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5.

Moderne Millionenhäuser pflegen nicht zu fallen, wie alte Sagenpaläste: auf einen Ruck. Diesmal aber schien der Riese sein Werk doch gründlich gethan zu haben. Das Israel’sche Fest hatte am Sonntag stattgefunden. Die Montag-Abendblätter brachten „Privat-Telegramme“ aus New-York, London und Paris über die plötzlich eingetretenen schweren Verlegenheiten einer bekannten großen Firma, die an den genannten Orten und einigen anderen ihre Kommanditen und ihren Hauptsitz in Berlin habe. Aber bereits die Dienstag-Morgenblätter enthielten ausführliche Berichte, mit voller Namensnennung – Berichte, welche in Angabe der Ursachen des Sturzes, je nachdem sie von befreundeter oder feindlicher Seite kamen, vielfach auseinander gingen, aber darin übereinstimmten, daß der Zusammenbruch ein unaufhaltsamer, gänzlicher sei, und die Passiva die Aktiva um mehrere Millionen übersteigen würden.

Auch auf den fürstlichen Luxus, der in dem Israel’schen Hause geherrscht und wohl in erster Linie auf Rechnung „der schönen und pikanten Dame“ komme, welche „der glänzende Mittelpunkt des großen, ihr huldigenden Kreises“ gewesen, wurde mehr oder weniger deutlich, als auf eine der Ursachen des schnellen Niederganges, hingewiesen. Man wollte wissen, daß die Dame eine Reise nach England zu ihren dortigen Verwandten angetreten habe. Ich vermuthete, in Gesellschaft des höchst ehrenwerthen Fred, und wünschte ihr Glück auf den Weg.

Die Verluste meiner Mutter waren ungeheuer, mußten es sein, trotzdem sich dieselben allerdings noch nicht übersehen ließen aus dem sehr triftigen Grunde, daß meine Mutter selbst über ihre Geldangelegenheiten keine Uebersicht hatte. Von Anbeginn war Herr von Ruver der Verwalter des Vermögens gewesen und war es seltsamerweise noch in diesem Augenblick, trotzdem im Uebrigen ein gänzlicher Bruch zwischen ihm und der Mutter stattgefunden hatte.

Vorläufig war der Mann wieder einmal in Rom, konnte die Leitung einer wichtigen Angelegenheit, mit der ihn Seine Heiligkeit betraut hatte, nicht aus der Hand geben; versprach zu kommen, sobald die Möglichkeit dazu vorliege, und gab inzwischen die Versicherung, daß die Verluste ja allerdings groß, aber keineswegs so groß seien, wie meine Mutter, vielmehr ihr Rechtsanwalt anzunehmen scheine.

Dieser Rechtsanwalt war der Principal Adalbert’s, ein, wie ich den Eindruck hatte, ehrlicher Mann, dessen advokatische Weisheit aber nicht über die landläufige Geschäftsroutine hinausging. Oder hatte ihn mir Adalbert auch nur so geschildert? Jedenfalls bedauerte ich tief, daß Adalbert in eben diesen entscheidungsvollen Tagen auf einer Reise in Sachen seiner Partei war und also meiner Mutter mit seinem Rath nicht zur Seite stehen konnte.

Meine Mutter ließ sich das Alles nicht anfechten; ja sie schien nur ein ganz oberflächliches Interesse an der Angelegenheit zu nehmen. Sie lebte zur Zeit nur für mein Stück, dessen Schicksal, wenn man den Zeitungen glauben durfte, eben so endgültig entschieden war, wie der Zusammenbruch der Firma Israel, Löbinsky u. Komp.

Es waren dieselben Dinstag-Morgenblätter, welche über die große und die kleine Kalamität berichteten, betreffs der letzteren in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl mit einer Einstimmigkeit des Verdammungsurtheils.

Ich hatte mir versprochen, ruhig zu bleiben, wie immer die Kritik über mein Stück sich auslassen möge, aber ich gestehe, darauf – auf eine so gänzliche Verwerfung – war ich doch nicht gefaßt gewesen; und ein paar wenige, ruhig gehaltene, das einzelne Gelungene freundlich anerkennende, das Verfehlte maßvoll tadelnde Kritiken, unter denen die des Professor Hunnius die am meisten wohlwollende – wie die in der Zeitung des Pastor Renner mit „Ernst Streben“ unterzeichnete, die gehässigste, – gewährten mir nur einen schwachen Trost. Was bedeutete das Säuseln dieses Lobes gegen den Sturm der Entrüstung, welcher gegen meinen armen Thomas daherbrauste? Nicht wahr, Du theurer Held, das hatten wir uns nicht träumen lassen, als wir unsere erste Bekanntschaft machten da oben in der Giebelstube hinter dem Kornelkirschbaum? als ich Dir begeistert in die schwärmerischen Augen schaute und Dir schwur, ich wolle Dein Andenken zu Ehren bringen und Dein in der Geschichte schwankendes Bild auf ein Piedestal stellen, unvergänglicher denn Erz? Nun habe ich des „Gassenvolkes Windesbraut“ hinter mir her gehetzt auf meinem steilen Pfade aufwärts den Parnaß, wie der Pöbel hinter Dir her johlte auf Deinem Leidensweg zum Richtplatz! Vergieb mir! Ich habe eben meine Kraft überschätzt wie Du die Deine. Und aus Deinen Gebeinen wird Dir doch wohl noch einmal ein Rächer erstehen. Meine Sieger werden sich ihres leichten Triumphes straflos erfreuen und Recht behalten, wenn ich auch meine stillen Zweifel hege, ob ihnen bei ihrem gemeinsamen Kreuzzug gegen den obskuren Autor irgend daran gelegen war, Recht zu üben und Recht zu thun.


6.

Mit diesen trübseligen Gedanken saß ich am Dinstag Nachmittag in der Bibliothek (der Oberst war ausgegangen) über dem Packet Recensionen, welches mir der Sekretär des X-Theaters sauber geordnet vor einer Stunde geschickt hatte. Gestern war der „Münzer“ zum zweiten Mal gegeben worden, wie mir der Sekretär schrieb, „vor gut besetztem Hause und mit womöglich noch größerem Beifall als am ersten Abend.“ Ich sollte deßhalb den Muth nicht aufgeben; trotz der schlechten Besprechungen werde sich das Stück Bahn brechen. Dasselbe meine auch Herr Lamarque. Leider sei derselbe gezwungen gewesen, in einer unaufschiebbaren Privatangelegenheit heute Mittag eine kleine Reise anzutreten, weßhalb der „Münzer“ noch in der letzten Stunde vom Repertoire habe abgesetzt werden müssen, wie ich wohl bereits aus den rothen Zetteln an den Säulen ersehen. Indessen hoffe Herr Lamarque, noch im Laufe des Tages zurückzukehren, so daß die Wiederaufnahme der Novität für morgen gesichert sei.

Ich hatte der Vorstellung gestern nicht beigewohnt, da mich die Angelegenheiten meiner Mutter ganz in Anspruch nahmen, und in Folge dessen Lamarque nicht wieder gesprochen. Ich glaubte aber nicht an die „unaufschiebbare Privatangelegenheit“ und nicht an die „Wiederaufnahme“. Es war freilich nicht die Weise des muthigen Mannes, aber es blieb mir keine andere Erklärung: er sah die Unmöglichkeit, gegen den Strom zu schwimmen, und da er mich durch Angabe des wahren Grundes nicht kränken wollte, hatte er die Reise vorgeschützt, die er so lange ausdehnen würde, bis – sich irgend ein anderer Grund gefunden, das Stück „lieber bis zur nächsten Saison ruhen zu lassen“. Dergleichen tapfere Rückzugspläne hatte ich zu oft von den Herren Direktoren und Regisseuren entwickeln hören, um daran zu zweifeln, daß es sich hier um einen eben solchen handelte.

Und dann mußte ich daran denken, wie mich Lamarque vorgestern Abend nach der Vorstellung umarmt und geküßt und mit Thränen in den schwarzen Augen versichert hatte, daß dies der schönste Tag seines Lebens sei!

„Aber sie sind sich Alle gleich,“ murmelte ich.

Ich schob die unglückseligen Recensionen seufzend von mir und trat an das Fenster. Es war ein Tag im frühen Frühjahr. Die Sonne war ein paarmal durchgekommen, aber bald wieder von dunklen Wolken verdeckt worden. Jetzt, gegen Abend, hatte der Regen eingesetzt; es gab voraussichtlich eine stürmische Nacht. Das rechte Bild meiner kurzen Laufbahn als dramatischer Dichter: ein Paar sonnige Stunden auf den Proben und am Abend der ersten Aufführung; dann der mißvergnügliche Recensionenregen; zuletzt die Nacht ewiger Vergessenheit. – Nun, auch Patroklus ist gestorben!

Ein Klopfen an der Thür, und das Mädchen (seit der Oberst außer Dienst war, hatten wir keinen Diener mehr) meldete, draußen sei eine Dame, die mich zu sprechen wünsche. Es konnte weder meine Mutter, noch Adele, noch Ellinor sein: sie würden sich so nicht haben ankündigen lassen. Ich hieß dem Mädchen, die Dame in den Salon zu führen, wohin ich alsbald folgte.

Die Dame, die mitten in dem halbdunklen Gemach gestanden hatte, kam mir in großer Aufregung bis an die Thür entgegen und sagte hastig: „Ist er bei Ihnen gewesen? oder wissen Sie sonst von ihm?“

Ich erkannte sie jetzt erst an der Stimme. Es war Christine. Wer bei mir gewesen sein sollte, brauchte ich nicht zu fragen; wußte ich doch, daß es nur Einer war, um den sich alle ihre Gedanken bewegten. Ich erwiderte ihr, daß ich Ulrich seit dem Gesellschaftsabend nicht wieder gesehen, trotzdem er mir allerdings versprochen habe, mich am nächsten Tage – das war gestern – zu besuchen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_674.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)