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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Waldpfad; so freudig er einst am Marterpfahl dem Tod ins Auge schaute, so traurig sah er jetzt ins Leben hinein.

Er war auf dem Gipfel des Berges angekommen. Die Ruinen der Burg Falkeneck erhoben sich vor ihm.

Neben dem Burgthor stand eine breite Linde statt des Thorwartes, das Wappen lag zerbröckelt in blühenden Feldnelken; den geblendeten Falken überspannen braune Flechten. Hinter der tiefen Wölbung breitete sich der von hohem Gras überwachsene Hof aus, auf dessen höchstem Punkte der schlanke Bergfried sich erhob. Scharen von Thurmfalken umkreischten ihn.

Aus den Trümmern des Banketsaales, dessen leere zerbröckelnde Fenster gelb blühender Mauerpfeffer auspolsterte, schallten lachende Stimmen. Eine Gesellschaft mußte sich dort niedergelassen haben.

Johannes schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Er folgte dem Rande des Wallgrabens, der, wie eine vernarbte Erdwunde, von Thymian überwachsen, um die Burg sich zog, und schritt nach der halb zerfallenen Kapelle hinüber, die weit hinaus auf einem felsigen Vorsprung erbaut war.

Hier waltete Stille. Nur fernes leises Rauschen tönte aus dem Thale herauf. Es war die Stimme der Lora, die den Fuß des Berges umfloß als natürliche Schützerin der Burg.

Aus den schmalen Rundbogenfenstern waren die Schlußsteine gefallen, die dicken Wände geborsten, das Deckengewölbe war eingestürzt. An seiner Stelle spannte sich der Himmel über dem heiligen Raum aus.

Die Natur hatte von dem Gotteshaus Besitz ergriffen. Den morschen halb in die Erde vergrabenen Weihkessel füllten Regentropfen, in denen der Stieglitz sein buntes Gefieder badete. Aus dem Boden, der einst so heiße Thränen getrunken, als der Falkenecker hier gekniet und seine sündige Verbindung gebeichtet hatte, sproßten frische grüne Halme auf. Selbst die Gruft, in welche der Ritter endlich mit all seinem Leid sich zur Ruhe gelegt hatte, war gesprengt, die Platte, die sie für ewige Zeiten verschließen sollte, geborsten, und aus dem Spalt schaute die dunkle Krone eines Fliederstrauches heraus.

Johannes schritt die mit Moos überwachsenen halb eingesunkenen Stufen empor, die zu dem Altar führten. Dieser war zusammengebrochen. Ueber seinen Trümmern träumte eine hohe schlanke Birke ihren sonnigen Lebenstraum. Hier hatte vor grauen Jahren der Burgkaplan gestanden, der dem Ritter die Bußfahrt in das gelobte Land gebot. Auch jener Priester mußte einst allem Lebensglück entsagen. Aber sein Name war vergessen; er hatte an dieser Stätte gestanden im Namen des Herrn.

Und das Kreuz, dem er einst Lebensfreude, Namen, Willen geopfert hatte, erhob sich noch siegreich über den Verfall dort oben auf dem östlichen Giebel. Ein wilder Rosenstrauch hatte sich daneben angesiedelt und umflocht es mit seinen rosigen Blüthen.

So standen sie innig umschlungen: eines der Gebilde der Natur, deren träumerische Seele nur von unbewußter Daseinsfreude erfüllt ist, und das Svmbol dessen, der mit hehrem Geist den Gedanken faßte, sein Leben zu opfern um die Menschheit zu retten.

Und wie Johannes für die Rose die Zeit kommen sah, da sie, von der Hitze verdorrt, vom Sturm entwurzelt, welkte und verging, so sah er das Kreuz stehen durch die Jahrtausende und die Arme ausbreiten, so lange noch eine Sünde zu vergeben, eine Seele zu erlösen war.

Ein leises Rauschen in den Büschen des verwachsenen Einganges, Schritte, von dem langen Gras des Bodens gedämpft, kamen heran.

Johannes hörte die Stimme, welche zu vergessen er hier herauf gewandelt war, sagen: „Vielleicht finden wir in der Kapelle die Offenbarung, die wir suchen.“

Da stand sie im Thürbogen, die er nicht wieder sehen wollte, im lichtblauen Kleid, das blonde Haar lang nachwallend, eine Seerose an der Brust. Sie bemerkte den Bruder Johannes nicht. Ihr Antlitz war dem jungen Dichter zugewendet, der ihr folgte.

Der innige Blick aus seinen braunen Augen verschmolz mit dem ihren; er reichte ihr stützend die Hand, während sie über die zerbröckelten Stufen schritt. Wie sich die beiden feinen Hände in einander fügten, flog ein heißes Roth über die jungen schönen Gesichter.

Einen Augenblick blieb Johannes regungslos stehen. Dann trat er unter der Birke hervor.

Leonore schaute zu ihm auf. Ihr Fuß zauderte vor den Altarstufen. Aber als er mit mildem Ernst sie grüßte, sagte sie rasch: „Welch glückliche Fugung, daß wir Sie treffen! Vermag irgend ein Mensch das erlösende Wort zu finden, so sind Sie es. O sagen Sie: Wenn Sie an der Stelle des Priesters stünden, der einst hier den Richterspruch fällte, würden auch Sie dem Ritter ewige Trennung von der armen Lora auferlegen?“

Heino fühlte sich unangenehm berührt, daß einem Dritten die Aufgabe gestellt wurde, die zu lösen ihm allein zukam. Sein Gruß war kühl.

Johannes erwiderte ihn gelassen und wandte sich an Leonoren. „Wir können uns nicht mehr zurückdenken,“ sprach er, „in die Anschauungen einer finstren Zeit, welche das Wasser von verwünschten Geistern belebt wähnte, die vergeblich nach Erlösung schrieen. Aus jenen Ansichten ging der uu<rtheilsspruch des Priesters hervor.“

Um Heino’s Lippen spielte ein überlegenes Lächeln. „Der Dichter vermag es. Doch, um Fräulein Paloty’s Wunsch zu erfüllen: Nehmen Sie an, die Lora sei ein irdisches Weib gewesen, von dunkler fluchbeladener Herkunft, die sie verhehlte, um den Mann ihrer Liebe zu erringen. Wie würde sie diese Schuld abzubüßen vermögen?“

„Nennen Sie eine dunkle Herkunft eine Schuld?“ rief Leonore vorwurfsvoll. „War es nicht genug, daß die Lora Reichthum, Schönheit, ein treues Herz dem Ritter zubrachte?“

„Nicht die dunkle Herkunft war die Schuld der Lora, sondern der Betrug, den sie an dem Ritter von Falkeneck verübte,“ antwortete Johannes.

„Aber die Liebe soll Alles vergeben,“ entgegnete Leonore stürmisch.

„Die wahre Liebe würde auch vergeben haben,“ erwiderte Johannes. „Die Liebe des Ritters war jedoch zu schwach, um diese Prüfung zu bestehen.“

Heino lachte unmuthig auf. „Schwach? Er hatte die große Leidenschaft, die alle Schranken durchbricht.“

„Leidenschaft ist nicht Liebe,“ sagte Johannes.

„Vom kirchlichen Standpunkt aus allerdings nicht,“ entgegnete Heino. „Wir Dichter sind aber etwas Heiden geblieben. Wir empfangen am liebsten die Weihe von jenen heitren Gottheiten, die den seligen Rausch kennen, den die Liebe verhängt.“

Er war gereizt. Der Herrnhuter machte richtig die Sache nur noch verwickelter, indem er die Hauptschuld der Lora abnahm und auf den Ritter wälzte, und mit welcher unerschütterlichen Gelassenheit sich diese durchdringenden Augen in die seinen senkten, als wollten sie auf dem Grund seiner Seele lesen! Heino’s Brauen zogen sich nervös zusammen.

Mit dem Ahnungsvermögen der Liebe fühlte Leonore seine Verstimmung heraus. „Ich hatte so fest geglaubt, daß Sie helfen könnten,“ sagte sie niedergeschlagen zu Johannes.

Er wandte sich zu ihr. Und als er wieder denselben rathlosen Blick auf sich gerichtet sah, der von ihrem Begegnen in Himmelgarten her in seinem Gedächtniß haftete, wurde der Ausdruck des blassen Gesichtes unendlich mild, und er antwortete: „Ja, ein versöhnender Abschluß läßt sich finden. Denn auch die Leidenschaft kann geläutert werden zu der tiefen ewigen göttlichen Liebe, die in jeder Prüfung erstarkt, die über Wahnglauben und Vorurtheil der Zeit und der Menschen sich siegreich erhebt und die Kraft hat, ein geliebtes Wesen aus Nacht und Schuld zu sich emporzuziehen in lichte reine Regionen. Und ich glaube, es müßte eine herrliche Aufgabe für den Dichter sein, ein Lied von dieser Liebe zu singen.“

Die Worte hallten in der Kapelle wider, als gäben die alten Mauern gern den vertrauten Klang zurück.

Leonore neigte sich tief und ehrfurchtsvoll vor Johannes; aber ihre Lippen vermochten nur zitternd zu flüstern: „Ich danke Ihnen, o, ich danke Ihnen.“

Heino zog gemessen den Hut. „Ich bin Ihnen sehr verbunden für den Wink, wenn ich auch nicht weiß, ob ich der Dichtung diese Wendung gebeu kann.“

Auch Johannes nahm den Hut ab. „Möchten Sie die Kraft dazu finden,“ erwiderte er in dem ihm eigenen halblauten Ton, der so weit trug und doch immer gedämpft klang. Er ging ruhig an ihnen vorüber und verließ die Kapelle. Heute wie vor einem Jahrtausend hatte der Priester hier das letzte Wort gesprochen.

Leonore schritt durch den mit Trümmern bedeckten Burghof wie auf Wolken. „O,“ sprach sie, „nun muß Ihr Werk gelingen. Und wenn die arme Lora erlöst ist, dann wird sie mit ihrem goldenen Zauberstab die Burg in alter Herrlichkeit erstehen lassen. Statt der grünen Eberesche wird dort am Bergfried wieder die Fahne in den Farben der Falkenecks wehen, die das Blau des Himmels mit dem Gold der Erde vereint. Hier am Thorbogen wird das Wappen neu aufgerichtet werden. Aber der Falke soll,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_378.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2021)