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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

von der Kappe befreit, mit hellem Auge in die Sonne schauen, wie es seine edle Art war in alter glücklicher Zeit.“

„Dazu ist wenig Aufsicht vorhanden,“ unterbrach Ravensburgk, der ihnen eilig entgegen kam, ihre begeisterte Rede. „Baron Pölz, der eben noch nachgekommen ist, erzählt, daß Falkeneck wahrscheinlich jetzt schon hinter Schloß und Riegel sitzt.“

Leonoren’s Fuß stockte. „Wer?“ fragte sie mit athemloser Stimme.

Niemand gab Antwort. Die ganze Gesellschaft drängte sich um Baron Pölz, welcher berichtete: „Es gab einen kleinen Auflauf in Jungbrunnen. Der Kroupier Faucon, den man als Herrn von Falkeneck bezeichnet, ist von dem Bankpächter maßlos heftig nach seinem Namen gefragt und, als er nicht gänzlich seine edle Abkunft verleugnen wollte, aus dem Dienst entlassen und ihm gedroht worden, daß er als Schwindler angezeigt werden solle. Da soll er ein Attentat auf Dornheim gemacht haben, mit einem Dolch auf ihn eingedrungen sein.“

„Ist Dornheim verwundet?“ fragte Frau Paloty, indem sie die Mamille fester um die fröstelnden Schultern zog.

„Unkraut verdirbt nicht,“ erwiderte Pölz. „Er ist heil davon gekommen.“

„Was ist Ihnen?“ fragte Heino erschreckt Leonoren, die leichenblaß war und nach einer Stütze griff.

Ihre Mutter trat ruhig zu ihr und flüsterte ihr zu: „Fasse Dich! Auch meine Kraft hat eine Grenze.“ Laut sprach sie dann: „Es ist nichts, Leonore hat zu heiß gebadet. Aber sie bedarf Ruhe. Herr von Pölz, darf ich Sie bitten, uns Ihren Wagen zu geben, damit wir rasch nach Jungbrunnen zurückfahren können? Sie nehmen dafür unsere Equipage, die noch nicht angespannt ist.“

Leonore saß zusammengesunken auf einem uralten Steinbänkchen, das vielleicht einst für Bettler auf dem Schloßhof aufgestellt worden war. Als Heino besorgt ihr den Arm bot, um sie nach dem Halteplatz der Wagen am letzten Aufstieg hinab zu führen, erhob sie sich wie träumend.

Warum war ihr, als sehe sie Heino nur wie aus weiter Ferne, als sie seinem Abschiedsgruß dankte?

Wenige Minuten später rollte der Wagen langsam den alten Burgweg hinab. Und jetzt sank auch Frau Paloty in sich zusammen.

Heino sah ihnen tief verstimmt nach, und es verbesserte seine Laune nicht, als ihn die Gräfin Schwuggensee mit einem fünfeckig gerathenen Eichenkranz krönen wollte.

Auch die übrige Gesellschaft fühlte sich unbehaglich. Der Präsident beklagte die auf dem unebenen Boden umgefallenen Weinflaschen; die Fräulein von Gokel waren in einen mit Nachtschatten überwachsenen, Keller gestürzt, und der ‚Sohn seiner Mutter‘ hatte sich beim Aufstieg zur Burg mit Shawls und Mänteln sämmtlicher Gräfinnen und Baronessen so überbürdet, daß er den ganzen Nachmittag sich nicht wieder erholen konnte.

Während man in allen Sprachen klagte, als solle der Thurmbau von Babel sich erneuern, mit Grashüpfern Krieg führte und ängstlich nach den drohend herabhängenden Giebeln und Zinnen empor lugte, versammelte Ravensburgk die Herren von altem Adel, welche sich in der Gesellschaft befanden, um sich.

„So wird denn also wirklich die Sache an die große Glocke geschlagen,“ sagte er. „Das widerwärtige Gerücht, das wie ein übel riechender Nebel hier herum zog, nimmt feste Gestalt an und verwandelt sich in ein Aktenstück. Der letzte Sprosse eines der ältesten edelsten Geschlechter sinkt bis zum professionsmäßigen Spieler herab und fällt nun auch noch der rücksichtslosen Justiz in die Hände. Wie wird die Presse diesen Fall einmal wieder ausbeuten. Wie wird der Bourgeois auf seiner Bierbank salbadern über das Sinken des alten Adels! Aber so weit dürfen wir es nicht kommen lassen. Ich wenigstens werde mich sofort nach Jungbrunnen begeben, um zu sehen, wie man den äußersten Skandal abwenden kann.“

Man stimmte ihm allseitig zu, und die Gesellschaft verließ in kleinen Gruppen den Burghof und stieg zum Halteplatz der Equipagen hinab.




In der Mittagsstunde des anderen Tages begab sich Ravensburgk im die Wohnung Dornheim’s.

Eine Anzahl Herren von Familie hatte sich auf seine Veranlassung entschlossen, für den heruntergekommenen Freiherrn von Falkeneck einzutreten.

Nach Ravensburgk’s Erkundigungen war eine gerichtliche Anzeige des Attentates noch nicht erfolgt. Es sollte nun ein Druck auf den Spielpächter ausgeübt werden, daß er keinen Strafantrag stellte, und man wollte eine Summe deponiren, mit welcher der sogenannte Faucon nach Amerika auswandern konnte. Ravensburgk war mit den Verhandlungen betraut worden.

Er traf den Banquier nicht zu Haus. Auf seine Frage, wann er denselben sprechen könne, rief der Portier einen Kammerdiener herbei.

Der alte weißhaarige Mann in tadellos schwarzer Kleidung berichtete mit leiser Stimme, daß sein Herr jeden Augenblick aus dem Bad zurückkommen könne, und als Ravensburgk den Wunsch aussprach, ihn zu erwarten, öffnete er demselben den Salon, rückte ihm einen Sessel zu und verschwand mit lautlosen Schritten.

Ravensburgk war ein wenig überrascht. Solche Kammerdiener gab es sonst nur in den vornehmsten Familien.

Auch der Salon mit seinen dunklen Draperieen, den in einfachem Stil gehaltenen Möbeln, zeigte nichts von der geschmacklosen Ueberladung, der Prahlerei eines Geldprotzen.

Sogar den Landschaften, die in nicht allzu reicher Zahl die Wände schmückten, lagen nur unscheinbare Motive zu Grunde: ein Stück altes Gemäuer mit einem Fliederbusch, ein trübes Wasserauge, von Weiden umstanden.

Und war das ein Altarschrein, der dort an der Hauptwand hing? Seine äußeren Wände waren aus Ebenholz gearbeitet und mit verschlungenen Arabesken verziert, welche durch eingeschlagene silberne Stifte gebildet wurden. Die Art der Arbeit gefiel Ravensburgk durch ihre anspruchslose Eleganz.

Einer der Stifte schien gelockert. Als er denselben aber mit leisem Drucke wieder in das Holz einzupassen versuchte, schlugen plötzlich die Flügelthüren auf.

Ein eigener halb pfeifender, halb zischender Laut drang durch Ravensburgk’s Zähne bei dem Anblick, der sich ihm bot.

War es möglich? Durfte er seinen Augen trauen?

Er trat einen Schritt zurück, er strich sich über Stirn und Augen – sie war und blieb es.

Das goldige Haar, die blauen strahlenden Augen, diese Gestalt, die an die zierliche Schlankheit des Rehes erinnerte, war nicht zu verkennen. und die Beschäftigung, bei welcher sie gemalt worden war, bekräftigte ihren Zusammenhang mit diesen Räumen.

Neben ihr auf einer vortrefflich dargestellten Marmorkonsole lag ein Spiel verstreuter Karten. Mit der einen Hand schien das schone Mädchen dieselben sorglos bei Seite zu schieben, die andere hielt statt der gern gewählten Blumen oder des gebräuchlichen Buches – das Coeur–Aß.

„Verdammtes Höllenkind!“ murmelte Ravensburgk zornig, „hast Du das arme Herz so fest in Deiner Hand? Gott sei ihm gnädig!“

Er drückte die Thür wieder zu. Aber noch ehe er die auf ihn einstürmenden Gedanken, die sich an diese Entdeckung knüpften, ordnen konnte, ließen sich leichte Schritte vernehmen.

Dornheim trat ein.

Zu jeder andern Zeit hätte Ravensburgk der vornehmen Haltung, der gelassenen Miene, der feinen Form, in welcher Dornheim ihn begrüßte, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Aber die Entdeckung, die er eben gemacht, hatte ihn vollständig seiner sonst unerschütterlichen Kaltblütigkeit beraubt.

Mit ungemessenem Hochmuth über den Spielpächter hinweg blickend, trug er sein Anliegen wie eine harte Forderung vor.

Als er ihm die zarten Standesgefühle des blauen Blutes auseinander setzte, wurde sein Blick durch eine Bewegung Dornheim’s auf diesen gezogen. Er blieb überrascht an ihm haften.

Dornheim hatte sich aufgerichtet. Wie ein Ebenbürtiger stand er ihm gegenüber. Und ebenbürtig war auch der Hochmuth, mit dem er jetzt aus den halbgeschlossenen Augen Ravensburgk ansah und erwiderte: „Mein Herr, ich verstehe und achte Ihre und Ihrer Standesgenossen Besorgniß, bedaure aber unendlich, sie nicht von Ihnen nehmen zu können. Der Angriff des Schwindlers auf meine Person ist gänzlich bedeutungslos, und die Auzeige, welche ich dem Gericht zu machen gedenke, wird desselben nicht erwähnen. Ich bin aber meiner Ehre, – ja wohl, meiner Ehre,“ betonte er und ein Blick von Stahl traf Ravensburgk, „schuldig, daß der wahre Name meines ehemaligen Kroupiers zu Tage kommt. Ich würde dem Grundsatz meines ganzen Lebens untreu werden, wollte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_379.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2021)