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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Besichtigung der Panzerplatte nach dem ersten Schusse.

ein neuer Riß wahrzunehmen. Das Geschoß ging in Trümmer und beschädigte die über die Platte hinausragende Seitenmauer und die Decke des Schutzbaues. – Der Versuch war zu Ende, die Platte hatte sich bewährt, sie besaß nach den drei wuchtigen Angriffen noch Widerstandskraft genug, um noch einem vierten Schuß, wenn man ihn abgefeuert hätte, trotzen zu können. Dieser Erfolg muß um so überraschender erscheinen, wenn man die Treffpunkte der drei Schüsse genauer betrachtet. Die Entfernung des zweiten und dritten Schusses von dem ersten hatte nur 0,85 Meter beziehentlich 1 Meter und die Fläche des von diesen drei Punkten eingeschlossenen Dreiecks nur 0,35 Quadratmeter betragen, während die treffbare Fläche der Platte überhaupt 12,5 Quadratmeter enthält. Da es nun undenkbar ist, daß im Ernstsalle eine und dieselbe Platte dreimal mit solcher Wucht getroffen werden könne, so wird sicher ein aus solchen Platten zusammengestellter Panzerthurm jedem denkbaren Angriffe mit heutigen Geschützen Stand halten. – In jenen für die Kriegswissenschaft denkwürdigen Tagen von Spezia hat mit der Firma Gruson auch die deutsche Industrie einen glänzenden Triumph gefeiert. Der Bau der unüberwindlichen Panzerthürme wird nunmehr sofort in Angriff genommen werden, und Jahre lang wird der 12achsige 23 Meter lange Frachtwagen mit der schweren Panzerlast auf den Geleisen der Eisenbahnen fortrollen, von der Niederung der Elbe hinauf in die Alpenberge, durch den Schoß des mächtgen Gotthard und dann hinunter zu den Gestaden des südlichen Meeres; Tausende werden ihn anstaunen und bewundern und in ihm ein Zeichen der Wunder wirkenden Menschenkraft erblicken, bis die Panzerthürme vor Spezia wie Giganten dastehen werden – ein gewaltiger Schutz Italiens, ein stählernes Denkmal deutschen Fleißes und Geistes.

C. Falkenhorst.


Was will das werden.?
Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)
Fünftes Buch.


Fünf Tage später – in der letzten Stunde eines schwülen Sommerabends – stand vor einem jener uralten, windschiefen, mit jedem Stockwerk ein wenig vorspringenden Häuser, welche sich in langer Zeile an dem Innenhafen von Hamburg hinziehen, ein junger Mensch und betrachtete ein großes Schild, auf welchem ein Schiff gemalt war, das mit vollen Segeln durch grasgrüne Wogen strich. Unter dem Schiff las man in großen Bnchstaben: Nach Amerika. Darunter in kleiner Schrift: Billett-Ausgabe nach New-York, Philadelphia, Boston, New-Orleans und Australien. Wieder darunter: Geldwechsel.

Der junge Mensch war ich, und das Schild betrachtete ich nur so aus Langeweile, denn, wenn ich auch nach Amerika wollte, so war dies nicht meine Route. Ich hatte vielmehr mein Billet bereits in der Tasche. Es lautete auf einen südamerikanischen Hafen mit dem Segelschiff „Cebe“, Kapitän Karl Haltermann: und mein alter Spielgenoß aus den Knabenjahren, Fritz Brinkmann, hatte es mir besorgt.

Fritz Brinkmann war Untersteuermann auf der „Cebe“, und der Kapitän war auch aus unserer Stadt, ein älterer Mann, den ich vom Ansehen wohl gekannt hatte, und der um der Landsmannschaft willen und weil mich Fritz Brinkmann so warm empfohlen, ein Auge über den gänzlichen Mangel an Legitimationspapieren bei mir zudrücken und mich mitnehmen wollte.

Ich aber hatte Fritz Brinkmann gestern Morgen hier am Hafen zufällig getroffen. Die Freude des Wiedersehens war auf beiden Seiten gleich groß gewesen und ich hatte den braven Burschen ohne Weiteres mit meiner Lage so weit vertraut gemacht, als es für ihn nothwendig war. Ich sagte ihm, daß nach dem Tode des Vaters meine Verhältnisse immer mißlicher geworden seien, bis ich den Entschluß gefaßt habe, Europa den Rücken zu kehren und in Amerika mein Heil zu versuchen. Mit Geld sei ich hinreichend versehen, um die Ueberfahrt nach New-York in der zweiten Klasse eines Postdampfers bezahlen zu können. Aber, abgesehen davon, daß dabei fast mein ganzes kleines Kapital draufgehen und ich so ziemlich pfenniglos drüben ankommen würde, mache man mir wegen meiner Legitimationlosigkeit Schwierigkeiten, die mich beinah schon mit der Polizei in bösen Konflikt gebracht hätten. Ob Fritz keinen Rath wisse?

Nun, und der gute Fritz hatte Rath gewußt. Ganz glatt lief die Sache freilich auch jetzt noch nicht, und Vorsicht und Geheimniß waren dringend geboten, wenn auch über die Schiffe nach Südamerika, die im Außenhafen vor Anker lagen, eine so scharfe Kontrole nicht geübt wurde und zumal die „Cebe“, die nur gelegentlich Passagiere beförderte, kaum etwas nach dieser Seite zu fürchten brauchte. Gegen das Gesetz verstieß der Kapitän immer, wenn er mich hinter dem Rücken der Polizei mitnahm, und so hatte er sich denn den Dienst, den er mir leisten sollte, nicht nur ganz anständig, wie Fritz meinte, bezahlen lassen, sondern diesem auch auf die Seele gebunden, daß er mich „auf seine Gefahr“ an Bord zu schaffen, das heißt: wenn er dabei abgefaßt würde, „vor dem Riß zu stehen habe“. Er – der Kapitän – werde in diesem Falle von der ganzen Geschichte „nichts nicht wissen“.

Fritz hatte gesagt, er habe es auch nicht anders verstanden, und was die Gefahr betreffe, so „pfeife er darauf“.

Zwischen mir und Fritz aber war verabredet worden, daß wir uns Punkt neun Uhr vor dem Saxonia-Hotel begegnen, den Abend – er hatte zu dem Zweck vom Kapitän Urlaub erhalten – mit einander zubringen und Punkt zwölf Uhr von einem ihm bekannten völlig sicheren und verschwiegenen Jollenführer an Bord rudern lassen wollten.

Das Saxonia-Hotel war mein Hotel: von all’ den schiefen, wurmstichigen Häusern am Hafen das schiefste und wurmstichigste; trotz senier drei Stockwerke, über denen nach rechts und links je ein Giebel aufragte, nicht höher, als die zweistöckigen Nebenhäuser, welche auch nicht eben hoch waren. Die Fenster klebten dicht nebeneinander und bildeten, da das Haus sich nach der Mitte zu gesenkt hatte, anmuthige Kurven. Nur die beiden oberen Reihen (nebst den Giebeln) gehörten zum „Hôtel“; zu ebener Erde und in dem Souterrain hatten neben und über einander noch ein Holz- und Kohlenhändler, ein Uhrmacher und ein Wein- und Spirituosenhändler Raum gefunden.

Vor diesem interessanten Gebäude, welches ich auf meiner Wanderung nun schon ein paar Dutzend Male passirt – jedes Mal dem Himmel dankend, daß ich in der gräßlichen heißen Koje

da oben in dem Giebel rechts nicht noch eine Nacht zuzubringen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_402.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2019)