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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Nein, der Mann ist brav in seiner Art, aber roh und halb verwildert in der Einsamkeit. Seit dem Tode seiner Frau kommt er kaum noch in Berührung mit Menschen, und sein Haushalt unterscheidet sich nicht von dem des ersten besten Bauern. Das ist schwerlich eine passende Umgebung für einen heranwachsenden Knaben, am wenigsten für den Enkel des Grafen Steinrück.“

Albrecht, der hinter dem Stuhle seines Vaters stand, machte eine Bewegung, der alte Graf zog nur finster die Brauen zusammen, aber er entgegnete mit voller Schärfe:

„Ich besitze nur einen Enkel, das Kind meines Sohnes, und ich bitte Sie, das im Auge zu behalten, Hochwürden, wenn von jener Angelegenheit die Rede ist.“

Die milden Augen des Priesters richteten sich ernst und vorwurfsvoll auf den Sprechenden.

„Verzeihung, Herr Graf, aber der legitime Sohn ihrer Frau Tochter hat doch wohl Anspruch auf diese Bezeichnung.“

„Gleichviel, er existirt als solcher nicht für mich, wie jene Heirath überhaupt nie für mich und die Meinigen existirt hat.“

„Und dennoch haben Sie meine Bitte gewährt, als Michael –“

Der Graf stutzte. „Michael?“ wiederholte er langsam.

„Der Name des Jünglings! Kannten Sie ihn nicht?“

„Nein, ich habe das Kind ja überhaupt nicht gesehen, als es Wolfram zur Erziehung übergeben wurde.“

„Von Erziehung konnte bei einem Manne von dem Bildungsgrade Wolfram’s wohl keine Rede sein, und doch hätte sie gerade hier vieles gut machen müssen. Michael war schon als Kind verwahrlost, verwildert und verschüchtert zugleich durch das unstäte Leben, das er so lange mit seinen Eltern geführt hat. Ich habe mich allerdings seiner angenommen und ihn unterrichtet, so viel das bei der weiten Entfernung der Försterei möglich war.“

„Haben Sie das wirklich gethan?“ Es klang eine offenbar unangenehme Ueberraschung aus der Frage.

„Gewiß, ein anderer Unterricht war in der Abgeschiedenheit nicht zu ermöglichen, und ich konnte doch nicht annehmen, daß der Knabe geistig verkommen und verbauern sollte in jenem Lebenskreise. Diese Strafe für das Unrecht seiner Eltern wäre doch allzu hart.“

Es lag ein schwerer Vorwurf in den einfachen Worten, und er mußte wohl treffen, denn es flog ein zorniges Aufleuchten über Steinrück’s Züge.

„Hochwürden, welchen Einblick Sie auch in unsere Familiengeschichte erhalten haben, Sie urtheilen als ein Fremder, und da mag Ihnen Manches hart und unbegreiflich erscheinen. Ich habe als Haupt des Hauses die Ehre unseres Namens zu wahren, und wer diese Ehre antastet und befleckt, der wird hinausgestoßen aus meinem Hause und aus meinem Herzen, sei es auch mein eigenes Kind! Ich that, was ich mußte, und wenn die furchtbare Nothwendigkeit noch einmal an mich heranträte, ich würde das Gleiche thun.“

Es lag eine eiserne Entschlossenheit in diesen Worten. Valentin schwieg, er mochte wohl fühlen, daß eine solche Natur sich keinem Priesterwort beugte.

„Gräfin Louise ruht im Grabe,“ sagte er endlich, und seine Stimme bebte leise, als er den Namen aussprach, „und mit ihr der Mann, dem sie angetraut war! Ihr Sohn steht allein und schutzlos da, ich bin gekommen, für den Jüngling zu erbitten, was Sie jeder fremden Waise gewähren würden, die Sie in Ihren Schutz genommen haben, eine Erziehung, die ihn befähigt, dereinst in die Welt und in das Leben zu treten. Bleibt er in Wolfram’s Händen, so ist das ausgeschlossen, er taugt dann höchstens noch für das halbwilde Dasein auf irgend einer einsamen Bergförsterei, für eine Bauernexistenz. Wenn Sie, Herr Graf, die Verantwortung dafür übernehmen können und wollen –“

„Genug!“ unterbrach ihn Steinrück heftig, indem er sich erhob. „Ich werde die Sache in Erwägung ziehen und dann Bestimmungen über Ihren Schützling treffen, verlassen Sie sich darauf, Hochwürden.“

Der Pfarrer stand gleichfalls auf, er sah, daß die Unterredung zu Ende war, und hegte wohl auch nicht den Wunsch, sie zu verlängern.

„Mein Schützling?“ wiederholte er. „Möge es auch der Ihrige werden, Herr Graf, ich glaube, er hat ein Recht darauf.“

Und mit einer kurzen, ernsten Verneigung sich von den beiden Herren verabschiedend, verließ er das Gemach.

„Das war ja ein eigenthümlicher Besuch!“ sagte Albrecht, der sich bisher völlig schweigsam verhalten hatte. „Was giebt denn diesem Pfarrer das Recht, sich in unsere Familienangelegenheiten zu mischen?“

Steinrück zuckte die Achseln.

„Er war früher der Beichtiger unserer Verwandten und nimmt noch jetzt eine Vertrauensstellung bei ihnen ein, trotzdem er hoch oben in einem einsamen Alpendorfe lebt. Er und kein Anderer sollte Steinrück zu Grabe geleiten. Ich werde ihm aber klar machen, daß ich priesterlichen Einflüssen nicht zugänglich bin; ganz zurückweisen konnte ich ihn nicht, da er es war, der damals meine Hilfe für den verwaisten Knaben anrief, so wenig, wie ich jene Hilfe verweigern konnte.“

„Nun ja, man mußte für den Buben sorgen, und das ist auch geschehen,“ stimmte Albrecht in sehr kühlem Tone bei. „Du hast die Sache damals allein in die Hand genommen, Papa; dieser Wolfram – ich erinnere mich noch dunkel des Namens – stand ja wohl früher als Jäger in Deinen Diensten?“

„Ja, mein Fürwort verschaffte ihm die Försterstelle bei unserem Vetter. Er ist verschwiegen und zuverlässig und kümmert sich überhaupt nicht um Dinge, die über seinen Horizont hinausgehen. Er fragte auch damals nicht, was für eine Bewandtniß es mit dem Knaben hatte, den man ihm anvertraute, sondern that, was ihm befohlen wurde, und nahm ihn in sein Haus.“

„Wo er jedenfalls am besten aufgehoben war. Du wirst darin doch keine Aenderung treffen?“

„Das wird sich finden. Zunächst will ich ihn einmal sehen.“

Albrecht stutzte, und eine sichtlich unangenehme Ueberraschung prägte sich in seinen Zügen aus.

„Wozu denn das? Weßhalb ihn uns persönlich nahe bringen? Dergleichen unliebsame Dinge schiebt man doch möglichst weit von sich.“

„Das ist Deine Art,“ sagte der Graf scharf. „Die meine ist es, diesen Dingen Stand zu halten und Auge in Auge mit ihnen zu rechten, wenn es nothwendig ist." Er stampfte in plötzlich ausbrechender Heftigkeit mit dem Fuße. „Verkommen und verbauern sollte, als Strafe für das Unrecht seiner Eltern! Das muß ich mir ins Antlitz sagen lassen von diesem Priester.“

„Ja, es fehlte nur noch, daß er die Eltern vertheidigte,“ warf Albrecht spöttisch ein. „Und Michael haben sie ihren Buben genannt! sie haben es gewagt, ihm Deinen Namen zu geben, den alten, traditionellen Namen unseres Hauses, das ist doch offenbarer Hohn.“

„Es kann auch Reue gewesen sein,“ sagte Steinrück finster. „Dein Sohn heißt allerdings Raoul.“

„Nicht doch, er ist nach Dir getauft und trägt Deinen Namen.“

„Im Kirchenbuche! Genannt wird er Raoul, dafür hat Deine Frau von Anfang an gesorgt.“

„Es ist der Name von Hortense’s Vater, an dem sie mit kindlicher Pietät hängt. Du weißt das ja und hast es niemals getadelt.“

„Wenn es nur der Name allein wäre. Aber es ist nicht das Einzige, was mir an meinem Enkel fremd ist. Raoul hat auch nicht einen Zug der Steinrück, weder im Gesicht noch im Charakter, er gleicht einzig seiner Mutter.“

„Nun, ich dächte, das wäre kein Nachtheil für ihn. Hortense hat von jeher für eine Schönheit gegolten, Du ahnst nicht, welche Triumphe sie noch feiert.“

Die Worte klangen scherzhaft, fanden aber keinen Anklang, der alte Graf blieb kühl und ernst.

„Daher stammt vermuthlich auch ihre Anhänglichkeit an den Schauplatz dieser Triumphe. Ihr seid ja mehr in Frankreich, bei ihren Verwandten, als daheim. Die Besuche werden immer häufiger und dauern immer länger, und jetzt ist sogar die Rede davon, Dich unserer Gesandtschaft in Paris zu attachiren. Dann hat Hortense ihren Willen vollends durchgesetzt.“

„Ich muß doch gehen, wohin ich gesandt werde,“ vertheidigte sich Albrecht, „und wenn man gerade mich wählt –“

„Willst Du mir etwa Deine diplomatischen Erfolge anführen?“ unterbrach ihn der Vater mit herbem Spott. „Ich weiß es besser, welche geheimen Federn da spielen, und der Posten ist wahrlich unbedeutend genug. Ich hatte doch mehr von Deiner Laufbahn erwartet, Albrecht! Es standen Dir Wege genug offen, um wenigstens einigermaßen zur Geltung zu gelangen, aber dazu gehört Ehrgeiz und Energie, und die hast Du nie besessen. Jetzt bewirbst Du Dich um eine Stellung, die Du nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_411.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)