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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Vermuthlich: er gehörte nicht zu den Leuten, die sich mit müßigen Plänen ihre Zeit verderben.

Das gab schon eine lange Reihe, und wer von den alten Bekannten mochte sich nicht noch angeschlossen haben! Aber dann: ich war längst kein Knabe mehr, und das Schicksal hatte während meiner Jünglingsjahre hinreichend an mir herumgehämmert, daß es nicht seine Schuld, wenn es mich nicht zum Manne geschmiedet, der sich durch die Einreden der Freunde nicht aus seinem Wege drängen ließ. Thor, der ich mir den frischen Muth mit solchen Phantasien beschwerte! Woher sollten die Einreden kommen, wenn die höchste Wahrscheinlichkeit dafür sprach, daß ich von allen den Genannten auch nicht einem in der Riesenstadt jemals auf meinen dunklen Lebenspfaden begegnen würde! Oder wollte ich, daß sie mir begegneten und mir ausredeten, was ich mir eben auch nur eingeredet? Dann hätte ich nur gleich bei meinem alten Handwerk bleiben können.

Sie machten mir den Abschied schier schwer, die guten Gesellen, meine Herren Kollegen, und die Damen, meine liebenswürdigen Kolleginnen. Wir kannten uns alle einander erst seit ein paar Monaten, aber die gemeinschaftliche Misère hatte uns längst zu den besten Freunden gemacht. Nie hatte es ein unfreundliches Wort zwischen uns gegeben, und es gab wahrlich keines an dem letzten Abend, an welchem sie mich wegfeierten. Auf gemeinschaftliche Kosten natürlich – es war so ziemlich Alles zwischen uns gemeinschaftlich – auf der Bühne selbst, auf der wir uns eben noch in einem schauderhaften französischen Sensationsstück abgequält, und die uns der Direktor zu dem Zwecke großmüthig zur Verfügung gestellt, auf die Gefahr hin, daß die „alte Scheune“ – es war wirklich nur eine alte, ein wenig herausgeputzte Scheune – bei der Gelegenheit in Feuer aufging. Ich saß zwischen Fräulein Peller, unsrer ersten Liebhaberin, einem gutmüthigen Mädchen von unbestimmtem Alter, und Frau Sorge-Schellhorn, der Anstandsdame und Heldenmutter, einer würdigen Matrone, deren Jahre mit denen der weißköpfigen Krähe rivalisiren mochten. Mir gegenüber Lamarque, der bei dem Symposion – das Kouvert eine Mark, inclusive Bowle – den Vorsitz führte. Ich erinnere mich nicht, daß wir etwas Nennenswerthes gegessen haben; aber die Bowle war unergründlich, Ach, und welche prächtigen Anekdoten stiegen aus ihrer Tiefe – funkelnagelneue von der heutigen Vorstellung, in der wir alle „geschwommen“ hatten, und solche, die sich schon Roscius und seine Kollegen erzählt haben mochten, und von denen alle ausnahmslos mit demselben schallenden Gelächter begrüßt wurden! Und welche Reden! eine immer schöner und länger und rührender als die andre, daß die Damen in Thränen zerflossen, und wir Männer uns schier die Hände wund drückten! Und welche improvisirte Possen und übermüthige mimische Karrikaturen, daß wir Männer uns die Seiten hielten, und die Damen erklärten, sie könnten nicht mehr lachen!

Und dann hatte unser Baß-Buffo (der allerdings tief zu tauchen verstand) irgend wie doch den Grund der Bowle gefunden, und dann gab’s ein Schluchzen und Küssen und Umarmen, als wäre mit dem fahlen Morgenlicht, das durch die Soffiten fiel, der jüngste Tag angebrochen, und nicht einer wie die andern auch, an dem nur eben ein Kollege, den nach vierundzwanzig Stunden Keiner vermissen würde, von dannen ziehen wollte.

Außer Lamarque wußte Keiner, was ich vorhatte, sondern sie meinten, ich ginge nach Berlin, mir ein neues Engagement zu suchen. So wagte auch Keiner – dem alten schauspielerischen Aberglauben folgend – mir „gut Glück“ auf die Reise zu wünschen, als sie mich in corpore zur Bahn gebracht hatten, und ich in dem Wagon (dritter Klasse) am Fenster stand und ihnen, Einem nach dem Anderen, aus dem Fenster noch einmal stumm die Hand zum Abschied reichte.

Aber sie wünschten mir Glück nichts destoweniger. Ich sah es an ihren Gesichtern. – Lebt wohl, ihr lieben, verrunzelten, verschminkten Gesichter, über deren manchem in diesem Augenblick eine so ehrliche Thräne rinnt! Lebt wohl! auf Nimmerwiedersehen!

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Auch ein Siegesfest. (Mit Illustration S. 429.) „Heisajuchheisa Dudeldumdei! Da geht’s hoch her!“ So braucht es nicht bloß in Wallenstein’s Lager zu heißen, dieser Jubelschrei paßt auch für die friedlichen Feldlager ländlicher Festfreude überall, wo das Volk noch kerngesunder Lustbarkeit fähig ist. Zu den bestimmten Landvolksfesten gehören neben den alljährlichen Kirmsen die in guter Jahreszeit von Wirthen oder auch von Gesellschaften veranstalteten Ausschießen oder Auskegeln von allerlei Werthgegenständen; dazu wählt man auch Thiere und giebt häufig Gänsen oder Schweinen den Vorzug. Unser Künstler führt uns zu einem Feste, welches dem Borstenthier gewidmet war und dessen Sieger auf der Kegelbahn soeben im Triumph herumgetragen wird, während man das erkegelte Gewinnstück nöthigt, den Triumphzug zu eröffnen.

Der Verlauf eines solchen Volksvergnügens ist in der Regel ein einfacher und gewohnheitsfester. Wo es, wie in Thüringen und Franken, so Gebrauch ist, bilden Bratwürste und Bier die ganze Speisekarte. Oft tanzt die Jugend schon während des Kegelns oder Schießens im Freien. Sicherlich geht es aber nach dem Preiswettkampfe zum Tanzsaal, da tobt die Lust sich kräftig aus, und wenn am Schluß noch als außerordentliche Zugabe eine Prügelei ihre Helden mit Beulen ziert, so muß wohl auch das zum Ländlichsittlichen gerechnet werden.

Unser Künstler läßt von einem solchen Ausgang seiner Schweine-Auskegelei nichts ahnen. Wir sehen nur die verschiedenen Auslassungen der Freuden des Tags. Es ist mit diesem Bilde ihm wieder eine der vielen Dorflust-Darstellungen, mit denen er namentlich seine Thüringer Landsleute schon so oft erfreut hat, herrlich gelungen. Wilhelm Zimmer ist selbst ein Thüringer. Am 16. April 1853 in dem „Arbeitsmekka der Thüringer Frauenwelt“ (vergl. „Gartenlaube“ 1866, S. 89), in Apolda als der Sohn eines Strumpfwirkers geboren, wurde für diese Haupt- und Hausthätigkeit nicht nur seiner Familie, sondern seiner ganzen Vaterstadt auch er bestimmt. Nach einjähriger Lehrzeit kam er zu einem Lithographen nach Weimar und erlebte dort die glückliche Entdeckung seines Talents. Denn da er zugleich die dortige Zeichenschule besuchte, so fand der berühmte Landschafter, Graf Stanislaus von Kalckreuth, welcher 1860 in Weimar eine Kunstschule gegründet hatte, die er selbst bis 1876 leitete, Gelegenheit, in diesem Apoldaer so viel eigenthümliche Begabung zu finden, daß er ihn in sein Institut aufnahm und der Ausbildung desselben seine besondere Theilnahme widmete. Seitdem hat Zimmer seine fruchtreiche Schaffenslust fröhlich walten lassen und für dieselbe ein Gebiet gewählt, das ihm immer frischen Stoff zu liefern im Stande ist, das Dorfleben und zwar vorzugsweise in seiner Heimath.

Der Fischmarkt in Amsterdam. (Mit Illustration S. 437.) Eine der interessantesten, sowohl durch ihr Aussehen als durch ihr Volksleben fesselndsten Regionen Amsterdams war mir stets der Nieuwe Markt mit seiner nächsten Umgebung, besonders dem Zee Vischmarkt. Ein Besuch desselben lohnt sich weniger wegen der verschiedenen Meeresprodukte, die dort feilgeboten werden, als wegen der interessanten Volkstypen, welche der Fremde dort zu beobachten vermag. Zwei darunter sind es, welche uns sofort in die Augen fallen und unsere Theilnahme voll in Anspruch nehmen. Unter den kräftigen, in Holzschuhen („Klompen“) umherwandelnden Männern, welche ihre Fischkörbe zur Stelle bringen, erkennt man unschwer den holländischen Fischer. Das sind wahrhaft merkwürdige Leute. Ob der Fischer auf der See mit Wind und Wogen ringt, nur seinen Lebensunterhalt zu finden, ob er angelangt am Strand den Ertrag seiner Mühen zu bergen trachtet und sorgfältig sichtet, was für eigenen Verbrauch oder Winterbedarf gehört, und vor Allem, was zum Handel sich eignet und blankes Geld für den Haushalt liefern soll; ob er endlich, heimgekehrt nach seiner Hütte, mit Weib und Kindern an Netz und Fischereigeräthen hantirt, oder nach dem städtischen Fischmarkte zieht – stets liegt ein tiefer Ernst in seinen Mienen und Bewegungen, und gelingt es, den Mann in ein Gespräch zu ziehen, so erhält man da gute und bedachte Antworten, die aber selten weiter gehen, als die Frage. Nur die Thätigkeit und Umsicht des holländischen Fischers erklären den großartigen Erfolg seiner mühseligen Arbeit. Kein Zeitpunkt wird übersehen, und wäre das Wetter, wie es häufig genug vorkommt, auch nicht günstig; keine Chance wird unversucht gelassen, tage- und wochenlang treiben die Fischer auf der See, um jeden Augenblick zu erhaschen, der dem Unternehmen günstiger werden will. Um Fischer zu sein, muß der Mann vorerst ein vorzüglicher Schiffer sein und ist es auch im vollsten Maße, denn mit den primitivsten Instrumenten, einem einfachen Kompaß u. dergl. unternimmt der ernste Holländer, den wir auf dem Fischmarkte so gemessen seinen Beschäftigungen nachgehen sehen, in seinem Boote die weitesten Reisen bis an die Shetlandsinseln, ja bisweilen bis in die Nähe von Island und findet seinen Rückweg nach der heimathlichen Küste.

Den vollendeten Gegensatz zu diesen ernsten Gestalten bilden die freundlichen Nixen, welche mit ihrem blonden, glatt gescheitelten Haar, ihren hellen klaren Augen, wohlgefärbten Wangen und ihrer freilich mitunter etwas derben Frische von dem Menschenschlage in den Niederlanden eine recht günstige Meinung erwecken. Ich meine die Dienstmädchen, welche des Morgens sich unter den Käuferinnen auf dem Fischmarkte zahlreich einfinden und wegen ihrer kleidsamen Tracht auch sonst zur Staffage des holländischen Straßenlebens dienen. In den Niederlanden huldigt man nämlich noch immer der anderwärts längst überwundenen Ansicht, wonach es weder gut noch schicklich sei, daß Frau und Dienerin in ihrem äußeren Erscheinen keinen Unterschied zeigen, und selbst die einfachste Bürgersfrau sieht strenge darauf, daß die Magd in ihrer Kleidung sich innerhalb der durch die Sitte vorgeschriebenen Grenzen bewege. Diese verlangt nun für die Dienstmädchen Sommers und Winters schmucklose Kleidung aus meist weiß und violett gestreiftem Kattun, weiße Schürze und Häubchen, schwarze Schuhe und weiße Strümpfe, welche unter dem Röckchen zum Vorschein kommen. Alles muß stets von tadelloser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_439.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2021)