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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Sind wir so weit, daß wir in der Nacht als Patrouille die Wohnung unserer Schonen umkreisen?“ brummte Ravensburgk vor sich hin. Laut aber begann er mit krächzender Stimme zu trällern: „Er sieht nicht die Felsenriffe, er starrt nur hinauf in die Höh.“

„Können Sie auch nicht schlafen?“ fragte Heino in weichem Tone und drückte ihm trotz des abscheulichen Ohrenschmauses so warm die Hand, als ob sein Herz vor Freundschaft und Dankbarkeit überflösse.

„Lassen Sie uns eine Cigarre rauchen,“ rieth Ravensburgk mit gutmüthigem Spott. „Das ist ein bewährtes Beruhigungsmittel. Da drüben ist das Café Lakrony noch geöffnet.“

Er nahm mit Heino unter der Veranda Platz, bestellte Sodawasser und zündete eine Cigarre an. Den Versuch, Konversation zu machen, gab er auf. Heino hörte ihn nicht, sondern blickte mit träumerischen Augen nach Leonoren’s Licht, das jetzt ganz matt geworden war, als sei es im Verlöschen.

Kein Mensch ließ sich mehr sehen. Nur die Stimme der Lora murmelte, und der kühle Nachtwind flüsterte in den Akazien.

Auch Ravensburgk versank in Gedanken. Da saßen nun Zwei, von denen der Eine aus Mangel an Erfahrung im Begriff stand, seine soliden Verhältnisse aufzugeben und in ein abenteuerliches Treiben sich hinein ziehen zu lassen, und der Andere von der Sorge erfüllt war, daß sein Ueberfluß an Erfahrung zum Hinderniß werden möchte, in ein geordnetes Leben zurückzukehren.

Da schallte ein eiliger Schritt über den Platz.

Als der Nachtwandler in den Lichtkreis der Gaskandelaber kam, sahen die beiden späten Gäste, daß es ein junger schlanker Mann war, vom Kinn bis zu den zierlichen bespornten Stiefeln in einen weißen mit Schnüren und Quasten besetzten Mantel gewickelt, einen breiten weißen Filzhut tief in die Stirn gedrückt.

Als der Weißmantel an sie heran kam, stutzte er und wich aus dem Lichtkreis. Dann eilte er mit festem Tritt rasch vorüber.

„Blüht hier Heliotrop?“ fragte Heino, plötzlich auffahrend. Aber das Pfeifenkraut und der Teufelszwirn, welche die Veranda umrankten, zeigten sich unschuldig an dem Verdacht. Er legte die Hand über die Augen und versank wieder in seine Träume.

Ravensburgk’s Blick war dem späten Wanderer gefolgt. „Er geht in den Lora-Pavillon, wo der Bankier Dornheim wohnt. Vielleicht ein Kroupier. Gute Nacht, Blachrieth.“

(Fortsetzung folgt.)




Allerlei Nahrung.
Gastronomisch-naturwissenschaftliche Plaudereien.0 Von Carl Vogt.
I.

Der Mensch ist, was er ißt," pflegte mein Freund Camperio zu sagen, der den Kanton Genf während einiger Jahre regiert hat, obgleich er Tessiner und selbst Lombarde war. Daß er nebenbei ein origineller Professor des Strafrechts und ein nicht minder origineller Redner in den eidgenössischen Räthen war, ist für das größere Publikum, besonders aber für das deutsche, um so gleichgültiger, als Camperio, trotz mehrjähriger Studien in Deutschland, nie eine Zeile hat drucken lassen. Der Professor wird aber in Deutschland nur nach der Zahl der Druckbogen gemessen, die er von sich gegeben hat. Das hindert nicht, daß Camperio’s Satz, den ich oben anführte, seiner Behauptung nach die Quintessenz aller Philosophie bildete, welche er sich in Berlin zu eigen gemacht hatte.

„Sage mir, was Du issest, und ich sage Dir, wer Du bist!“ lautet einer der Aphorismen Brillat-Savarin’s, des unsterblichen Verfassers der „Physiologie des Geschmackes“, durch deren Uebersetzung ich dem Kulturfortschritte des deutschen Volkes einen größeren Dienst geleistet zu haben glaube, als Hegel und Schopenhauer durch ihre philosophischen Systeme zu Stande gebracht haben.

Beide Sätze sagen etwa dasselbe; beide sind ebenso richtig als falsch. Der Ostpreuße und der Ire nähren sich beide von Kartoffeln und zwar in so ausschließlicher Weise, daß man gar nicht begreift, wie das Volk im grünen Erin und im Samlande vor Erfindung der Kartoffeln überhaupt sich anders ernähren konnte – aber trotzdem, daß diese gleichförmige Ernährungsweise jetzt schon etwa hundert Jahre andauert, wird Niemand behaupten wollen, daß Iren und Ostpreußen einander ähnlicher seien, als andere Arier, oder daß ihre Gedanken eine gewisse Uebereinstimmung zeigten.

Aber dennoch steckt viel Wahres in den beiden Sätzen. Der „unersättliche Magen“, wie Homer ihn nennt, hat einen großen, ja sehr großen Antheil an dem Aufbau der Civilisation der gesammten Menschheit, und auf ihm beruht wesentlich das Glück und die Zufriedenheit des Individuums wie der Familie. „Ein satter Mensch, ein schöner Mensch,“ sagte mein Onkel Forstrath, dem seine geizige Frau nie satt zu essen gab, wofür er sich zuweilen im Wirthshause schadlos zu halten suchte. Der Tante konnte zur Entschuldigung dienen, daß sie aus einem Lande stammte, welches wohl in grausige Tiefe zurücksinken würde, wenn es einmal einem Statistiker der Gastronomie einfallen sollte, die deutschen Stämme, Länder und Städte nach Qualität der Ernährung in Tabellen zu ordnen (die Quantität dürfte etwa überall die gleiche sein mit Ausnahme der thatsächlich Hunger leidenden Distrikte). Hamburg und Bremen würden gewiß in einer solchen Statistik die oberste Stufe einnehmen.

Die Ernährung im weitesten Sinne bildet den wahren „standard of life“; Wohnung, Kleidung und die geistigen Bedürfnisse kommen erst in zweiter Linie. Aber es ist offenbar, daß die Art der Ernährung von einer Menge von Faktoren abhängt, über welche der Mensch nicht immer gebieten kann. Es dürfte jetzt an der Zeit sein, diese Faktoren schärfer zu analysiren und in ihre einzelnen Elemente zu zerlegen, ehe die stets wachsende Vervielfältigung der Kommunikationen die Unterschiede zum großen Theile verwischt oder ausgleicht. Man vergegenwärtige sich doch den ungeheuren Umschwung, welchen die Konsumtion der Brotfrucht in den jüngsten Zeiten erlitten hat. Die eigentlichen Brotesser bilden nur eine Minorität der gesammten Menschheit, sogar jetzt noch, während sie in früheren Jahrhunderten nur einen sehr kleinen Bruchtheil der Bevölkerung der Erde ausmachten. Amerika kannte vor der Entdeckung das Brot nicht, und noch heute nähren sich zehnmal mehr Millionen von Reis, der nicht zu Brot verbacken wird, als von Weizen und Roggen. Aber die Brotesser (Arier und ein Theil der Semiten) haben sich über die ganze Erde verbreitet, erstere als dominirende Rassen, und sie wollen im Süden wie im Norden, im Osten wie im Westen ihr Brot haben. Früher, wo die Kommunikationen mangelhaft waren, konnte Pommern Hungersnoth haben, während die Pfalz im Ueberflusse schwamm. Heute regeln nicht nur Ungarn und Rußland, sondern auch überseeische Länder, wie Nordamerika, den Kornpreis im Inneren von Deutschland, und vielleicht werden in kürzester Zeit Indien und Australien ebenfalls mit Nachfrage und Angebot in diese Verhältnisse eingreifen. Endresultat aber wird sein, daß das Brot in solchen Gegenden, wo es noch zu den fast ausschließlichen Genüssen einer bevorzugten Klasse gehört, nach und nach heruntersteigen wird zu den weniger bemittelten, um deren Ernährungsverhältnisse ebenso von Grund aus umzugestalten, wie es die Kartoffel in so manchen Länderstrichen gethan hat.

Die Entwickelung geht also in der Zeit darauf hinaus, die Unterschiede, welche lokale Bedingungen in der Ernährung geschaffen haben und noch erzeugen, nach und nach zu verwischen. In gewissen Schichten der Gesellschaft ist dies schon geschehen; das Hôtel und das Restaurant, diese beiden Hebel der fortschreitenden Civilisation, haben jetzt schon einen gleichförmigen Tisch für die ganze von der Kultur beleckte Welt geschaffen. Man speist in Kairo nicht anders, als in St. Petersburg, in Hamburg an dem Ufer des Meeres nicht anders, als in Mürren auf 2000 Meter Höhe, und die Tafel der australischen Dampfer wird nicht anders besetzt, als diejenige der ersten Restaurants in Paris. Das kann sehr langweilig werden, läßt sich aber nicht

ändern, und aus den Hôtels und der Welt der Reisenden sickern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_350.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2021)