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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

unglaublichen Anstrengungen gewachsen. In wenigen Stunden jagte er seine Rosse von den Ufern des Starnberger Sees hinauf in die entlegensten Hochthäler des Gebirgs. Aber wenn er so durch die Bergthäler dahinritt, verfolgte ihn, zwischen den dunklen Fichten ihm nacheilend, deutlicher und immer deutlicher der Schatten seines schrecklichen Geschicks – schneller, als der schnellste Hengst des Königs. Und wenn er im kleinen Boote, im Schlepptau seines Dampfers, sich durch die heiteren Wasser des Starnberger Sees ziehen ließ, dann pochte wieder jene schreckhafte unsichtbare Hand von unten her an die Planken des Schiffchens; sie pochte an die Bahnzüge, die den jungen Monarchen aus einer Einsamkeit in die andere führten, und an die vom Nachtsturme gerüttelten Wände seiner weltentlegenen Einsiedeleien.

So kam das Jahr 1866 und der deutsche Bruderkrieg. Ueber die politische Gesinnung des Königs während jenes Krieges ist wenig bekannt geworden. Ob mit oder ohne seine innere Zustimmung – jedenfalls folgte er damals der öffentlichen Meinung seines Landes und den Rathschlägen seines Ministeriums.

Als nach jenem Kriege der Friede geschlossen war, da schien es noch einmal, als ob die Pflichten des Staatslebens und die Liebe seines Volkes den König auf eine lichte, freie, glückliche Bahn herausführen könnten aus seiner Verschlossenheit. Denn geradezu in Entzücken versetzte er sein Volk, als er eine Reise durch sein Land antrat und in den bayerischen Städten durch seine Schönheit und durch eine unvergleichliche Liebenswürdigkeit alle Herzen eroberte. Es waren Wochen voll ungetrübten Glanzes, Wochen jubelnder Begeisterung.

Sie kehrten nicht wieder.

In der Münchener Hofburg saß unsichtbar jener schreckhafte Schatten und harrte der Wiederkehr seines Opfers.

Und abermals machte der König unbewußt einen Versuch, jenem Schatten zu entrinnen. Er verlobte sich im Jahre 1867 mit Prinzessin Sophie, einer Tochter des Herzogs Max in Bayern. In weiteren Kreisen erregte diese Verlobung Freude, weil man hoffte, die Ehe würde den König mit dem Volke, mit seiner Residenz, mit seinem Hofe in nähere Berührung bringen. Mancher aber mochte schon damals zweifeln, daß der König diesen Schritt mit jener Erfahrung und in jener glücklichen Seelenstimmung gethan habe, die zum Gedeihen dieses Verhältnisses nöthig war.

Die Zweifler hatten Recht. Mochten die beiden fürstlichen Verlobten, oder nur eins von ihnen zu der Erkenntniß gekommen sein, daß sie nicht für einander paßten; oder mochte irgend ein romanhaftes Ereigniß zwischen sie getreten sein: gewiß ist, daß die Verlobung noch in demselben Jahre gelöst wurde, in welchem sie geschlossen worden war. Die ehemalige Verlobte des Königs ist heute Herzogin von Alençon. Für den König aber war die Liebe seit jener Zeit ein verschlossenes Buch, ein verschlossenes Glück.

Und immer deutlicher und deutlicher vernimmt nunmehr die Umgebung des Königs das Pochen jenes unsichtbaren Grausens am Leben des Monarchen. Anfangs klingt es bloß wie ein etwas befremdender Ton, wie ein flüchtiges Räthsel; mit den Jahren immer vernehmbarer und schreckhafter.

Noch erschienen die Seltsamkeiten des Königs als bloße Liebhabereien. Mit vollem staatsmännischen Bewußtsein noch vertauschte er das Ministerium von der Pfordten gegen das Ministerium Hohenlohe, welches den durch die Schöpfung des norddeutschen Bundes geänderten deutschen Verhältnissen gerecht ward. So sehr er schon damals die Einsamkeit liebte, fanden doch ab und zu hervorragende Männer Audienz bei ihm. Dann vernahm man aus seinem Munde Aussprüche, welche vom edelsten Gedankenfluge, von politischem Scharfblick und patriotischen Zielen Zeugniß gaben. Als im Jahre 1870 die Frage der päpstlichen Unfehlbarkeit auftauchte, stellte sich der König mit Entschiedenheit auf die Seite seines gelehrten Freundes Döllinger. Und nach der Kriegserklärung Frankreichs an Preußen stand Ludwig rückhaltlos mit seinen Bundesgenossen für die Ehre Deutschlands und Bayerns ein.

Damals war’s, wo zum letzten Mal die Volksstimme mit begeisterter Mahnung an das Ohr des Monarchen drang. Es war am 17. Juli Nachmittags. Der König war von Berg nach München gekommen. Als es bekannt geworden war, daß er sich für die Theilnahme am Kriege entschieden hatte, beschloß man in München, ihm die freudige Zustimmung der Bevölkerung kundzugeben. Tausende und aber Tausende sammelten sich Nachmittags unter den Fenstern der Residenz an. Als der König am Fenster erschien, trat ein Mann aus der Menge vor auf die Terrasse der Feldherrnhalle und brachte ein Hoch auf den König aus. Und brausender, tausendstimmiger Jubel drang aus der dichtgescharten Masse wie ein Sturmgebet zum König empor.

Es war sein größter Tag.

Denn als nach Monden gewaltigen blutigen Ringens der fränkische Feind darniedergezwungen war und König Ludwig seinem ehrwürdigen Bundesgenossen die Kaiserkrone antrug, geschah diese deutsche That schon nicht mehr in freier Begeisterung. Hinter dem Könige stand das unsichtbare Schreckgespenst seines Lebens und ließ ihn jene That verzögern, die ihm für ewige Zeiten einen ruhmvollen Platz in der deutschen Geschichte gesichert hätte. Und als der Friede geschlossen war und das siegreiche bayerische Heer in die Mauern seiner Hauptstadt einzog mit seinen zerscharteten Waffen, da scholl wohl noch stürmischer und jauchzender die Volksstimme durch die Gassen. Aber der beste Theil ihres Jubels galt den treuen Soldaten und ihrem heldenmüthigen Feldherrn, nicht mehr dem Könige, der verdüstert an der Spitze der Armee ritt.

Seit jenem Tage ward er ein Irrender für sein Volk. Es begann jenes Traumkönigthum, welches durch fünfzehn lange Jahre einen Kreis von Sagen um das Haupt des unsichtbar gewordenen Herrschers spann. Fünfzehn Jahre lang kannte das bayerische Volk seinen Fürsten fast nur aus dem Munde des Gerüchtes.

In der Hauptstadt sah man ihn zuletzt nur noch während weniger Wochen im Winter. Und da nur im Vorüberfliegen. Wohl sammelten sich in der Abenddämmerung die Leute vor dem Thore der Residenz, das gegen fünf Uhr sich aufthat, um ein Viergespann zu entsenden, welches in hastigem Laufe den vereinsamten Fürsten in die Baumgänge des englischen Gartens hinunterführte. Aber von jener begeisterten Liebe, die einst dem jugendlichen Monarchen zugejauchzt hatte, war wenig mehr vorhanden. Ungern sah man das Heer von Gendarmen, welches den Park während der Spazierfahrt des Königs besetzt hielt; das gutmüthige Volk von München fühlte sich gekränkt durch dieses übertriebene Mißtrauen. Dafür schwirrten, anfangs bloß geflüstert, dann lauter und immer lauter, unglaubliche Gerüchte von Mund zu Mund. Zuerst erzählte man sich bloß von überreichen Geschenken, mit welchen der König seine Günstlinge überhäufte; dann von seltsamen und immer seltsameren Launen, die ihn beherrschten. Man vernahm von Freundschaftsbündnissen, die er schloß und wieder auflöste, von seinen geheimnißvollen Theatervorstellungen, seinen einsamen Maskeraden, seinen Inkognitoreisen; und endlich wurden alle die anderen Gerüchte überwältigt von den Berichten über die märchenhaften Bauwerke des Königs.

Das Größte aber, das Schrecklichste, was man vernehmen konnte, vernahm nur er selbst und seine nächste Umgebung: das Herannahen des Wahnsinns, der immer dräuender an die Königsschlösser pochte.

Je tiefer der Geist des Monarchen umnachtet ward, um so mehr rückte er sein Leben aus dem Tage in die Nacht hinüber. Die Stuude, in welcher er zur Ruhe ging, wanderte allmählich von Mitternacht immer weiter vor bis zum hellen Morgen. Es war, als könne er das Licht der Sonne nicht mehr ertragen. Und je unnatürlicher diese Lebensweise sich gestaltete, um so kleiner ward der Kreis von achtbaren Männern, mit welchen er noch in Berührung kam. Die letzten Rathgeber, welche noch die Wahrheit anzudeuten wagten, stieß er auch von sich; Lakaien und Stallknechte wurden seine zitternden Gespielen; aller Verkehr mit der Regierung geschah nur mehr schriftlich.

Mit wahrhaft bewunderungswürdiger Pünktlichkeit und Ruhe that während dieser langen Jahre die Staatsmaschine ihren Dienst. Wenn jemals die konstitutionelle Monarchie eine Feuerprobe zu bestehen hatte, so war es in Bayern während der letzten Regierungsjahre Lndwig’s II. der Fall. Pflichttreu und unerschüttert arbeitete der Beamtenorganismus vom Premierminister bis hinunter znm letzten Gerichtsboten. Der Staatshaushalt blieb fest und geordnet; wichtige Gesetze wurden geschaffen; das Verhältniß Bayerns zum Reiche gestaltete sich in bester Weise, und selbst heftige innere Parteikämpfe erschütterten nichts an den Grundfesten des Staatswesens. Und – was diesem Staatswesen wohl am meisten Ehre macht – so nahe die Versuchung gelegen wäre, daß Schmeichler und gewissenlose Streber in die Nähe des Königs und in sein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_486.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2022)