem Weißfisch gefolgt, weil er mir einredete, ich werde das Alles wieder bezahlen müssen und auch können, wenn ich erst ein tüchtiger Schauspieler geworden sei. Nun soll ich das nicht werden, sondern, ich weiß nicht was, und von der Gnade des Herzogs leben, ohne daß ich ihm irgend Etwas dafür zu bieten vermöchte. Und was ich ihm etwa bieten könnte – er ist gewiß sehr klug und hat so große, freie Ideen, aber er ist doch immer ein Fürst, was ich gestern Abend gar nicht empfunden habe. Heute Morgen war das schon anders und wird, fürchte ich, noch ganz anders kommen. Und in meinem ,Münzer‘ – ich schreibe nämlich an einem ,Thomas Münzer, Trauerspiel in fünf Akten‘ – da spielen die Fürsten eine böse, eine fürchterliche Rolle – es tritt freilich auch ein guter und milder auf, denn man muß gerecht sein, auch gegen seine Feinde –“

Ein lustiges Lachen ließ mich jäh abbrechen – und als ich aus den Baumwipfeln, in denen meine Blicke geschwärmt hatten, nieder- und seitwärts schaute, sah ich die schöne Lacherin, die sich ihr Spitzentaschentuch vor den Mund drückte. Jetzt war die Reihe, erzürnt zu sein, an mir, und ich war erzürnt. Ich hatte ihr mein Innerstes offenbaren wollen, meine heiligsten Ueberzeugungen, und sie lachte, daß ihr wieder Thränen in die Augen kamen. Schweigend erhob ich mich von meinem Sitze.

Sie stand in demselben Moment auf den Füßen, hatte meine beiden Hände ergriffen und rief: „Sie Tollkopf, Sie Wilder, Sie – wollen Sie wohl bleiben! wollen Sie sich wohl gleich wieder hinsetzen! Wenn die Leute immer fortlaufen wollten, wenn ich lache – Und da soll Einer nicht lachen, wenn Sie so feierlich Ihr Recht vertheidigen, in Ihrem ,Thomas Münzer‘ böse Dinge über die Fürsten sagen zu dürfen, und der Herzog selbst sich mit einem ,Thomas Münzer, Trauerspiel in fünf Akten‘, trägt! Schon seit Jahren. Ich wüßte gar nicht, wer der Mann gewesen ist, wenn er es mir nicht gesagt hätte, und daß der Mann viel hochsinniger und großherziger als Luther gewesen und nur das Unglück gehabt habe, drei oder vier Jahrhunderte zu früh geboren zu sein. Und das Andere, das von der Gnade, für die Sie nichts zu bieten hätten, oder wie Sie sich ausdrückten! Ist denn das nichts, wenn Sie Jemand, der sich so tief unglücklich fühlt, wie er hoch im Leben steht und nicht zum Wenigsten deßhalb, weil er so hoch steht und nicht sein darf wie andere Menschen, und keine wahren Freunde hat, die er lieben darf und die ihn wieder lieben – wenn Sie dem das Leben verschönen, und wäre es nur durch Ihre Gegenwart, nur dadurch, daß Sie um ihn sind, ein Mensch, dem er sein Herz öffnen darf? Und der in ihm nicht immer, wie die Anderen, den Herrn sieht, sondern einen Freund, einen väterlichen Freund natürlich, da er so viel älter ist, wenn sein Herz auch jung geblieben, wie das des jüngsten Mannes?“

Sie hatte sich so in Eifer hineingesprochen, und der Eifer stand ihr so schön, schöner fast als ihre goldige Lustigkeit. Ihre Wangen brannten, die braunen Augen leuchteten und, wie sie jetzt schwieg, bebten die vollen Lippen, wie eine Saite nachvibrirt, nachdem der Ton bereits verklungen. Mir aber, während meine Blicke starr auf sie gerichtet blieben, zitterte das Herz. Ich hätte weinen mögen und hätte jauchzen und lachen mögen und ihr sagen: Was redest Du denn, Du schönes Weib? Weißt Du denn nicht, daß Du von mir fordern könntest, was Du wolltest? Daß ich für Dich durchs Feuer gehen und Deinen Vater, und wenn’s der Teufel wäre, lieben würde um Deinethalben?

Ich weiß nicht, was ich gesagt oder gethan hätte, wäre nicht auf dem Kieswege zwischen den Bosketts ein rascher Schritt erklungen und alsbald auch Herr von Renten sichtbar geworden, der stehen geblieben war, das Köpfchen nach allen Seiten drehend, und nun, uns erblickend, schon von Weitem mit der Hand winkend, eilig auf uns zukam. Ich wollte mich erheben und fühlte die Hand der schönen Frau auf der meinen.

„Was zwischen uns geredet, kein Wort. Sie versprechen es mir. Und wenn Sie über irgend Etwas in Zweifel sind, Sie kommen zuerst zu mir und sagen mir Alles – Alles! Gut, gut! ich weiß, Sie halten Wort. – Ah, Herr von Renten! Schon zurück?“

Der schöne Traum war aus; in Gegenwart der blauen Puppenaugen meines Mentors konnte man nicht träumen. Und doch hätte ich den kleinen Mann umarmen, ich hätte die ganze Welt umarmen mögen.

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_306.jpg&oldid=- (Version vom 29.2.2024)