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eine ansehnliche Schar von Jünglingen, die dem Ruf des Pfalzgrafen gefolgt waren, und theilweis auch von sehr alten Knaben, die noch oder nochmals in die Studien gehen wollten, wohnte der Feierlichkeit der Eröffnung bei und saß am nächsten Tage in den ersten Kollegien, die gehalten wurden. Wie vielversprechend das Unternehmen war, beweist die Thatsache, daß im ersten Jahre 579 Personen ihre Namen in das Matrikelbuch von Heidelberg eintragen ließen.

In dem kleinen Ort war es natürlich sehr schwierig, sogleich passende Unterkunft für soviel junge Leute zu finden, die noch der Zucht unterstehen mußten; denn es kamen nicht, wie heute, tüchtig vorbereitete und ausschließlich gereiftere Jünglinge auf diese Schulen, sondern zum großen Theil nur mittelmäßig in den Klöstern ausgebildete Knaben, selbst noch unter vierzehn Jahren. Dazu Junker und Adlige, die das Studiren nur als neuen Modesport, anstatt der Turnierspiele, ansahen und zum Deckmantel übermüthiger Streiche, Zechgelage und Raufboldereien nahmen. Der Kurfürst gründete deßhalb im Jahre 1390 das Jakobsstift zur Wohnung und Verpflegung einer Anzahl von Schülern; für die Meister der freien Künste wies er ein altes Kloster an, das „große Kontubernium“ oder die „Realisten-Bürsch“, wo dann nach zahlreichen Stiftungen auch mehr und mehr Studirende unentgeltlich Unterkunft erhielten. Gewisse Bürgerhäuser erhielten Begünstigungen, wenn in ihnen Quartiere für die Studenten hergegeben wurden. Diese Häuser hießen dann Bursen oder Kontubernien, die dort wohnenden Studenten Bursarii, woraus Burschen entstand; sie wurden von „Regenten“, welche meist dem Magister- oder doch Baccalariusstande angehörten, überwacht. Jedes neu ankommende, noch erst in die höheren Studien einzuweihende Menschenkind galt als pecus campi, d. h. Rindvieh, wurde dann nach der Einschreibung ein becanus und einem bursarius überwiesen, dem es als Leibfuchs ein Jahr in aller Weise, auch in demüthigenden Verrichtungen, zu dienen hatte.

Nachdem der Zögling der Hochschule diese Prüfung überstanden, mußte er seinen Umgang bei den einzelnen Mitgliedern der Landsmannschaft halten und sich die Absolution erbitten. Beim Absolutionsschmaus wurde darüber entschieden und im günstigen Falle ihm im Namen der heiligen Dreieinigkeit sein Wunsch erfüllt und das jus gladii ertheilt, das Recht, den Schläger zu führen. Damit war er zum Schoristen befördert, wurde Cursarius und Patron, nach dem entsprechenden Examen dann Baccalarius (gemeinhin irrig Baccalaureus), Licentiat, Magister, Doktor gar. Die aus den Klosterschulen Gekommenen trugen eine halbmönchische Kleidung; die Vornehmen Puffenwams, Hut mit wallender Feder, Pludderhosen und Stulpenstiefel, den gewaltigen Hieber zur Seite. Bei der kecken und herausfordernden Haltung der Letzteren konnte es nicht ausbleiben, daß sie die Bürger oft beleidigten und es dadurch zu bösen Raufereien mit ihnen, oft in größerem Umfang, kam. Im Jahre 1406 fand eine förmliche Schlacht zwischen den übermüthigen Studenten und gereizten Zunftbürgern statt, ganz Heidelberg war in Kriegsausstand, die Sturmglocken läuteten, und es floß Blut in Menge. Das Rektorat beschloß in Folge davon, die Vorlesungen einzustellen. Der Landesherr, damals Ruprecht III., der auch deutscher König war, zauderte ob dieser schlimmen Wendung nicht, sich auf Seite seiner „geliebten Tochter“, der alma mater Ruperta, zu schlagen, und nöthigte in einer einberufenen Versammlung aller Heidelberger Bürger im Augustinerkloster ihnen den Schwur ab, nie die Studiosen zu beleidigen, sondern zu beschirmen; auch ward ihnen bei Todesstrafe verboten, je wieder die Sturmglocke gegen die Musensöhne zu läuten. So kam es zum Frieden, und die Vorlesungen wurden wieder aufgenommen.

Unter den drei Ruprechts, die einander bis 1410 folgten, wurde Heidelbergs Ruhm als Universitätsstadt wie auch als einer der lieblichsten Fürstensitze in Deutschland begründet. Außer der alten Burg auf dem Jettenbühel, jetzt die Molkerei, schaute weiter unten das neue Schloß in seinen ersten prächtigen Theilen auf die reizende Neckarlandschaft hernieder. Die Stadt vergrößerte sich; an fünf-, sechshundert Studenten und Lehrer unterhielten in ihr ein reges, buntes, vielgestaltiges Leben und Treiben. Die Hochschule, wie sie der Augapfel der pfälzischen Wittelsbacher blieb, bewahrte sich auch das besondere Wohlgefallen des heiligen Stuhls in Rom in einer Zeit, die schon offen drohende Ketzereien aufwies. Johann Huß, das Koncil von Konstanz, die Hussitenkriege begannen die bisher unfehlbare Macht des Papstthums zu erschüttern. Ein Vertreter der Universität Heidelberg auf dem Konstanzer Koncil, der theologische Doktor Jauer, hatte energisch die Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern gefordert; aber die Universität selbst war für dergleichen noch nicht empfänglich und gut papistisch allweg. Nach und nach freilich klopfte auch da der neue Geist an und brachte Wirrniß und Zweifel in die Köpfe der gelahrten Herren. Es sollte nicht mehr ausschließlich nach dem Kirchenglauben und gleichsam unter päpstlicher Censur die Wissenschaft behandelt werden, sondern nach den Urquellen des Alterthums und im freien forschenden Geist. Darüber kam es zu Hader und Kampf unter den Heidelberger Theologen und Philosophen. Zwei Parteien entstanden, und zunächst gab auch dies nur dem geistigen Leben der Universität Schärfe und Schwung. Die Artisten, welche der vierten Fakultät angehörten, wurden durchweg Fortschrittler; die Mitglieder der drei anderen Fakultäten, die der theologischen vollends, wurden desto eigensinnigere Reaktionäre. Im Jahre 1518 kam Luther, dieser neue Kämpfer gegen Rom, auch nach Heidelberg, um dort im Augustinerkloster eine Disputation über seine reformatorischen Forderungen zu halten. Der Pfalzgraf lud ihn auf sein Schloß zu Gaste, und die Studenten brachten deßhalb dort in vollem Wichs ihrem erlauchten Oberrektor eine Huldigung.

Aber die Reformation faßte darum doch noch keinen Fuß in Heidelberg. Die Scholastiker und Papisten behielten im Lehrerkollegium das Uebergewicht, die freidenkenderen Humanisten schieden deßhalb aus, und dadurch verringerte sich der Besuch der Hochschule merklich von Jahr zu Jahr. Die Pest und der Bauernkrieg thaten das Uebrige zum höchsten Schaden der Universität, so daß die Studentenzahl schließlich bis auf 42 sank.

Anders wurde es wieder, als nach überstandener Landesnoth Otto Heinrich 1556 zur Regierung gelangte. Während seiner nur dreijährigen ruhmreichen Regierung führte er die Reformation ein, gab der Hochschule ein humanistisches, freiwissenschaftliches Gepräge, zu dem Melanchthon ihm seine Unterstützung lieh, und schuf in der Liebe für die neubeseelte Kunst den nach ihm benannten herrlichen Anbau an dem stolz über Heidelberg ragenden Schlosse. Das glücklichste Zeitalter für die Ruperta eröffnete er durch die wissenschaftliche Freiheit, die er ihr sicherte. Doch blieb der lutherische Charakter der Universität nicht haften, sondern sie wurde nach Otto Heinrich’s Tode durch dessen Nachfolger Friedrich III. eine Hochburg des strengeren calvinischen Bekenntnisses, was zu ihrer nun wachsenden weltbürgerlichen Bedeutung indessen unstreitig sehr viel beitrug.

Um so jäher und tiefer war der Sturz, den sie im nächsten Jahrhundert erfuhr. Der dreißigjährige Krieg machte aus der Pfalz eine Wüstenei, Tilly suchte 1622 die Stadt Heidelberg schwer heim, die kostbare Bibliothek wurde nach Rom als Kriegsbeute abgeliefert, die Universität fristete darnach ein fast erstorbenes, elendes Dasein. Als sie endlich sich von diesen Schlägen wieder erholt, brach die Räuberbande Ludwig’s XIV. unter Melac ins Land mit der Parole: brûlez 1e Palatinat! Das Heidelberger Schloß wurde damals zu der Ruine, die noch heute so wehmüthig und empörend an jene Schreckenszeit mahnt. Vernichtet war freilich weder Heidelberg noch seine versprengt gewesene Hochschule durch diese französischen Mordbrenner, aber die Kraft und der Glanz von vorher waren dahin, und während des ganzen 18. Jahrhunderts, unter der Regierung der katholischen Seitenlinie Pfalz-Neuburg, ging die Universität mehr und mehr in ihrer hohen Bedeutung als nährende Mutter für das deutsche Geistesleben zurück und ihrem Verfalle entgegen. Die französischen Kriege zu Ende des Jahrhunderts, der Umsturz der alten Ordnung im deutschen Reich durch Napoleon stellten die Fortexistenz der pfälzischen Souveränetät und damit der Hochschule Heidelberg vollends in Frage.

In der That, Bayern und die Wittelsbacher verloren 1803 den größten Theil der rheinischen Pfalz und damit Heidelberg. Der neue Herr darüber wurde Baden, dessen Markgraf Karl Friedrich zur Kurfürstenwürde aufstieg. Er war nicht nur bereit, die Universität zu erhalten, sondern ging auch sogleich daran, sie aus ihrem Elend zu heben, neu im Sinne der Zeit und durchaus als Freistätte der Wissenschaft einzurichten. Was einst der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_531.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)