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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

unheimliche Spukgestalten. Um hier vorwärts zu kommen, mußte man manchmal glatt auf dem Bauche uuter einem Riesenstamme durchkriechen und sich durchwinden und dabei Acht geben, daß man nicht plötzlich in ein von Himbeersträuchern verdecktes Sumpfloch gerathe. Der geübte und mit dem Terrain vertraute Forstmann, welcher eine der ungangbarsten Stellen gewählt hatte, um uns ein gründliches Studium des Urwaldes möglich zu machen, sah mit leisem Schmunzeln den verzweifelten Anstrengungen der Schreibtischmenschen zu. Nach einer starken Stunde des tollsten Herumkletterns, wobei wir uns oft hin und her winden und ducken mußten, hatten wir die Sache satt und begehrten nach kultivirtem Wald. Der Adjunkt brachte uns auch wieder auf die Straße. Zum Durchschreiten des Urwalds in beliebiger Richtung hätten wir mindestens zwei Stunden gebraucht. Ich war aber in der einen schon müder geworden, als bei all’ meinen Aufstiegen im Böhmerwalde und bei zwölfstüudigem Tagemarsche.


Was will das werden?
Roman von Friedrich Spielhagen.
(Fortsetzung.)
8.

Viel zu früh für Adele und mich, die beiden Glücklichen, die sich einander mit Fragen bestürmten, auf welche selten eine Antwort folgte, kamen Graf Pahlen und Adalbert aus dem Nebengemach.

„Verzeihen Sie die Mystifikation,“ sagte der Graf, mir mit einem herzlichen Lächeln die Hand reichend; „ein so scheuer Vogel wie Sie will vorsichtig behandelt sein. Wer konnte wissen, ob der seltsame Zufall, der uns zusammengeführt, Ihnen dieselbe hohe Freude bereiten würde wie uns; und um die Ueberraschung wäre es jedenfalls geschehen gewesen, wenn ich Ihnen meinen wahren Namen genannt hätte.“

„Er wäre dann gar nicht gekommen!“ rief Adele, mich von neuem umarmend.

„Wenigstens hat er mit seinen alten Freunden gründlich Versteckens gespielt,“ sagte Adalbert.

„Wie wär’s, Adele, wenn Du uns ein Glas Thee oder Punsch zurecht machtest?“ sagte der Graf. „Es plaudert sich dabei doch besser, und ich meine, wir, die wir hier sind, haben einander gar viel zu erzählen.“

Adele war gleich bereit und eilte geschäftig ab und zu, während der Graf Cigarretten anbot, von denen auch Adalbert nahm zu meiner Verwunderung – er hatte früher das Tabakrauchen verabscheut. Ich erinnerte ihn daran; er zuckte die Achseln.

„Ich fürchte, Du wirst mich auch sonst sehr verändert finden.“

Ich fand es in der That, wenigstens so weit es sein Aeußeres betraf. Gestern, wo ich ihn nur von ferne sah, mußte mir das entgehen. Er schien um zehn, ja um noch mehr Jahre gealtert zu sein. Die früher jugendlich feinen Züge waren stärker geworden und trotzdem schärfer, die weiße Stirn steiler und breiter, die Brauen zogen sich dunkler über den grauen Augen, die durchdringender blickten, während die dünnen Lippen, welche jetzt ein kurzgeschorener Schnurrbart beschattete, sich, wenn er schwieg, fester auf einander schlossen – Alles in Allem ein Gesicht, wie es einem geborenen Herrscher zukam, und in das ich doch, bei aller Bewunderung, nicht ohne bange Wehmuth blicken konnte: es lag auf der imperatorischen Großheit ein so tiefes, hoffnungsloses Weh, besonders wenn er, was freilich selten genug geschah, lächelte: es war dann wie der Scheideblick der Sonne über einem erhabenen Meer, während von der anderen Seite schon die Nacht heraufzieht.

Ich hütete mich, meine Beobachtungen laut werden zu lassen, ja, vermied es, ihn weiter prüfend anzublicken, wurde freilich dann auch von Adele, die jetzt mit dem Samovar wieder ins Zimmer kam, ganz in Anspruch genommen. Auch mit ihr war eine große Veränderung vorgegangen, aber, wo möglich, noch zu ihren Gunsten, trotzdem ihre frühere reizende jugendliche Fülle und Frische verschwunden war. Die Gestalt war schlanker, das Gesicht schmaler und blasser, auch der helle Silberglanz ihrer Stimme hatte sich vertieft; aber sie war mir nie so schön und vornehm erschienen damals als Châtelaine in ihrer prächtigen Villa, umgeben von all den tausend kostbaren Brimborien einer eleganten Dame, wie jetzt in dieser dürftigen, alles Luxus’ und Komforts entbehrenden Mansardenwohnung, an deren ungedecktem Theetisch sie nun hausfraulich waltete mit einem Schürzchen über der dunklen, völlig schmucklosen Kleidung.

Der Samovar sang sein trauliches Lied; aus den Cigarretten der beiden Herren stieg der bläuliche Rauch zu der niedrigen Zimmerdecke und hüllte uns alle in eine behagliche Wolke; munter schwirrte das Gespräch um den runden Tisch, wohl von keinem so gewürdigt und so eifrig gepflegt, wie von mir. Als der Neuling in dem kleinen Kreise, in welchem jeder die Schicksale, Gedanken und Strebungen des Andern längst kannte, war ich, so wie so, vor der Hand der Mittelpunkt des gemeinsamen Interesses, und mir war es Bedürfniß und Lust, mich endlich einmal wieder frei vor freien, hochgebildeten Menschen aussprechen zu dürfen. Hatte ich doch dieses Glück so lange Jahre entbehren, in meinen Schauspielerkreisen immer erst selbst das Gespräch auf höhere Gegenstände lenken müssen, um nur zu bald zu sehen, daß Keiner mich verstand, der Horizont Keines über die klägliche Enge des Metiers hinausging. Hier ging der Horizont so weit Gedanken von Menschen reichen, die sich von keinem Vorurtheil einschränken, sich von keiner hergebrachten Meinung imponiren lassen. Dieses wonnige Gefühl, diese erhebende Gewißheit erfüllten mich gänzlich und ließen mich mein Innerstes erschließen rücksichtsloser, als ich es vielleicht vor mir selbst je gewagt hatte.

Dem Redseligen war vollste Theilnahme geschenkt worden; Adele, neben der ich saß, hatte den Blick nicht von mir gewandt, und bei Schilderungen von Situationen, in denen es mir besonders mißlich ergangen, wie bei denen meiner Hamburger Abenteuer, waren ihre lieben Augen feucht geworden, und sie hatte mir innig die Hand gestreichelt. Und ich hatte die Liebkosung ebenso erwidert, längst befreit von der qualvollen Sorge, die mir im Anfang meiner Erzählung doch noch das Herz bedrückt: es könne in ihrer, Seele eine Ahnung, vielleicht die Gewißheit davon sein, daß ich sie einst mit einer anderen, ach, so ganz anderen Liebe geliebt.

Aber sie spottete so heiter über meine Kurzsichtigkeit, ein Verhältniß nicht durchschaut zu haben, das für Niemand sonst bei Hofe und in der Stadt ein Geheimniß war, zum Erstaunen des Herzogs, der geneigt gewesen, mich in meiner Naivetät für den größten Schauspieler der Welt zu halten, bis er sich Wohl überzeugen mußte, daß meine Unbefangenheit ganz echt war, und er mich gerade deßhalb nur noch mehr geliebt hatte.

„Denn er hat Dich geliebt,“ sagte Adele, „Wohl noch mehr als mich, als sein besseres, reineres, höheres Selbst; das mag Dir auch die Katastrophe erklären, in welcher er so kleinlich erscheint und doch nur bejammerungswürdig ist. Er glaubte, in seinen Gedichten sein Höchstes gegeben zu haben. Und dies Höchste verworfen, von Dir verworfen zu sehen, um derentwillen er stolz auf seine Leistung war, nach dessen Lob und Anerkennung er gebangt hatte, wie ein Schüler nach einem guten Wort des Meisters – das machte ihn rasend und würde auch andere Leute so gemacht haben, die keine Herzöge sind. Aber, Lothar, ich wundere mich schon lange, daß Du kein Wort von Deiner Mutter sprichst. Du kannst uns hier doch voll vertrauen. Alexei ist natürlich längst unterrichtet, und ich hielt es für unnöthig, Deinem Freunde ein Geheimniß aus Deiner Abstammung mütterlicherseits zu machen, nachdem ich ihm nicht verschwiegen hatte, daß wir Geschwister sind. Es ist doch undenkbar, daß es Dir selbst ein Geheimniß geblieben wäre, wenn Du auch vorhin von dem Hauptmotiv Deines verunglückten Auswanderungsplanes, ich meine: von dem Wunsche, Dich wieder mit Deiner Mutter zu vereinigen, ich weiß nicht weßhalb, geschwiegen hast.“

Ich erschrak. Ich hatte geglaubt, daß der Herzog selbst Adelen – gerade Adelen – gegenüber den Schleier nicht gelüftet

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_526.jpg&oldid=- (Version vom 3.4.2019)