Seite:Die Gartenlaube (1886) 678.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Freunde zu sehen. Bis jetzt war meines Wissens von diesen beiden Fällen noch keiner eingetreten. Ihre Geldangelegenheiten hatte sie völlig in die Hand des Rechtsanwaltes gelegt, dem jetzt auch Adalbert wieder zur Seite stand; wenn wir sie sehen wollten, hatten wir zu ihr kommen müssen. Wir fanden sie dann regelmäßig mitten zwischen den Kindern, methodisch schaltend, wie sie es von Frau von Werin gelernt, nur daß sie alles und jedes in ihre anmuthige Weise übersetzte. – „Ich halte es nicht für unmöglich,“ sagte sie zu mir, „daß ich hier endlich einen Beruf, der mich ganz ausfüllen könnte, gefunden habe. Vorläufig betrachte ich dies als eine vortreffliche Gelegenheit, mich darauf hin zu prüfen, wie weit ich zu diesem Beruf veranlagt bin. Etwas Rechtschaffenes müssen wir doch schließlich alle thun, wenn uns das Leben nicht zum Ueberdruß werden soll.“

Und ich fand später die Gelegenheit, mich zu überzeugen, daß dies keine phantastische Laune der liebenswürdigsten unberechenbaren Frau gewesen. Sie hatte mit der ihr eigenthümlichen Energie den Entschluß gefaßt, die geretteten Reste ihres Vermögens zur Gründung einer Anstalt zu verwenden, in welchem unter ihrer und Maria’s Leitung verwahrloste Kinder erzogen werden sollten.

So wäre denn nach dem Graus dieser letzten Tage eine gewisse Ruhe in meine Seele gekommen, hätte die Sorge um Ulrich mich weniger schwer bedrückt. Und immer schwerer, als ein Tag nach dem anderen verging, ohne daß über seinen Verbleib die mindeste Kunde einlief. Auch Lamarque war nicht zurückgekommen. Zwar sein Ausbleiben fand eine Erklärung[WS 1], die auch in den Zeitungen mit solcher Hartnäckigkeit behauptet wurde, daß ich auf den Verdacht gerieth, dieselbe sei von ihm ausgegangen. Danach hatten schon lange schwere Zwistigkeiten zwischen ihm und dem Direktor des Theaters bestanden, denen Lamarque dadurch ein Ende machte, daß er sich den gewünschten, ihm vorenthaltenen Urlaub zu einer Reihe von Gastspielen selbst nahm und den Herrn Direktor zusehen ließ, wie er ohne Joseph Lamarque fertig würde. Es mochte etwas daran sein. Von jenen Zwistigkeiten und seinem Gastspielplan hatte Lamarque auch mit mir gesprochen, dabei aber den letzteren in noch weite Ferne gestellt.

Wenn er denselben doch jetzt in Angriff genommen, so mußte das eine andere Ursache haben. Und nachdem ich mich ein paar Tage gegen den gräßlichen Gedanken gewehrt, stand es bei mir fest: er hatte Ulrich im Zweikampf, wenn nicht getödtet, doch tödlich verwundet und das Feld geräumt, bevor die schlimme Sache ruchbar würde und die Gerichte sich einmischten. Ich hatte an Lamarque verschiedene Briefe nach den verschiedenen Orten gerichtet, an welchen ich ihn, den Andeutungen der Zeitungen folgend, vermuthen durfte, und ihn angefleht, mir die Wahrheit zu sagen. Die Briefe kamen als unbestellbar zurück. Ich mußte die Hoffnung, von dieser Seite etwas zu erfahren, aufgeben und mich der anderen getrösten, ich werde doch eines Tages von Ulrich unmittelbar hören. Für seine Wirthin war er einfach verreist und ebenso für seine Familie, bei der wir durch den Kammerherrn wiederholt nachgefragt hatten. Todt konnte er also nicht sein; das hätte sich doch bei aller Heimlichkeit, mit der die unglückselige Angelegenheit vor sich gegangen war, auf die Dauer auch nur weniger Tage nicht verbergen lassen.

Maria theilte meine Ansicht. Ihr war jetzt erst klar geworden, welche Bedeutung jener Brief Ulrich’s vom Montage gehabt hatte. Es waren nur wenige Zeilen gewesen des Inhalts, daß ich ihm seiner Zeit Maria’s Erwiderung auf seinen Gruß an seine „todte Liebe“ ausgerichtet habe. Er erkenne völlig die Gerechtigkeit des über ihn ergangenen Verwerfungsurtheils an. Er schreibe ihr das, weil ihr doch möglicherweise eine Stunde kommen dürfte, wo sie glaubte, ihn zu hart beurtheilt und behandelt zu haben. Ihr eine so übel angebrachte Reue zu ersparen, halte er für seine Pflicht, welcher er durch diese Zeilen genügt zu haben glaube.

„Ich wußte nicht, was ich aus dem Brief machen sollte,“ sagte Maria. „Auch hatte ich am Montage den Kopf nicht so frei, daß ich darüber lauge hätte nachdenken können. Dennoch wollte ich ihn nicht ohne Antwort lassen. So schrieb ich ihm ein paar flüchtige Zeilen, die ja nun leider nicht mehr in seine Hände gekommen sind.“

„Und können Sie mir sagen, was Sie geschrieben haben, Maria?“

Ein leises Roth färbte die bleichen Wangen, als sie rasch erwiderte: „Ich weiß es wirklich nicht mehr.“ Und dann nach einer kleinen Pause, während welcher sie mir noch bleicher geworden schien, als zuvor: „Ich habe ihn ja sehr lieb gehabt. Ich denke – ich hoffe, es hat das zwischen den Zeilen gestanden.“

Ich durfte nicht weiter fragen: warum nicht in den Zeilen? Aber die letzten Worte waren so zögernd gesprochen und in einem so verschleierten Ton – ich hatte niemals recht an „die todte Liebe“ glauben mögen – ich glaubte jetzt weniger als je daran. Aber freilich, ob es nun in oder zwischen den Zeilen gestanden, er hatte es ja nicht mehr gelesen, würde es vielleicht nie zu lesen bekommen – ein verflattertes Blatt, zu dem sich keine Taube fand, es dem Verzweifelnden als Rettungszeichen und Pfand der Hoffnung zu bringen.

Wenn mir nun in dieser einen Herzensfrage Maria unbegreiflich war und blieb, so fügte ihr Bruder den vielen Räthselfragen, welche er seinen Freunden zu lösen gab, jetzt eine neue hinzu. War sein Herz nicht ganz versteinert, man hätte meinen sollen, es würde sich bei dem Tode der Mutter herausgestellt haben. Man durfte sagen, in seiner götterlosen Welt war sie das einzige Wesen, vor dem er seine Kniee anbetend gebeugt hatte. Wie deutlich erinnerte ich mich aus unserer Jugendzeit des schönen und bei ihm, dem Fanatiker des Zweifels, rührenden Enthusiasmus, mit dem er stets von seiner Mutter gesprochen! Dann waren seine strengen Züge weich geworden, die Spötteraugen mild und zärtlich; dann war er Mensch gewesen, wie wir Anderen auch. Und wie hatte ich ihn um eine Liebe beneidet, die, wie sie gegeben, so erwidert wurde, und von der mir nichts zu Theil geworden als hoffnungsloses Sehnen! Wußte ich doch, daß er den Fürsten Bismarck nur deßhalb persönlich so grimmig haßte, weil er die Mutter in ihrem phantastischen Kampfe mit dem Gewaltigen sich nutzlos verzehren sah! Damals war freilich auch auf seine Schwester ein Strahl wärmerer Empfindung gefallen; aber er glaubte sich diesen Luxus nicht mehr verstatten zu dürfen, seitdem sie, seine Freundin und Schülerin, es fertig gebracht hatte, einen Ulrich von Vogtriz zu lieben. Den dann erfolgten Bruch zwischen den Liebenden mochte er nicht für aufrichtig, nicht für vollständig gehalten haben; oder er hatte der Reuigen die einmal begangene Sünde nicht vergeben können.

Jedenfalls war es nie wieder zwischen den Geschwistern zu dem guten alten Verhältniß gekommen, eben so wenig wie ich daran zweifelte, daß ich durch meine Liebe zu Elliuor das, was er mir an Liebe geschenkt, so ziemlich verscherzt hatte. Nur eine gerechte Seele gab es, die er, wäre er ein Gott gewesen, mit feurigen Armen aus dem Scheiterhaufen der verderbten Welt zum Himmel getragen haben würde – seine Mutter.

Und diese eine Gerechte war nicht mehr, und – er lächelte über die verderbte Welt; war gegen uns, seine Freunde, entgegenkommend, mittheilsam, wie nie zuvor; sprach auch von dem Tode der Mutter, aber, als hätte derselbe vor langer, langer Zeit stattgefunden, aus der ihm eine freundlich-dunkle Erinnerung geblieben sei. Ich nahm an, daß er gegen meine Mutter, die er jetzt oft stundenlang besuchte, aufrichtiger in dem Ausdruck seiner Empfindungen war. Wenigstens sagte sie wohl, wenn einer von uns sich über den Mangel an Vertrauen beklagte, welchen er gegen uns an den Tag legte: Ihr würdet ihn doch nicht verstehen.

Und schon war der Tag vor der Thür, an welchem er zu allen Räthseln, mit denen er sich umgab, ein letztes gesellte, das sich allerdings dem Verständniß der Sterblichen ein für allemal entzieht.

9.

Es war am Sonnabend der Woche, welche so traurig für mich und alle meine Freunde begonnen hatte. Der Oberst und Pahlen hatten vom Morgen an fast ohne Unterbrechung gearbeitet. Der Verleger drängte sehr; auch dem Oberst war darum zu thun, daß die Angriffe, welche die konservativen Blätter fortfuhren, gegen ihn und „sein System“ zu bringen, so schnell als möglich zurückgewiesen würden. Ich hatte nur als Schreiber gedient, der sich den Schein selbständiger Arbeit dadurch zu wahren suchte, daß er dem, was ihm die Verfasser in die Feder diktirten, hin und wieder eine ihm genehmere Form gab. Gegen Abend war auch Adalbert gekommen, die Redaktion eines Abschnitts, der in

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Erkärung
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_678.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2018)