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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Das Allerheiligste der Kunst – die Gemäldeausstellung – mit ihren schier zahllosen Schätzen zu beschreiben, muß ich den Kunstbewanderten überlassen. Ich könnte höchstens die Vermuthung aussprechen, daß auch Sie – ohne Hinweis von Seiten der Kundigen – vor den beiden Perlen der Ausstellung stehen bleiben und einmal eines der größten Virtuosenstücke und einmal das Produkt höchster Kunsteinfachheit bewundern würden: Gussow’s und Herkomer’s Portraits einer Dame!

Denken Sie sich zwei große Bilder auf einem weißen Hintergrunde – plastisch zum Erstaunen.

Nur in die Tiefen der gefalteten Hände legte Gussow einen dunklen Ton. Alles ist weiß. Der ganzen Lehre von Schatten und Licht wird ein entzückendes Schnippchen geschlagen!

Herkomer aber, verschmähend alle kleinen Partikelchen, durch welche dieses Bild zu seiner großen Wirkung gelangt, grub einen lebenden Menschen in die Leinwand ein. Man möchte auf die schöne Frau zugehen und ihr die Hand zum Gruße bieten. – Kein Schmuck! Selbst die wundervollen Arme dem Beschauer zu zeigen, verschmähte der Realist. Hochgeknöpfte Handschuhe verbergen die Formen und die Farben; nur oben quillt das vornehme Weiß der Arme zwischen den edlen Linien hervor. – –

Von der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin: Osteria im Ausstellungspark.

Ich stand oben auf dem Plateau der Osteria, welche unser Bild wiedergiebt. Von dem gerade anwesenden genialen und unermüdlichen Arrangeur der Künstlerfeste, dem Bildhauer Neumann, hatte ich mir die Erlaubniß zum Eintritte in das sonst nur den Künstlern und ihren Familien geöffnete „Bijou“ erwirkt. Ich ließ mein Auge über den ganzen Park schweifen. Noch erschienen die elektrischen Flammen wie fremde, ein unberechtigtes Dasein führende Lichter; nur ihre silberfarbenen Töne wirkten mit, um das schöne Bild noch eigenartiger zu machen. Zur Rechten dehnt sich die mit Bäumen besetzte Avenue – eine zweite Lästerallee des zoologischen Gartens – aus. Alles ist dichtgedrängt von Menschen; Tausende wandeln auf und ab. Aus dem Grün der Bäume und Gebüsche schimmern die Lichter wie funkelnde Sonnen. Noch heller strahlt’s hervor aus dem Kafé, besetzt mit hundert Tischen und zahllosen lachenden, schwatzenden und lärmenden Menschen. Bald wälzt sich der Strom vorüber, bald wendet er sich links über die Brücke und entschwindet zeitweilig dem Auge. Mitten aus der großen Fläche erhebt sich eine dichte Waldpartie, durchleuchtet von den Lichtern der kleinen Pavillons und märchenhaft verschönt durch den Millionstaub der silbernen Fontainen, die über den grünen Gebüschen emporsteigen.

Hoch ragt die Kuppel des Haupt-Restaurants empor. Alles ist von Licht umstrahlt, die Militärkapelle spielt; in den Sälen und Glasveranden sitzen Hunderte über Hunderte, ebenso viele drängen, eilen, schleppen, zögern an einander vorüber – ein endloser Rundgang – ein summendes, gurrendes, von der Musik übertöntes Geräusch tönt herüber – Lachen erschallt – Kinder haschen sich – Kellner eilen – Berlin ist lustig!

Nun taucht hinter mir ein vorüberbrausender Zug auf. Wie eine glühende langgestreckte Raupe erscheint und verschwindet dieser. – Stille tritt ein. Die Musik schweigt zeitweilig. Es paßt die größere Ruhe zu dem Eindruck, den ich jetzt, zur Linken mich wendend, empfange. In der Abenddämmerung steigt der riesige vornehme, hochaufgetreppte Tempel von Olympia-Pergamon empor. Ernst, würdevoll, umflossen von einem heiligen Etwas der Unnahbarkeit – ein Sitz der Götter – fesselt er das Auge. Mächtige dorische Säulen stützen das Giebelgebälk, das den Prachtbau krönt. Menschen steigen langsam hinauf und schreiten herab. Winzig erscheinen sie, und Ehrfurcht, meint man, müsse sie durchdringen, wenn sie sich dem Zeusaltar nähern. – Vor dem Tempel – von hier gesehen weniger störend für den Gesammteindruck – der Obelisk, einst im iahre 1878 von Kyllmann und Heyden erbaut als Ovation für unseren großen Kaiser, jetzt – zur Ausführung geplant – noch einmal als Modell dem Beschauer geboten.

Weiterhin, näher der Osteria, bleibt der Blick haften an dem altägyptischen Tempel mit seinen großen eingelassenen Pharaobildern. Ruhende Sphinxe flankiren den Eingang des von Säulen getragenen, mit Inschriften und Zeichen geschmückten und durch eine Kolossalstatue von Ramses gehobenen großartigen Baues. Zu vollerer Wirkung gelangen diese Nachbildungen älterer Kunst durch die flachere und weniger belebte Umgebung. In ihrer einsamen Größe wirken sie überraschend.

Ich steige hinab und trete in die Osteria ein. Diese Kopie einer zum Theil auf altem Gemäuer aufgebauten, durchweg von Künstlern besuchten italienischen Schenke ist so eigenartig schön, daß eine Beschreibung – die beste – hinter der Wirklichkeit zurückbleiben muß. Jedes Künstlerauge wird davon entzückt sein. Mit dem äußersten Raffinement ist jeder kleinsten Einzelheit Rechnung getragen, und doch wirkt das Ganze durchaus unabsichtlich.

Man hat keine träge, abgenutzte Farbe verschmäht, keine Unregelmäßigkeit, keine Spuren des Alters und des Gebrauchs.

Von der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin: Der ägyptische Tempel.

Die hochaufstrebende Säule mit dem Heiligen, der Treppenaufgang, die Seitenmauer, das plätschernde Wasser, das von Weinlaub umrankte Dach, die Wände mit ihrem ziellos aagebrachten Schmuck, das innere mit seiaen Säulen, den besponnenen Flaschen und Zwiebelgewächsen, das kleine Küchenfenster und das Büffett, die Tische, die Stühle – und vor Allem die mit einer wahrhaft genial–übermüthigen Laune von den ersten Künstlern Berlins bemalten Wände – das Alles muß man sehen.

Und zum Schluß bitte ich Sie, noch mit mir einzutreten in das Innere der großea Bauten. Im Pergamon-Tempel breitet sich, von der Sonne umflossen, in den eigenthümlich gedämpften Farben des Südens das Halbpanorama der Stadt und der Burg von Pergamon aus.

Berge, Hügel, Kunststraßen, Plateaus, Villen, Paläste, Tempel, Riesentreppen, Volk, Menschen, Heerzüge, Reiter, Krieger, Elefanten, Gärten, Stillleben, Einsamkeit, ein Häusermeer und eine in Schönheit eingetauchte traumhafte Gegend im Hintergrunde! Die Maler Kips und Max Koch haben diese gewaltige Aufgabe in vollendeter Weise gelöst.

Der ägyptische Tempel enthält das von einer Reihe hervorragender Künstler gemalte Diorana, welches in seinen einzelnen zum Theil äußerst gelungenen Bildern überseeische Begebenheiten zum Ausdruck bringt und an Bekanntes oder Charakteristisches anknüpft. Voran steht Stanley am Kongostrom, dann folgen Nachtigall’s Bestattung, eine Elefantenjagd (äußerst plastisch gemalt), Blutsbruderschaft des mehrfach genannten Dr. Peters mit einem afrikanischen Sultan und endlich eine Flottendemonstration vor Sansibar.

Inzwischen hatte sich vollständige Dunkelheit auf die Erde gelegt.

Als ich die Stufen des ägyptischen Tempels herabstieg, war das elektrische Licht bereits zu seinem Recht gelangt und hatte dem Himmel ein Blau verliehen, als sei ein Riesenpinsel gleichmäßig hinübergeglitten, um das Schönheitsbild zu vervollständigen. Rauschendes, schneeweißes Wasser, ein blauer Himmel, hundert bunte Farben, grüne Bäume und Gebüsche, Spitzen, Thürme, Kuppeln, Fahnen, bewegtes Leben in den Wegen und auf den Plätzen, lustige Fanfaren aus den Musikhallen – und Alles umflossen und verklärt und tageshell erleuchtet von den elektrischen Lichtströmen. Und nun kommen Sie selbst und erfreuen Sie sich an den Eindrücken der Jubiläums-Ausstellung in Berlin!




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_457.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2022)