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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Und er sah ihn wieder vor sich, wie er ihn vor Kurzem in den Niederlanden gesehen, den dürren gespenstigen Voltaire mit seinem böswilligen Grinsen auf den Lippen und den Karfunkelaugen … welche Pasquille würde er ausschütten über den Mönchkönig, den Antimacchiavell im Gewand der Cisterzienser … den Ungläubigen, der sich in die fromme Herde gedrängt! Friedrich sah sich auf einmal selbst in dieser Beleuchtung … und der Geist des kecken Spötters kam über ihn. Könnte er nicht jetzt als legendarischer Heiliger der Pucelle von Orleans auf ihren Esel helfen? Oder selbst auf einen Esel steigen, wie der Mönch, der den heiligen Kreuzzug predigte? Fürwahr, ein wunderlicher Heiliger, mit dem schwarzen Skapulier um die Lenden und in der Seele die schwarzen ketzerischen Gedanken!

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Die Ankunft des tief in den Mantel gehüllten Officiers im Kloster war nicht unbemerkt geblieben; ein Späherauge hatte sie belauscht. Dore Schloßmann, des Klosterbauern Tochter, träumte Tag und Nacht von preußischen Uniformen und harrte auf allen Wegen, ob ihr Geliebter, der sie im Zorn verlassen, nicht wieder zu ihr zurückkehren werde. Es war ein tapferer Schulenburger Dragoner, nicht dieses Landes Kind, sondern vom Kriegssturm hergeweht, von der Ostsee-Insel, an deren Kreidefelsen sich die lärmende Brandung bricht. Martin Sture hatte bei flüchtiger Einquartierung ihr Herz erobert: er war ein stattlicher Pommer, die schmucke blaue Uniform hob seine kräftige Gestalt, seine grauen Augen konnten recht siegesgewiß funkeln, wenn er einer Schönen gegenüber stand. Auch waren alle Soldaten des jungen Königs verwegen wie er, und wie er zögerten sie nicht zuzugreifen, wo sie vermeinten, sie hätten ein Recht dazu. Und solche Meinung hat jeder tapfere Kriegsmann, wenn ihm auf seinen Fahrten ein hübsches Mädchen begegnet. Dore war ein echtes Schlesier Kind, nicht drall und prall, wie die Dirnen aus den Hochgebirgen, ein wenig weich und schmachtend und empfänglichen Gemüthes; sie hatte ein paar fragende Augen, die mit jeder Antwort zufrieden waren; denn die Schlesier sind ein träumerisches Völklein, weßhalb auch so viele Dichter in ihrer Mitte erstanden; schroffe Kernnaturen giebt es nicht unter ihnen, und auch die Töchter des Landes haben ein versöhnlich Gemüth und zürnen dem Fremdling nicht, der um sie freit.

So begab es sich denn, daß der Schulenburger Dragoner schon bei seinem ersten Vormarsch Dorens Herz eroberte; sie saßen zusammen auf der Bank am Kachelofen; Martin verzehrte mit Andacht den Sträußelkuchen, den Dore für ihn gebacken, und erquickte sich an einem köstlichen Kirschbranntwein, den auch die Klosterherren nicht verschmähten. Dann patrouillirten Beide zusammen die Dorfgassen hindurch, und so vertraulich war bereits ihr Verkehr geworden, daß sie sich mit Schneebällen warfen und daß Dore mit einem süßen Schauer den kalten Wurf empfing, mit dem Martin den Nacken der Enteilenden traf; denn auch wenn Liebe sich so feindlich gebärdet und wehe thut, strömt sie doch immer ihren geheimen Zauber aus.

So ging es Tag für Tag; an einem Ruhetag der Schwadron widmete Martin alle Zeit, welche die Reveille und Parade, das Striegeln und Putzen des Pferdes übrig ließ, seiner anmuthigen Wirthstochter. Da begab es sich, daß das friedliche Glück in grausamer Weise gestört wurde; Dore erhielt den Besuch einer Muhme, die ihr sonst eine theure Freundin war; doch jetzt war ihr jede Dritte unwillkommen. Das sollte aber noch schlimmer werden; denn die Muhme war ein sehr stattliches Mädchen, hoch und schlank von Gestalt, mit feurigem Blick und bei Weitem nicht so entgegenkommend wie Dore; sie hatte etwas Zurückhaltendes, etwas Ablehnendes in ihrem Wesen. Ihre Mutter stammte aus nördlichen Gegenden, wo so schroffes Wesen zu Hause ist, und die Tochter hatte es von ihr geerbt. Das reizte aber den Schulenburger; er entwickelte alle seine Liebenswürdigkeit, um der schönen Susanne zu gefallen – und für Dore blieb sehr wenig übrig. Je spröder die Muhme war, desto eifriger warb Martin um ihre Gunst. Am Nachmittag war er ganz verschwunden; über Dore kam eine bange Ahnung; sie empfand einen grausamen Schmerz. Und doch war sie zu stolz, Susanne zu besuchen, um nachzusehen, ob er bei ihr sei; sie war schon einmal unterwegs, doch sie kehrte wieder um: lieber sich vergrämen, als sich so fortwerfen an den Ungetreuen. Abends war Tanz in der Scheune; die Schulenburger Trompeter spielten auf: es war viel Lust, Gejauchze und Sporenklang. Doch Martin mied jetzt absichtlich Dore, deren verdrossenes Gesicht ihm mißfiel; immer walzte er mit Susanne, und diese war nicht mehr so abweisend spröde; ihre Augen flammten, ihre Züge bedeckte eine feurige Röthe; sie hing in Martin’s Arm, als gehöre sie für immer dorthin; ja es geschah das Unglaubliche: nach einer wilden Tour drückte Martin sie an sich und küßte sie, und sie ließ sich das ruhig gefallen. Da brach alles verhaltene Weh in Dorens Herzen los; das stille Mädchen stürzte zornentbrannt auf den Dragoner los und warf ihm seine Untreue in den heftigsten Worten vor, leider ohne den gewünschten Eindruck auf den Frevler zu machen. In seinen grauen Katzenaugen leuchtete eine heimliche Schadenfreude auf, und als Dore ihren Sermon geendet, winkte er seinen Kameraden von der Trompete, einen Tusch zu blasen; unter lärmendem Gelächter und schmetterndem Halloh erfüllten diese seinen Wunsch, und laut weinend verließ Dore die Scheune, außer sich über diese Demüthigung, und im Herzen von bitterem Haß erfüllt gegen die Schulenburger und alle Preußen, in denen sie auf einmal nichts sah als freche Ruhestörer, Plünderer und Beutemacher und Verwüster des schönen Schlesiens.

Am nächsten Morgen brachen die Dragoner in aller Frühe nach Wartha auf, dem Städtchen, welches am Eingang des Hauptthals liegt, das ins Herz des Glatzer Gebirgslandes und zur starken Festung Glatz führt. Dort, hieß es, sei der König selbst, um die feindliche Stellung auszukundschaften. Dore hatte von Martin, obschon er bei ihrem Vater im Quartier lag, keinen Abschied genommen; im Laufe des Tages machte sie die unangenehme Entdeckung, daß Susanne verschwunden und, wie sie erfuhr, auch nach Wartha gefahren war. Sehr erklärlich – sie wollte dem Geliebten nahe sein, und da eine Tante von ihr, bei der sie öfters zum Besuche war, in Wartha lebte, so benutzte sie eine Fahrgelegenheit, die sich ihr darbot, um durch die Schneelandschaft nach dem Bergstädtchen zu fahren.

Dore saß mehrere Tage lang verzweifelt in ihrem Kämmerlein … auch am Altar hatte sie gebetet und der heiligen Jungfrau ihr Leid geklagt; doch sie konnte den Schimpf nicht verwinden, den man ihr angethan. Da klopfte es bei ihr, und als sie öffnete, stand Susanne vor ihr. Drohte ihr ein neuer Schimpf? Sie hatte nicht übel Lust über sie herzufallen und ihr ein Leides anzuthun; denn diese war ja die Ursache von all dem Schlimmen, das ihr widerfahren, doch Susanne sah durchaus nicht triumphirend aus; sie kam nicht, um ihre Muhme zu verhöhnen; sie hatte etwas Niedergeschlagenes in ihrem Wesen und streckte ihr zur Versöhnung die Hand entgegen. Dore zögerte, sie anzunehmen, und betrachtete Susanne mit mißtrauischen Blicken; doch diese offenbarte sich bald als eine Leidens- und Gesinnungsgenossin. Martin Sture hatte auch sie nicht im Geringsten beachtet; es schien ihm unbequem, als sie in Wartha auftauchte; ein vornehmes Mädchen, des Apothekers Tochter, hatte dem schmucken Dragoner ihre Gunst zugewendet; er hatte es kaum bemerkt, als er alle möglichen Avantagen davon zu ziehen wußte und den Kameraden gegenüber fast eine hoffährtige Miene annahm. In stürmischen Zeiten kommt Liebesglück im Fluge wie Kriegsglück. Wie lästig mußte es Martin Sture sein, als ihm von Kamenz die Dirne nachgelaufen kam! Er machte kein Hehl daraus und gab’s ihr rundweg zu verstehen, so daß sie in ihrem Stolz sich tödlich gekränkt fühlte. Sogleich trat sie den Heimweg an, zu Fuß, trotz des Schneesturms, der ringsum das Land in seinen Wirbeln zu begraben schien. Gleiches Leid machte die beiden Muhmen wieder zu Freundinnen, sie küßten sich und drückten sich die Hände und gestanden sich, daß sie gleichen Groll gegen den verrätherischen Fremdling im Herzen hegten.

Doch so seltsam ist das menschliche Herz … kaum hatte Dore erfahren, daß Martin auch Susanne im Stich gelassen; als etwas in ihr auftauchte, wie eine leise Hoffnung: er könne wieder zu ihr zurückkehren. Das Kriegsgetümmel ging herüber und hinüber; warum sollte der Schulenburger Vortrab nicht wieder nach Kamenz versprengt werden?

Sie liebte ihn und haßte ihn zugleich … o, sie hätte ihn strafen, sich an ihm rächen, aber ihn dann wieder versöhnt ans Herz schließen mögen. Nur den Andern, den Schulenburgern gegenüber, die sie verspottet, wollte sie nichts von Versöhnung wissen. Susanne wohnte abseits vom Dorf mit ihrer Mutter in einem einsam gelegenen Häuschen. Dore hatte sie besucht, um

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_582.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)