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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


„Zu Befehl. Aber der Orden – die Ordenszeichen pflegen der Herr Graf ja stets selbst zu verwahren.“

„Gewiß, ich habe ihn auch heute selbst herausgenommen. Es war der große Stern mit den Brillanten. Hast Du denn nicht bemerkt, daß das Band gelöst war?“

Der Diener schüttelte den Kopf.

„Ich habe den Stern gar nicht gesehen, ich kam ja nur auf einen Augenblick in das Zimmer, als der Herr Graf den Befehl hinsichtlich des Wagens ertheilten.“

Steinrück blickte mit dem äußersten Befremden auf das leere Etui nieder.

„Du bist seitdem nicht im Zimmer gewesen?“

„Mit keinem Schritte.“

„Auch sonst Niemand?“

„Doch, der Sohn des Försters blieb allein hier, als ich ging, den Wagen zu bestellen, und ich glaube, er ist ziemlich lange allein geblieben.“

Es lag ein deutlich ausgesprochener Argwohn in diesen Worten, aber der Graf machte eine heftig abwehrende Bewegung.

„Thorheit, davon kann keine Rede sein! Ist wirklich kein Anderer hier gewesen? Besinne Dich.“

„Nein, Herr Graf, es hat Keiner auch nur den Korridor betreten.“

„Aber das Schlafzimmer – es hat freilich keinen eigenen Eingang.“

„Nur die Tapetenthür, und die führt direkt in die Zimmer der Frau Gräfin.“

Steinrück erbleichte, seine Hand krampfte sich unwillkürlich zusammen, aber noch wehrte er sich gegen den aufsteigenden Verdacht.

„Sieh nach!“ sagte er kurz. „Der Stern muß sich finden, unter den Papieren oder den Büchern, vielleicht habe ich ihn verlegt.“

Und ohne die Hilfe des Dieners abzuwarten, begann er selbst zu suchen. Er wußte genau, daß er den Stern in das Etui gelegt und dies offen gelassen hatte, trotzdem wurde jedes Papier aufgehoben, jedes Buch nachgesehen, sogar die einzelnen Fächer aufgezogen, vergebens, das Vermißte fand sich nicht.

„Es ist nicht da,“ sagte der Diener endlich leise. „Wenn es hier in dem offenen Etui gelegen hat, so bleibt nur eine Erklärung.“

Steinrück antwortete nicht, aber auch er zweifelte jetzt nicht mehr. Also Diebstahl! Gemeiner niedriger Diebstahl! Das brachte das bis an den Rand gefüllte Maß des Hasses und der Verachtung zum Ueberlaufen.

Es folgte ein sekundenlanges Schweigen, der Diener stand da und wartete auf Befehle, zu sprechen wagte er nicht, denn das Gesicht seines Herrn erschreckte ihn, so hatte er es noch nie gesehen.

„Ist Wolfram noch im Schlosse?“ fragte der Graf endlich.

„Ich glaube wohl, er wollte noch zum Kastellan.“

„So rufe mir seinen Sohn her. Aber kein Wort von dem Vorgefallenen, auch gegen den Förster nicht, Du überbringst nur den Befehl.“

Der Diener entfernte sich, und einen Moment lang legte Steinrück die Hand über die Augen. Das war furchtbar! Und doch, war es denn so ungeheuerlich bei einem Sproß aus solchem Stamme? Daß er keinen Tropfen von dem Blute der Mutter in sich hatte, verrieth schon sein Aeußeres, und jenes andere Blut, das der Vater auf ihn vererbte, nun das zeigte sich eben jetzt und zeigte, daß man das Recht und die Pflicht hatte, es auszustoßen. Fort damit!

Der Graf stand wieder aufrecht da, mit der alten eisernen Entschlossenheit, als Michael eintrat, der keine Ahnung hatte, was der erneute Ruf bedeutete, aber ihm nur widerwillig folgte.

„Schließe die Thür,“ gebot Steinrück, „und komm näher!“

Diesmal war kein zweiter Befehl nothwendig, Michael gehorchte ohne Zogern. Er stand jetzt vor dem Grafen, der das Auge durchbohrend auf ihn richtete und ihm dabei das leere Etui entgegenhielt.

„Kennst Du das?“ fragte er anscheinend ruhig.

Der Gefragte schüttelte langsam verneinend den Kopf, er begriff die seltsame Frage nicht.

„Es lag hier auf dem Schreibtische,“ fuhr Steinrück fort, „aber es war nicht leer, wie jetzt, ein Stern mit funkelnden Steinen befand sich darin. Hast Du den auch nicht gesehen?“

Michael besann sich, das mußte der funkelnde Gegenstand gewesen sein, der so gleißend aufblinkte im Sonnenschein, den er aber nicht weiter beachtet hatte.

„Nun, ich warte auf Antwort,“ sagte der Graf, ohne das Auge von seinem Gesicht zu lassen. „Wo ist der Stern geblieben?“

„Wie soll ich denn das wissen?“ fragte Michael, immer mehr verwundert über dies seltsame Examen, die Lippen des Grafen zuckten in tiefster Bitterkeit.

„Also Du weißt es wirklich nicht? Scheinst doch nicht so beschränkt zu sein, wie Du Dich anstellst, wenigstens spielst Du trefflich Komödie. Wo ist der Stern geblieben? Ich will es wissen, heraus damit!“

Der drohende Ton der letzten Worte machte dem Jüngling endlich die Wahrheit klar, er stand da wie vom Blitze getroffen, so entsetzt, so fassungslos, daß er im Augenblick gar nicht fähig war, sich zu vertheidigen, und das nahm Steinrück den letzten Zweifel, es sah in der That aus wie Schuldbewußtsein.

„Gesteh’, Bube!“ sagte er, mit gedämpfter Stimme, aber mit einem furchtbaren Ausdruck. „Gieb das Gestohlene heraus und danke Gott, wenn ich Dich dann laufen lasse. Hörst Du nicht? Deine Diebsbeute sollst Du herausgeben!“

Michael zuckte zusammen, als habe er eine Wunde empfangen, im nächsten Augenblick aber fuhr er auf.

„Ich ein Dieb? Ich soll –“

„Still!“ unterbrach ihn Steinrück heftig. „Ich will keinen Lärm, kein Aufsehen, aber Du kommst nicht von der Stelle, bis Du gestanden hast. Gestehe!“

Er faßte ihn hart am Arm, und seine Hand verstand es, festzuhalten, sie schloß wie eine eiserne Klammer, doch mit einem einzigen kraftvollen Ruck hatte sich Michael losgerissen.

„Lassen Sie mich!“ keuchte er. „Sagen Sie das nicht noch einmal – nicht noch einmal, oder –“

„Willst Du mir etwa noch drohen?“ rief der Graf, der diesen Ausbruch für den Gipfel der Frechheit hielt. „Wahre Dich, Bube! Noch ein Wort, und ich vergesse, daß ich Dich schonen muß.“

„Ich bin aber kein Dieb!“ schrie Michael gellend aus. „Und wer mich so nennt – den schlage ich zu Boden!“

Zugleich riß er einen schweren silbernen Armleuchter von dem nächsten Tische und schwang ihn wie eine Waffe gegen den Grafen, dieser trat einen Schritt zurück, nicht vor der drohenden Bewegung, sondern vor dem Anblick, der sich ihm bot. War denn das noch derselbe junge Mensch, der vorhin hier gestanden hatte, mit dem leeren, träumenden Gesicht, dem scheuen blöden Wesen? Jetzt bäumte er sich auf wie ein verwundeter Löwe, bereit, sich auf den viel stärkeren Gegner zu stürzen, maßlose Wuth und maßlose Wildheit in jedem Zuge. Und die Augen Steinrück’s, die so vernichtend niederflammten, trafen auf ein anderes Augenpaar, dunkelblau wie das seinige und in diesem Moment auch flammend wie das seinige, es war ein starres, athemloses Anschauen, aber so sah kein Feigling und so sah auch kein Dieb aus.

Da flog die Thür auf – man mochte im Vorzimmer wohl die lauten, drohenden Stimmen gehört haben – der Förster stand auf der Schwelle und hinter ihm zeigte sich das erschrockene Gesicht des Dieners.

„Bube – bist Du unsinnig geworden?“ schrie Wolfram, indem er seinem Herrn zu Hilfe eilte und Michael an der Schulter packte, doch dieser schüttelte ihn ab, wie ein angeschossenes Wild die Meute, schmetterte dann wüthend den Leuchter zu Boden und stürzte nach der Thür. Hier aber vertrat ihm der Diener den Weg.

„Halten Sie ihn auf!“ rief er dem Förster zu. „Er darf nicht fort, er hat den Herrn Grafen bestohlen!“

Wolfram, der eben Miene machte, sich seines Pflegesohnes zu versichern, hielt entsetzt inne.

„Der Michel – ein Dieb?“

Ein Aufschrei brach aus der Brust des Gequälten, so wild und verzweiflungsvoll, daß Steinrück rasch dazwischen trat. Er wollte Halt gebieten, aber es war zu spät, schon taumelte der Diener, von einem Schlage getroffen, seitwärts, und Michael stürzte, wie gejagt von dem furchtbaren Worte, an ihm vorüber, zur Thür hinaus.

(Fortsetzung folgt.)




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