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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Die glückliche Braut?“

Die Frage klang wie herber Spott. Hans beachtete das nicht, sondern sagte leichthin: „Nun, was ihr künftiges Glück betrifft, so möchte ich gerade keine Bürgschaft dafür übernehmen. Wenn der alte General glaubt, seinen Enkel durch diese Heirath zu bändigen und in Schranken zu halten, so irrt er sich gründlich.“

„Wie so? Was weißt Du von jenem Treiben?“ fragte Michael gespannt.

„Nun, ich höre wenigstens genug davon. Als angehender Künstler wird man ja in alle möglichen Kreise gezogen, und dort bin ich auch einige Male dem jungen Grafen begegnet. Eine bestrickende Persönlichkeit ist er, das ist nicht zu leugnen, genial, ritterlich liebenswürdig, aber ich fürchte – da sind die Damen schon! Soeben fährt ihr Wagen vor, das nennt man pünktlich.“

Er hatte einen Blick durch das Fenster geworfen; vor dem Eingangsthor hielt in der That ein Wagen, aus dem die Gräfin Steinrück und ihre Tochter stiegen. Hans eilte ihnen entgegen in den Garten, und nach einigen Minuten traten die Damen, von dem jungen Künstler geleitet, in das Atelier.

Hauptmann Rodenberg hatte seit jenem Zusammentreffen in Sankt Michael die Damen nicht wieder gesehen, obgleich sie sich schon seit sechs Wochen in der Stadt befanden, aber sie verkehrten fast ausschließlich in den Kreisen der hohen Aristokratie. Die Gräfin erwiderte seine Begrüßung mit gewohnter Liebenswürdigkeit. Sie machte ihm sein Fernbleiben von Schloß Steinrück, trotz ihrer ausdrücklichen Einladung, nicht mehr zum Vorwurf, seit sie in einem Gespräch mit dem General in Erfahrung gebracht hatte, daß der junge Officier, aus irgend einem Grunde, seinem Chef nicht genehm sei. Er wußte das wahrscheinlich, und dadurch erklärte sich ja seine Zurückhaltung hinreichend; die zartfühlende Frau aber fand sich nunmehr veranlaßt, ihn mit verdoppelter Freundlichkeit zu behandeln.

„Wir haben uns lange nicht gesehen,“ sagte sie, ihm die Hand reichend, „und unser letztes Zusammensein in Sankt Michael wurde ja leider durch das Unwohlsein meiner Tochter gestört. Es war sehr unvorsichtig von Hertha, bei dem aufsteigenden Gewitter im Freien zu bleiben und dann den Rückweg im vollen Sturme zu machen; ein Glück, daß wenigstens der Regen in die Thäler niederging, ohne uns zu erreichen, sonst hätte die Erkältung schlimmere Folgen gehabt.“

Michael drückte seine Lippen auf die dargereichte Hand und verneigte sich vor der jungen Gräfin, die damals den ersten besten Vorwand ergriffen hatte, um einem Zusammensein zu entgehen, das nach der stattgehabten Scene für beide Theile unmöglich gewesen wäre. Nur für einen Augenblick hatte er sie nach derselben wiedergesehen, als sie mit ihrer Mutter in den Wagen gestiegen war, und er sich von Beiden verabschiedete. Jetzt aber fiel sie rasch ein: „Es war gar nicht von Bedeutung, Mama; ich bat Dich nur, die Abreise zu beschleunigen, weil ich Deine Aengstlichkeit kenne.“

„Du warst immerhin noch einige Tage unwohl,“ bemerkte die Mutter. „Ich bin überzeugt, daß Lieutenant Rodenberg, oder vielmehr –“ sie warf einen Blick auf seine Uniform. „Sie sind ja indessen befördert worden, wie ich sehe. Ich gratulire, Herr Hauptmann.“

„Seit vierzehn Tagen trägt er diese neue Würde,“ sagte Hans. „Ich habe mir bereits die Gunst erbeten, den künftigen General malen zu dürfen, sobald er im Besitz dieser Charge ist.“

Die Gräfin lächelte. „Nun, wer weiß! Es scheint ziemlich schnell vorwärts zu gehen mit der Karriere des Herrn Hauptmanns. Auch bei uns hat sich inzwischen ein Ereigniß vollzogen, von dem Sie wohl schon gehört haben werden – meine Tochter ist Braut geworden.“

„Ich weiß!“ Michael wandte sich zu Hertha, deren Augen jetzt zum ersten Male den seinigen begegneten. Er war gezwungen, einen Glückwunsch zu ihrer Verlobung auszusprechen; aber wenn sie irgend ein Zeichen der Erregung erwartet hatte, etwas von jenem blitzähnlichen Aufflammen, das bisweilen so verrätherisch aus seiner Kälte und Zurückhaltung hervorbrach, so täuschte sie sich. Seine Verbeugung war ebenso kühl und höflich wie sein Glückwunsch, den er ganz in der herkömmlichen Form abstattete. Er hätte ihn der fremdesten Dame nicht artiger und – gleichgültiger sagen können.

„Gräfin Hertha ist heute einmal wieder unglaublich hochmÜthig!“ dachte Hans, als er die Miene sah, mit der jener Glückwunsch in Empfang genommen wurde. Er führte die Damen jetzt zu dem Gemälde, das den Hauptplatz im Atelier einnahm, aber erst theilweise vollendet war. Die lebensgroße Gestalt des Erzengels hob sich mächtig und wirkungsvoll von der Leinwand ab; nur das Antlitz schien noch nicht fertig zu sein und bedurfte jedenfalls noch einer weiteren Ausführung, während der Kopf des Satans erst skizzirt war. Trotzdem ließ das Bild schon jetzt die Kühnheit und Großartigkeit des Entwurfes, die packende Kraft der Darstellung im vollsten Umfange erkennen, und der junge Künstler konnte zufrieden sein mit dem Eindruck, den sein Werk machte.

Hertha, die zuerst vor das Gemälde trat, zuckte leicht zusammen, und ein fragender, verwunderter Blick traf den Maler, während die Gräfin, die ihr unmittelbar folgte, in lebhafter Ueberraschung rief: „Das ist ja – nein, Hauptmann Rodenberg ist es nicht, aber Sie haben Ihrem Erzengel eine auffallende Aehnlichkeit mit ihm gegeben.“

„Sehr natürlich, da er mir dazu Modell gestanden hat,“ sagte Hans lachend. „Ich habe freilich nur das Charakteristische an seinem Kopfe benutzt, aber das ist wie geschaffen für den Vorwurf.“

Die Gräfin schien ganz hingerissen von dem Bilde und geizte nicht mit ihrem Lobe. Hertha fand den Entwurf genial, die Komposition großartig, die Farbenwirknng herrlich, aber während sie alles Mögliche bemerkte und bewunderte, schien das Gesicht Sankt Michael’s allein nicht ihren Beifall zu finden; sie äußerte auch nicht ein einziges Wort darüber.

Hans machte mit vollendeter Liebenswürdigkeit den Führer und Erklärer in seinem Atelier, da die Damen auch seine anderen Arbeiten zu sehen wünschten. Er hatte soeben einen Karton herbeigeholt, der seitwärts an der Wand lehnte, hatte ihn aufgestellt und bemühte sich nun, ihm die rechte Beleuchtung zu geben. Die Gräfin öffnete inzwischen eine ziemlich umfangreiche Mappe, die seitwärts auf einem Tischchen lag und eine Anzahl von Skizzen und Studien enthielt. Es war die Ausbeute, die der junge Maler von seinem letzten Ausfluge im Herbste mitgebracht hatte: kecke Jäger- und Bauerngestalten in der Gebirgstracht, hier und da ein hübscher Mädchenkopf, ein nur skizzirtes, aber trotzdem sprechend ähnliches Portrait des Pfarrers von Sankt Michael, dazwischen wieder einzelne Wald- und Bergpartien, aber Alles so frisch und lebendig hingeworfen, daß die Gräfin mit immer steigendem Vergnügen ein Blatt nach dem anderen umwandte. Auf einmal aber bemerkte Hans ihre Beschäftigung und kam so eilfertig herbeigestürzt, als gelte es, seine Mappe vor einem Attentat zu bewahren.

„Erlauben Sie, Frau Gräfin – die Mappe liegt äußerst unbequem – ich werde Ihnen die Skizzen selbst vorlegen,“ sagte er hastig, schob mit ebensoviel Eifer wie Artigkeit einen Sessel heran und begann in der That die einzelnen Blätter vorzulegen. Dabei nahm er aber, anscheinend ganz zufällig, eins derselben heraus und legte es bei Seite.

„Soll ich diese Zeichnung nicht sehen?“ fragte die Dame, die mit einem flüchtigen Blick die Umrisse eines weiblichen Kopfes erhascht hatte.

„O, das ist nicht der Mühe werth! Ein bloßer Studienkopf, eine ganz verfehlte Arbeit,“ versicherte der junge Künstler, aber dabei stieg ihm die helle Röthe in das Gesicht. Die Gräfin drohte scherzend mit dem Finger.

„Sieh da, Herr Hans Wehlau scheint seine Geheimnisse zu haben. Wer weiß, was sich da in den Bergen angesponnen hat!“

Hans vertheidigte sich lachend gegen den Vorwurf; als aber die Mappe durchgesehen war und die Gräfin sich dem Karton zuwandte, fand er doch für gut, die „verfehlte Arbeit“ rasch hinter einem Vorhange verschwinden zu lassen, wo sie vor fremden Blicken sicher war.

Hertha stand noch vor dem Gemälde und neben ihr Michael. Er machte diesmal keinen Versuch, sich ihrer Nähe zu entziehen, sondern blieb mit vollkommener Gelassenheit an seinem Platze und sprach von dem Talente und den Aussichten seines Freundes, von der Absicht desselben, sich an der Konkurrenz für ein großes Wandgemälde im historischen Stil zu betheiligen, und von den bereits entworfenen Skizzen dazu. Die zwanglose Richtung, die er damit dem Gespräche gab, war der jungen Gräfin allerdings willkommen, brachte sie aber doch ein wenig aus der Fassung. Sie, die vollendete Weltdame, hätte kaum so vollständig den leichten Gesellschaftston wiedergefunden nach – nach jener Stunde in Sankt Michael.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_647.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)