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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

und wiederum aus dem Munde des Weißfisch – erfuhr, dafür tausendmal aus dem Grunde meiner Seele gedankt.“

„Das eben habe ich gehofft,“ rief sie. „Und nun sind wir ja einig. Wie hätte ich in jenem Augenblick vor ihn treten können, arm wie zuvor? Etwa seine Geliebte zu sein wie zuvor, wenn die Reste meiner Schönheit anders noch groß genug waren, ihn abermals zu fesseln? Auf wie lange? Auf Wochen, Monate, Jahre vielleicht, um abermals von ihm verstoßen zu werden wie zuvor? Nimmermehr! Reich mußte ich erst werden um jeden Preis, so reich, wie ich schon damals hätte sein können und in meiner idyllischen Thorheit nicht sein wollte, damit er von seinem Thron zu der Schäferin auf der Haiden hinabsteigen könnte. Von seinem Thrönchen – pah!“

Sie war von dem Fautenil aufgesprungen und ging, wieder die Arme unter dem Busen verschlungen, in dem weiten Gemache mit großen Schritten auf und nieder, und die lange Schleppe des Atlaskleides rauschte und knisterte hinter ihr her.

„Er hätte sich um Katharina Vogtriz-Gilmore schon damals von seiner Herzogin scheiden lassen – der Adel der Vogtriz ist so alt wie der seine und so edel wie der seine, und die Vorfahren der Gilmores, die mit den Puritaner-Vätern nach Neu-England gingen, sind Könige gewesen in England vor Wilhelm dem Eroberer – aber mit Kate Frank, der armen jungen Wittwe eines fahrenden Komödianten! Ja, das weißt Du nicht, denn das hat er Dir wohl sicher verschwiegen, daß ich mich dem ärmsten Liebsten in San Francisko auf seinem Sterbebette antrauen ließ, denn was ich wollte, das wollte ich immer ganz; und ich wollte die Gattin des Mannes gewesen sein, der, als der erste, mein Herz gerührt und den ich geliebt hatte, so gut ich damals lieben konnte. Und damit ich Dir auch das nur gleich sage und kein Geheimniß vor Dir habe: erinnerst Du Dich jenes Abends, als Herr von Ruver zu Dir kam und Dich zu mir zu locken suchte? Weißt Du, was er wollte? – nicht ich – ich schwöre es Dir! Du solltest als mein Sohn aus jener Ehe gelten, die nur eine Stunde gewährt! Weßhalb auch nicht? Du kanntest Deine Abkunft nicht, und Ruver vermaß sich, den Betrug durchzuführen vor jedem Gericht der Welt. Dann wäre auch das letzte Drittel des großväterlichen Erbes in meinen Besitz gekommen, oder – in den der Kirche. Gleichviel – an Deinem Widerstande, Dich auch nur in Verhandlung mit dem Priester einzulassen, scheiterte der ganze Plan. Und als nun Weißfisch dies Bild hier und damit Alles entdeckt hatte und Dir mein Geheimniß preiszugeben drohte, blieb mir keine Wahl: ich mußte Dich vorläufig aufgeben, um wenigstens einen Theil der Erbschaft und mit demselben hoffentlich trotzdem die volle Rache zu retten. Wenn ich dabei den guten Mann, den Du Vater nanntest, bis auf den Tod gekränkt, mich an Dir, meinem Kinde, das ich nicht lieben durfte, ohne die Schmach, die man mir angethan, für gesühnt zu erklären, schwer versündigt habe – ich konnte nicht anders. Ich hatte versucht, mich vor mir selbst zu retten, indem ich, die man so tief gedemüthigt, nun mich selbst noch tiefer demüthigte – bis in den Staub, den ich vordem nicht mit dem Saum meines Kleides gestreift haben würde; bis zur Entsagung von allem, was bis dahin meine Phantasie entzückt, meinen Sinnen geschmeichelt hatte und mir einzig werth geschienen war, daß man um seinetwillen lebe; bis zur Abtödtung jeder Wallung des Gemüthes, ja jeder natürlichen Regung – selbst der Mutterliebe, die sonst der Verderbniß entarteter Frauen gemüther am längsten widersteht – Alles, Alles vergebens! Keine Selbsterniedrigung und keine Askese, kein Wüthen gegen mein Herz und gegen die Natur konnte mich darüber wegtäuschen, daß die alte Schmach noch immer nicht gerächt sei. Das betete kein Gebet weg; davon konnte mich kein Priester im Beichtstuhl absolviren; das brannte so fort in mir wie ein höllisch Feuer.“

Sie war an den Tisch getreten, auf welchem die Erfrischungen standen, trank gierig von dem Wasser und setzte ihre Wanderung fort. Ich war am Kamin stehen geblieben, sie sorgenvoll beobachtend und doch nicht wagend, mich ihr zu nähern oder sie in ihrer Rede zu unterbrechen, von der ich kaum, noch wußte, ob sie dieselbe an mich richtete, oder ob es ein Selbstgespräch sei:

„Er hatte mir während der letzten Jahre wiederholt Briefe geschrieben, die ich Pünktlich beantwortete, und so war zwischen uns eine Korrespondenz entstanden, welche er sein höchstes Glück nannte. Niemand verstände ihn so wie ich; ich sei ihm Freundin und Tochter zugleich, nachdem ihn die Tochter, die er so sehr geliebt, ruchlos verlassen habe. Dann kam er wieder auf Dich zu sprechen, pries die Zeit, die er mit Dir verlebt, als den Silberblick seines Lebens; klagte, daß ihm Alles auf der Welt mißrathe: seine politischen Pläne, sein Mühen um seiner Unterthanen Wohl; und daß ihm dafür zum Entgelt nicht einmal geworden sei, dessen sich doch ein ärmster Mann erfreuen dürfe: die Liebe von Weib und Kind, die Liebe zu Weib und Kind. Ich beklagte ihn, ich tröstete ihn, aber ich machte ihm keine Versprechungen, auch nicht für eine mögliche Zukunft, und er wagte keine Bitte, keine Forderung, die sich darauf bezogen hätten. Da, vor sechs Wochen – es scheint, daß ihn Weißfisch erst um diese Zeit von Deinem Aufenthalt hier unterrichtet hat – ein Brief: Lothar ist in Berlin! und vor acht Tagen ein Telegramm, das mir aber schon nach London nachgesandt werden mußte: Der Platz ist frei, der Dir immer gebührte! Willst Du ihn einnehmen?“

Ein leises unheimliches Kichern, das halb wie verhaltener Jubel und halb wie ein unterdrücktes Stöhnen klang, und dann:

„Willst Du ihn einnehmen? Willst Du die Hand küssen, die Dein Herz zerfleischte? Und, als der Tod euch nicht wollte, euch auseinanderriß – Dich und Dein Kind? – Und könnten Sie mich zu Ihrer Herzogin machen, Herr Herzog, und alle Schätze der Welt mir zu Füßen legen und mir die ewige Seligkeit verbürgen – ich wollte den Platz nicht! Das nur will ich und das soll meine Rache sein : auf den Knieen sollen Sie vor mir liegen, wie ich einst zu den Ihren mit diesem unserm Sohn; und wenn Sie dann denken, daß ich die Arme ausbreiten werde, Sie an mein Herz zu ziehen – fort will ich Sie stoßen, wie Sie einst mich und mein Kind; und lachen, lachen! – lachen so toll!“

Und das schreckliche Kichern von vorhin war zum schrecklicheren Gelächter geworden, einem lauten tollen Gelächter, das nach wenigen Sekunden in eben so lautes fürchterliches Weinen umschlug. Ich war zu ihr geeilt und halb führte, halb trug ich sie, die nun schluchzend an meinem Halse hing, nach einem Sofa, auf das ich sie niederlegte. Aber sie duldete nicht, daß ich nach der Kammerjungfer klingelte: es werde gleich wieder vorüber sein; es sei die Ueberanstrengung der Reise Tag und Nacht; das Uebermaß der Wonne, mich wieder zu haben. Sie sei nicht krank, sie sei auch nicht wahnsinnig, wie ich vielleicht gefürchtet haben möchte.

Ich hatte es in der That gethan. Dies: ihre geplante Rache an dem Herzog, schmeckte doch stark nach Wahnsinn. Und war es kein Wahnsinn und keine wilde Phantasie, war es ein wohlüberlegter Plan, zu dessen Ausführung nur noch meine Einwilligung, mein Beistand zu fehlen schien wo blieb dann meine Seligkeit, die Mutter wiedererlangt, zum ersten Mal in meinem Leben eine Mutter zu haben, deren wunderbare Schönheit nur einer Furie zur Maske diente?

Und die mich zum Genossen der wilden That wollte? Der ich vielleicht nur so viel galt, als ihr meine Mithilfe bei der That nöthig und werthvoll schien? Und die ich in dem Augenblick verlieren würde, in welchen, ich diese Mithilfe versagte? Ein Glück wahrlich so zerronnen, wie gewonnen! Wenn es sich nun mit dem andern, aus dessen Armen ich in diese hier geeilt war, ebenso verhielt? es auch nur ein Trugbild war? und ich der zwiefach geprellte Narr des Glückes?

Es schüttelte mich wie im Fieber. Und wie im Fieber begann ich zu sprechen – neben ihr, der noch immer Hingestreckten, auf dem Rande des Sofas sitzend, ihre kalten schlanken Hände in meinen heißen Händen haltend – wie ein Fieberkranker, der fühlt, wie krank er ist, und den Tod fürchtet und sich mit leuchtenden Farben ausmalt, wie schön doch das Leben und was ihm noch alles an Glück und Wonne das Leben gewähren könnte, gewähren würde, wenn nur der Tod Barmherzigkeit hätte und an ihm vorüberginge.

Wie im Fieber hatte ich begonnen; aber je länger ich sprach, wich das Fieber aus meinen Adern, aus meiner Rede, in der ich meine ganze Seele gab, als stünde ich vor dem ewigen Richter und spräche für meine Seligkeit. Ja, ich konnte nicht selig werden und nicht selig sein, wenn dies geschah: wenn sie, die ich als meine Mutter lieben und heilig halten wollte, nicht hochherzig zu denken, nicht hochherzig zu handeln willens und im Stande war. Wenn ich der Rache traurige Last an ihm sollte büßen helfen, der es so bitter beklagte, als Fürst geboren zu sein und nie zum reinen Genuß des Lebens zu kommen; er, der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_642.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2018)