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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

der Heidelberger Zeit dort hinkam – sein süddeutsches Wesen bedurfte der Heimatherde, um sich zu entfalten.

Freilich ging das bei seiner starken Eigenart, die manchmal mit der des alten Herrn heftig zusammenprallte, nicht ohne vielfache Kämpfe ab, trotz der guten Verhältnisse des Elternhauses. Des Vaters Ideal war, seinen Joseph dereinst als badischen Kreisgerichtsrath zu sehen, der Sohn hatte auch im Princip Nichts dagegen einzuwenden und machte sein Staatsexamen mit allen Ehren. Aber die darauf folgende Schreiberei in der Gerichtsstube sah den jungen Praktikanten immer unerfreulicher an, und er fühlte bald nur das Eine klar: daß er sein Leben nicht so zubringen könne. Alles Uebrige schien bedenklich zweifelhaft. Die Poesie als Lebensberuf zu wählen, wäre ihm nicht von ferne eingefallen. Die paar lustigen Kneiplieder, die er bis dahin geschrieben, schienen weder ihm noch den Freunden etwas Besonderes, eher dachte er noch daran, sein entschiedenes Talent für Landschaftsmalerei auszubilden, allein auch das schien unsicher. Als Karlsruher Haussohn war ihm ein gutes Stück bürgerlicher Korrektheit anerzogen, er gab also immer wieder den väterlichen Vorstellungen nach, und so vergingen unerquickliche Jahre zwischen 1847 bis 1851 mit juristischer Praxis und plötzlich verzweifeltem Desertiren daraus, zum großen Kummer des Alten, dem es durchaus nicht in den Kopf wollte, daß aus seinem Joseph „nichts Ordentliches“ werden sollte.

Joseph Viktor von Scheffel.
Nach einer Photographie von Schulz und Suck, Hofphotographen in Karlsruhe.

Seine damalige Stimmung schildern am besten die folgenden Auszüge aus einem Brief, den er am 18. December 1851 an den damals aus dem Orient heimkehrenden Julius Braun richtete, als Antwort auf ein langes Schreiben, das die Aufforderung enthielt, rasch zum gemeinsamen Aufenthalt nach Rom zu kommen.

„... Während wir in Altdeutschland herum sitzen und uns immer noch die Augen reiben, als hätten wir einen bösen Traum geträumt, hast Du Dir auf klassischem Boden die Sohlen abgelaufen, manchen scharfen Ritt durch die Wüste und die ausgebrannten Steinberge Kleinasiens gemacht und vom Steuer Deines Schiffes hinaus ins blaue Meer des griechischen Archipels geschaut, und nun ruhst Du im alten Rom und rekapitulirst hinter dem Vater Herodot, der vor grauen Jahren desselbigen Wegs gefahren, Deine Reisebilder.

Lieber Langer, wem das zu Theil geworden der darf wieder manchen schlechten Tabak in Deutschland rauchen, er hat immer noch ’was Erkleckliches voraus ... Ich hab im rauhen Schwarzwald oben in Säkkingen und auch zu Herrischried, wo ich im Ochsen und sonst mir manchen guten Freund erworben, gar oft meine Gedanken zu Dir fliegen lassen, und die schmutzigen Wände meiner Amtskanzlei kamen mir immer grün vor, und meine Hauensteiner wurden vom ‚jungen Ambtmâ‘ immer viel glimpflicher behandelt, wenn ich ein Wanderblatt aus italien oder aus dem Orient zu Gesicht bekommen hatte ...

... Langer! Dein gestriger Brief hat mir ins Herz geschnitten. Hättest Du vier Wochen früher geschrieben, so wäre jetzt mein Bündel geschnürt, und ich käme zu Dir über die Alpen, bräche in Rom bei Dir ein und sagte: Mensch, hauche mich an mit Deinem Odem, auf daß ich des Tintenschreibens erlöst werde. Am Neujahr wollt’ ich fort, da kam der Louis Napoleon mit seinem Staatsstreich, und wiewohl mich’s herzlich gefreut hat, daß der kleine Thiers auch einmal mit jenem keltischen Gesang: ‚Ha’ – ham’ – hammer Dich emol etc.‘ abgefaßt und nach Ham in Schatten gesetzt wurde, so schien mir die Landstraße doch zu kritisch, um jetzt darauf zu wandern. Von Dir hatt’ ich auch keine Nachricht, dachte, Du führst von Konstantinopel donanaufwärts heim.

Um ein paar Monate nützlich zu arbeiten, laß ich mich von Bruchsal ans Hofgericht verschreiben, und wie ich kaum ein paar Tage hier sitze, kommt Dein Brief. ‚Rathe, wo sind wir jetzt?‘[1] habe ich mich gefragt, den Brief in der Hand und die Gluth des Orients im Sinn. Auf meinem Sekretariat, wo die Gipfel des Zuchthauses zum Fenster hereinwinken und der alte Sekretär Sch ..., der bereits 50 Jahre im Amt ist und nur noch im Kanzleistil denkt und ein Gesicht hat wie ein Schellfisch und vor lauter Dekreten und Urtheilen die Liebe vergessen hat, so daß er sie jetzt – zu spät – nur seinem Hund Pfefferle zuwenden kann – und um mich herum seinen Tabak schnupft – da sind wir jetzt! Daß ich’s nicht lange aushalten werde, begreifst Du. Leer, unbefriedigt fahre ich schon lange in der Welt herum. In Karlsruhe bin ich oft stundenlang vor den Gipsabgüssen gestanden, am Donnerstag hab ich der Frau Venus von Melos meinen Besuch gemacht, am Samstag der kleinen Büste der Sappho oder der schleierduftigen Berliner Muse – ich muß mich an der plastischen Schönheit antiker Welt und südlicher Natur erlaben, sonst verbeißt sich alle Sehnsucht nach innen und ich bin im Stande und schreib meinen Hofgerichtsräthen einmal wahnsinnige Entscheidungsgründe zu einem weisen Urtheil. Schreib mir deßhalb, ob Du den Sommer noch in Rom bleibst. ... Ich wollte oft, ich hätte nie ein corpus juris gesehen und wäre in München Maler geworden. ...

Deutschland ist gegenwärtig ein Janusbild mit dem einen Kopf, der nach rückwärts schaut, der vordere hat den Schnupfen gehabt und ist vor allzustarkem Niesen abgefallen. ... Die Professoren katzbalgen sich, wie früher, die deutsche Bewegung fluktuirt jetzt im Kleinlichen, die theologische Fakultat ist wieder lebendig geworden, denn die Jesuiten waren im Lande und haben dem Herrn Allerhand gesagt, was sie bereits der Archäologie für verfallen hielten – und jetzt streiten sie wieder über die Unterscheidungslehren und es wimmelt mit Flugschriften wie vor dreihundert Jahren. Was sagst Du dazu?“

(Fortsetzung folgt.)
  1. Anspielung auf eine Stelle dieses Briefes.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_316.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2021)