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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

mochte ich denn meine zerstreuten Ja und Nein so ziemlich an den richtigen Stellen angebracht haben. Dabei hatte ich doch den Eindruck, daß der Herzog selbst zerstreut war und weniger bündig und zur Sache sprach, als sonst seine Weise, während er mit noch besonderer Hast rauchte, und ich ihm, ebenfalls gegen die Gewohnheit, schon nach den ersten Minuten sein Glas zum zweiten Male hatte füllen müssen.

Machen Sie sich auch eines zurecht,“ sagte er plötzlich; „Sie sehen erbärmlich aus. Ist ihnen nicht wohl?“

„Doch, doch“ stammelte ich, indem ich, meine Verlegenheit zu verbergen, hastig seinem Befehle nachkam und gierig ein paar Schlucke trank.

„Wo sind Sie heute gewesen?“

Ich setzte zitternd das Glas nieder. Der Ton der Frage war so anders, als in welchem er bisher gesprochen. Hatte er jetzt das Thema berührt, zu dem die Theatermisere nur das Präludium gewesen?

„Nun?“

„Bei Frau von Trümmnau,“ brachte ich noch eben heraus.

„Sie sagen das so zögernd und mit solcher verzweifelten Miene. Was hat’s denn da gegeben?“

Was es da gegeben? War mir der Kognak zu Kopf gestiegen? Was es da gegeben? Es fehlte nur ein Kleines, und ich hätte laut aufgelacht. Wunderliche Dinge hatte es da gegeben, fürwahr! Und die auch ihn sehr interessiren würden, wenn ich sie ihm nur sagen dürfte!

Es schien ihn nicht zu überraschen, daß ich mit der Antwort zögerte, wenigstens mischte sich, wie mir schien, eine gewisse Verlegenheit in den Blick, den er gespannt auf mich gerichtet hielt.

„Ich will es wissen," sagte er dann kurz und scharf.

Und als selbst jetzt meine Antwort nicht kam:

„Mein Gott, wozu diese Heimlichthuerei wo es nichts zu verheimlichen giebt. Sie hat sich über mich beklagt; sie hat mich einen Barbaren, einen Tyrannen und so weiter gescholten und Sie haben ihr darin sekundirt. Als ob ich das Alles nicht wüßte!“

Nun, wenn er das Alles wußte, hatte es freilich keinen Sinn, mit der Wahrheit zurückzuhalten, so weit dieselbe überhaupt mittheilbar war.

„Ja, Hoheit," sagte ich, „ungefähr so ist es gewesen, und ich leugne nicht, daß ich Frau von Trümmuau Recht geben mußte."

„So." rief er eifrig, sich emporrichtend und die ausgegangene Cigarre an dem Licht der Kerze von Neuem entzündend - „Recht geben mußte! Das ist denn freilich sehr bequem, wenn man die Medaille nur von der einen Seite sieht. Oder hatte sie Ihnen auch die andere gezeigt? Hätte sie ihnen wirklich gesagt, welches der eigentliche Grund ist, weßhalb sie geschieden sein will? Heirathen will sie von Neuem - das ist das Lange und Kurze von der Sache."

„Das wußte ich freilich nicht," sagte ich mit einem bösen Lächeln, das der Eifrige glücklicher Weise nicht sah.

„Aber so ist es,“ rief er, „und wen? Einen Russen, einen Grafen Pahlen – Sie werden durch Renten von ihm gehört haben. Ich danke unterthänigst! Soll ich sie vielleicht nach Rußland ziehen lassen? Der Mann ist Officier – ein ganz verdienstvoller, gebe ich zu, muß ich zugeben, und ein besonderer Günstling des Kaisers, der nicht daran denkt, ihm den Abschied zu bewilligen, an den er selbst übrigens eben so wenig denken kann, da er arm ist wie eine Kirchenmaus. Nun, und Frau von Trümmnau’s Vermögen geht in der Scheidung bei Heller und Pfennig an Herrn von Trümmnau. Das ist sicher. Und die Herrschaften sitzen da vis-á-vis de rien. Soll ich die Herrschaften etwa noch ausstatten zum Lohn dafür, daß sie wider meinem willen heirathen?“

„Es wird Hoheit kaum etwas Anderes übrig bleiben,“ sagte ich.

Er blickte mich an, sprachlos über meine Kühnheit. Ich aber war entschlossen, für Adele einzustehen, mochte daraus kommen, was wollte.

„Ich meine nur,“ fuhr ich fort, „daß Hoheit doch gewiß Frau von Trümmnau nicht unglücklich machen wollen. Und wie kann sie anders als unglücklich werden und sein, wenn sie gezwungen ist, Frau von Trümmnau zu bleiben, während sie jenen andern Herrn liebt und dieser sie?“

„Ach was, Liebe!“ rief er. „Das redet man sich ein und redet man sich auch wieder aus. Zu dem Ersteren haben sie genau zwei Wochen Zeit gehabt, zu dem Letzteren schon zwei Jahre.“

„Die denn doch noch nicht eben viel geholfen zu haben scheinen,“ warf ich ein.

„So geben wir noch ein paar Jahre Zeit. Die werden wohl Hilfe bringen, vorausgesetzt, daß sie sich unterdessen nicht wieder sehen. Ich wüßte nicht, wie sie das anstellen sollten. Frau von Trümmnau wird nicht wagen, etwas gegen meinen ausgesprochenen Willen zu unternehmen, und ich werde schon dafür sorgen, daß der Herr keinen Urlaub und keinen Paß ins Ausland bekommt.“

Ich mußte abermals sehr an mich halten, um gegenüber dieser pompösen Sicherheit, in Erinnerung der zärtlichen Scene, die ich vor einer Stunde mit meinen Augen gesehen, nicht in ein tolles Gelächter auszubrechen. Was da eben in der verschwiegenen Villa vor sich ging - er und ich, wir hatten ja Beide die Kosten zu zahlen. Nur, daß ich sie schon mit brennenden Thränen der Scham, mit wüthender Verzweiflung bezahlt hatte und weiter würde bezahlen müssen, und, es zu thun und zu entsagen und Großmuth zu üben entschlossen war und sie bereits übte, indem ich für die Glücklichen bei dem Tyrannen sprach, der die eigene Tochter in Sklavenketten hielt, wie seine ganze Umgebung mich eingeschlossen. Oder hätte ich sonst da still gesessen, meinen Zorn in mich hineinwürgend, anstatt ihm ins Gesicht zu sagen, wie ich dachte?

„Was fehlt ihr hier?" fuhr er nach einer Pause fort, in welcher er heftig vor sich hin geraucht hatte; „sie hat Alles, was sie nur wünschen mag und tausendmal mehr Annehmlichkeiten des Lebens, als sie je in Petersburg haben würde, oder gar in irgend einem Raubnest da hinten am Kaukasus, wohin den Herrn jeden Tag der Dienst rufen kann. Aber es ist immer die alte Geschichte. Veständige Leute, welche die Welt kennen, wollen euch jungen Leuten, die ihr die Welt nicht kennt, das Leben schicklich einrichten, und ihr schreit über Tyrannei, steift euch gegen das Joch, und wäre es noch so sonst, noch so sehr zu eurem Heil; werft es womöglich ab und lauft in die Welt hinein, wo ihr das Glück zu finden hofft und nichts als Unheil findet, respektive anrichtet! Da ist mir noch in diesen Tagen eine seltsame Affaire zu Ohren gekommen, die so recht eine Illustration eines solchen jugendlichen Frevel ist und Sie auch interessiren wird. Sie kennen ja die Familie Bogtriz? Natürlich. Wir sprachen gelegentlich einmal über den Major von Bogtriz; der Weißfisch hat mir so Manches über die Herrschaften berichtet, bei denen Sie ja im vorigen Sommer zum Besuch waren zugleich mit dem Kammerhern, der sich übrigens bitter bei mir beklagt, daß ich ihm den Weißfisch entführt habe, wie er sich auszudrücken beliebt. A propos: sehen Sie den Mann jetzt noch öfter - den weißfisch?"

Weißfisch - die Familie Vogtriz - der Kammerherr wo kam das Alles auf einmal her? Ich blickte verwundert auf; aber ich konnte seine Mienen nicht deutlich sehen - er hatte sich eben in eine gar zu dichte Tabakswolke gehüllt.

„Nein," antwortete ich auf die letzte Frage; „Hoheit schienen es nicht zu wünschen."

„Ich wünsche es auch in der That nicht," erwiderte er.

„Auf seinem Theatersekretärposten, den ich ihm auf seinen Wunsch gegeben habe, richtet er nur Dummheiteu an, und ich habe gegründete Ursache, anzunehmen, daß er mich bei einer früheren wichtigen Gelegenheit arg düpirt hat. Nein, nein! es ist ganz gut, daß Sie sich den Schelm fern halten, den ich übrigens wegzuschicken entschlossen bin. Aber um auf die Affaire, auf die ich hindeutete, zurückzukommen. Ist ihnen damals in Nonnendorf - so heißt es ja wohl? - von einem Bogtriz gesprochen, einem jüngeren Bruder des Vaters der jetzt lebenden Brüder Bogtriz: des Majors, des Herrn auf Nonnendorf und, ich glaube, ein dritter existirt als Präsident oder deßgleichen in Berlin? Jener Onkel also, ein übrigens noch blutjunger Mann, der hier in Europa nicht gut that, war nach Amerika gegangen, vermuthlich dahin geschickt worden, wie so viele adlige Thunichtguts; hatte aber dort wider alles Erwarten seine Fortüne gemacht durch eine Heirath mit der einzigen Tochter eines der reichsten New-Yorker Banquiers. Scheint indessen der rechte Hans im Glücke gewesen

zu sein, da er nichts Eiligeres zu thun hatte, als ein halbes Jahr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_334.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2018)