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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


mit Vortheil betreiben läßt. Tausende von Menschen leben von dieser Vermittlungsarbeit zwischen dem Fischer einerseits und dem Händler oder Konsumenten andrerseits.

Ich sagte oben, der Austernhandel beschäftige sich wesentlich nur mit gemästeten Austern. Die Mästung erfolgt aber erfahrungsgemäß nur an solchen Stellen, wo reichlicher Nahrungsstoff sei es durch Süßwasser, sei es auf andere Weise, zugeführt wird. Der Nährstoff besteht aus mikroskopischen Pflänzchen und Thierchen, aus modernder organischer Substanz. Die Auster verlangt einen gewissen Salzgehalt des Wassers; sie gedeiht nicht in der Ostsee, die weniger als 17 pro Mille Salz enthält, und wächst zu bedeutender Größe in sehr salzhaltigen Gewässern, besonders wenn diese viel Kalk enthalten, wie das Mittelmeer, wo die Pferde-Auster Tellergröße erlangt. Aber solche Austern sucht der Verzehrer nicht, denn sie sind derb, mager und selbst herb; er verlangt vielleicht weniger gesunde, aber zarte und fette Austern, zu deren Erzeugung ein zu bedeutender Salzgehalt des Wassers nicht nützlich zu sein scheint. Ein fetter Mastochse wird, obgleich wirklich krank, doch dem gesunden, aber mageren Stiere vorgezogen, sobald es sich um das Fleisch handelt.

Die Klage über Verödung der Austernbänke ist nur eine relative. Ganz gewiß werden viele Bänke erschöpft und müssen verlassen werden; aber dafür findet man neue Bänke und die Zahl der Austern, welche zu Markt gebracht wird, steigt von Jahr zu Jahr. Freilich werden die Austern theurer — vor vierzig Jahren frühstückte ich in Saint Malo mit einem Hundert Austern, weil ich sparen mußte und nichts Wohlfeileres zu finden war — heute würde ich eine solche Ausgabe nicht wagen. Aber die Nachfrage regiert den Preis, und heute verlangt man Austern an Orten und in Schichten der Gesellschaft, wo früher ihre Existenz überhaupt unbekannt war. Im Jahre 1830 gab der damalige Großherzog von Hessen bei einer Rundreise durch das Land in Gießen ein Essen, wobei Austern servirt wurden. Mein Vater, der damals Rektor der Universität war, nahm Abends aus der Tasche ein Papier, in welches einige Austern eingewickelt waren. „Da seht, Kinder," sagte er, „was für Zeug die großen Herren essen." Die Dinger sahen allerdings nicht appetitlich aus.

Einige schwerwiegende gastronomische Probleme knüpfen sich an die Auster. Die Frage, ob sie frisch, roh, lebend, gekocht oder mariniert verspeist werden soll, kann wohl nicht ernsthaft besprochen werden. In einigen Saucen und Kombinationen, wie z. B. Fischsaucen oder Sauerkraut mit Austern, kann sie zwar eine gewisse, aber doch immer nur untergeordnete Rolle spielen; sonst kann sie nur frisch und lebend verspeist werden. Eine todte Auster (das Schrecklichste, was man in den Mund bekommen kann) öffnet die Schalen, ist also immerhin leicht zu erkennen; wird sie geöffnet angeboten, so bildet bei einigem Zweifel das Beträufeln des Bartes mit etwas Citronensaft das beste Erkennungsmittel, da bei der lebenden Auster der Bart sich lebhaft runzelt und zusammenzieht.

Wie soll die Auster geöffnet und servirt werden? Eine Frage, welche ganze Völker scheidet. Die alten Steinmenschen, auch noch die Römer, öffneten die Austern durch Hitze; sie legten sie auf eine heiße Platte von Stein oder Metall. Jedenfalls wird durch diese allerdings bequeme Methode der Geschmack der Auster beeinträchtigt und diese gewissermaßen angekocht. Wir müssen um so mehr die römischen Gastronomen bewundern, die nach dem Zeugnisse der Dichter trotzdem die Herkunft der Auster aus dem Geschmacke erriethen. Wir öffnen sie mechanisch, indem wir das Schloßband und innen den Schließmuskel durchschneiden und die eine Schale entfernen, um die Auster auf der anderen zu präsentiren. Ja, aber auf welcher? In England schneidet man den Muskel an beiden Schalenhälften ab und präsentirt die Auster, von der alles Wasser abgeflossen ist, auf der flachen Schale; in Frankreich dagegen entfernt man die flache Schale und behält den Austernleib in der tieferen, indem man möglichst viel Seewasser in dieser Schale läßt. Der Verzehrer muß mit dem Austernmesser erst den Muskel von seiner Anhaftung an der tieferen Schale durchschneiden, ehe er die Auster schlürfen kann. Zuweilen besorgt dies der Oeffner, aber immerhin wird die Auster in ihrem Wasser servirt.

Wer hat Recht, Engländer oder Franzosen? Die Entscheidung wird wohl dem individuellen Geschmacke und der Gewohnheit anheim fallen; ich gestehe offen, daß ich entschieden für die französische Weise eintrete. Eine Auster ohne Salzwasser scheint mir ein Gericht ohne Gewürz.

Soll man den Bart entfernen oder mitessen? Bart nennt man bekanntlich die Kiemen mit dem Mantel, die häufig eine grüne oder selbst schwarze Farbe haben. Entscheidung wohl je nach Umständen. Austern aus unreinem, schlammigem Wasser werden Sand und Schlamm in den Kiemen haben, man entfernt also den Bart. Aber Austern aus reinem Wasser enthalten nur dieses in den Kiemen, und wer die Salzwürze liebt, wird den Bart behalten.

Der echte Liebhaber wird die Auster verzehren, wie sie gewachsen ist. Grob gestoßener Pfeffer, Citronensaft und ähnliche Dinge läßt er bei Seite; sie fälschen den natürlichen Geschmack.

Diesen Geschmack giebt, wie schon gesagt, der Park, in welchem die Auster gemästet und bis zum Versand aufbewahrt wird; ihn zu erhalten, ist die Aufgabe des Versenders. Aus je größere Entfernung sie versendet werden sollen, desto sorgfältiger müssen die Anstalten getroffen werden, um die Muscheln zweckmäßig zu verpacken und mit möglichster Schnelligkeit an Ort und Stelle zu liefern. Die Malleposten, welche vor Einführung der Eisenbahnen die Austern und Fische von den westlichen Küsten Frankreichs nach Paris brachten, gingen schneller als diejenigen, mit welchen Personen befördert wurden. Man ging von der Ansicht aus, daß die Auster, ihrem zarten Geschmacke entsprechend, auch etwaigen Schädigungen gegenüber sehr zart sei und nur geringe Lebensfähigkeit besitze.

Das ist nun allerdings nicht der Fall — die Auster ist im Gegentheile recht hartlebig und dauert unter günstigen Verhältnissen sehr lange aus. Diesen Satz hat in neuster Zeit ein Amerikaner, Herr Berrill, durch ganz hübsche Beobachtungen erhärtet. Herr Berrill flanirt in einem abgelegenen Viertel New-Yorks umher und sieht an einem Trödlerladen einen alten, über und über mit angehefteten Austern bedeckten Stiefel hängen, den ein Fischer vor zwei Monaten aus dem Meere gezogen hat. Das wäre nun an und für sich nichts besonders Merkwürdiges gewesen, denn Austern setzen sich an alle untermeerischen Gegenstände fest, an Ziegel und Steine, Reisigbündel und Pfähle, warum nicht auch an Stiefel? Herr Berrill wundert sich aber, daß manche der Muscheln noch fest geschlossen waren — eine todte Auster öffnet sich sofort, weil der lebendige Schließmuskel nicht mehr dem durch seine Elasticität die Schalen öffnenden Schloßbande entgegen wirkt. Er untersucht genauer, die geschlossenen Austern leben noch! Nun findet er, daß alle an dem Stiefel hängenden Austern, welche irgend eine Beschädigung ihrer Schalen erlitten hatten, abgestorben waren, während die unverletzten, besonders diejenigen, welche mit dem Schloßrande nach oben hingen, ihre ganze Lebenskraft besaßen. Zwei Monate an freier Luft! Das giebt zu denken, und Herr Berrill denkt in der That, daß man Austern, welche man auf große Entfernungen verschicken und lange am Leben erhalten wolle, sorgfältig auslesen und die unverletzten so verpacken und versenden müsse, daß sie mit dem Schloßrande nach oben gestellt seien und die Luft frei in dem Behälter cirkuliren könnte. Bisher machte man mit den „bourriches", in denen man die Austern versendete, nicht viele Umstände. Man fütterte den weitmaschigen Korb mit etwas Tang aus, packte die Austern, gewöhnlich zwölf Dutzend, flach hinein, schnürte sie so fest als möglich zusammen und kümmerte sich wenig darum, wie die „bourriches" und also auch die Austern auf dem Transporte in dem Gepäckwagen lagen. Vielleicht führen Herrn Berrill's Stiefelbeobachtungen zu rationelleren Versandmethoden, welche den Russen gestatten können, im Innern Asiens frische Austern mit den Engländern zu theilen.

Aber daran knüpft sich eine weitere Frage. Die Feinschmecker sind noch im Zweifel, ob eine z. B. von Cancale nach Paris gesandte Auster, die dort höchstens 24 Stunden nach dem Fange verspeist wird, also ganz „frisch" ist, denselben Geschmack habe, wie unmittelbar bei der Herausnahme aus dem Park. Manche feine Zungen wollen einen Unterschied wahrnehmen. Die Frage könnte nur experimentell aus die Weise entschieden werden, daß eine Gesellschaft bewährter Zungen sich z. B. in Ostende niederließe und täglich vergleichsweise mit frischen Austern aus dem Parke solche kostete, die in einer „bourriche" unterdessen gereist sind. Aber um dies zu ermöglichen, müßte ein Kongreß dorthin berufen werden, für Fischerei oder noch besser, von Diplomaten,

welche von Alters her die feinsten Kenner waren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_366.jpg&oldid=- (Version vom 12.2.2021)