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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

des Abends mit der Gräfin Hertha. Es verging fast eine Viertelstunde, ehe es dem Professor gelang, sich seiner zu bemächtigen.

„Ich habe mit Dir zu sprechen,“ sagte er mit unheilverkündender Miene und schleppte den jungen Mann in dieselbe Fensternische, wo vorhin Fräulein Gerlinde von Eberstein gestanden hatte.

„Mit Vergnügen, Papa,“ versetzte Hans, der selbst vor Vergnügen strahlte. Das erhöhte noch den Aerger des Professors, der sich nicht lange mit der Vorrede aufhielt, sondern sofort auf das Ziel losging.

„Ist es wahr, was die Gräfin mir soeben mittheilt, daß das Bild, welches Du gemalt hast, ein Heiligenbild ist?“

„Ja wohl, Papa,“ bestätigte der junge Künstler harmlos.

„Und es ist auch wahr, daß Michael Dir dazu Modell gestanden hat?“

„Ja wohl, Papa!“

„Also doch! Habt Ihr denn alle Beide den Verstand verloren? Michael als Heiliger! Das wird eine schöne Karikatur geworden sein.“

„Im Gegentheil, er nimmt sich höchst imponirend aus als zürnender Erzengel. Das Bild stellt nämlich Sankt Michael dar –-“

„Meinetwegen den Satan!“ unterbrach ihn Wehlau ingrimmig.

„Der ist auch dabei, sogar in Lebensgröße. Aber was geht Dich denn eigentlich der Gegenstand meines Bildes an?“

„Was es mich angeht?“ fuhr der Professor auf, der Mühe hatte, den gedämpften Ton beizubehalten, den die Rücksicht auf die Gesellschaft erforderte. „Du kennst doch meine Stellung der kirchlichen Partei gegenüber. Du weißt, daß ich deßwegen von den Priestern in Acht und Bann gethan bin, und jetzt malst Du Heiligenbilder für ihre Kirchen? Das leide ich nicht; das dulde ich nicht, ich verbiete es Dir!“

„Das kannst Du nicht, Papa,“ sagte Hans kaltblütig. „Das Bild ist Eigenthum der Gräfin und überdies schon in Sankt Michael angekündigt.“

„Wo es natürlich mit allem nur möglichen kirchlichen Pomp installirt wird.“

„Ja wohl, Papa, am Sankt Michaelsfeste.“

„Hans, Du bringst mich um mit Deinem: Ja wohl, Papa! Am Michaelsfeste also, wo das ganze Gebirgsvolk zusammenströmt – das wird ja immer schöner! Die klerikalen Zeitungen werden sich natürlich der Sache bemächtigen; sie werden spaltenlange Berichte bringen über die Procession, die Messe, die Andächtigen, und mitten darin fortwährend den Namen Hans Wehlau, meinen Namen.“

„Bitte, das ist mein Name,“ entgegnete der junge Künstler mit Nachdruck.

„Ich wollte, ich hätte Dich Pankratius oder Blasius taufen lassen, damit die Welt doch einen Unterschied machte!“ rief der Professor verzweiflungsvoll.

„Papa, warum bist Du eigentlich so wüthend?“ fragte Hans mit Seelenruhe. „Im Grunde müßtest Du mir doch dankbar sein, wenn ich mich der schönen Aufgabe widme, Dich mit Deinen Gegnern zu versöhnen, und überdies ist das Bild gar kein Heiligenbild im gewöhnlichen Sinne. Es ist der Kampf des Lichtes mit der Finsterniß. Ich habe mir unter dem Erzengel natürlich die Aufklärung, die Wissenschaft gedacht, und unter dem Satan den Aberglauben. Das ist ganz Dein Fall, Papa, das ist eigentlich nur die Verherrlichung Deiner Lehre. Ich könnte das Bild in der Universität, in Deinem Auditorium aufhängen; denn es ist Dir so recht aus der Seele gemalt. Ich hoffe, Du bist mir dankbar dafür und –“

„Junge, hör’ auf, Du bringst mich noch ins Grab!“ stöhnte der Professor, dem ganz schwül wurde bei dieser wunderbaren Beweisführung.

„Bewahre! Wir werden noch höchst vergnügt mit einander leben. Aber jetzt entschuldige mich, ich muß wieder in den Saal.“

Und damit kehrte der junge Mann ganz unbekümmert wieder in die Gesellschaft zurück und schickte sich an, Michael aufzusuchen. –

In einem kleinen Kabinett, das unmittelbar an den Saal grenzte, aber augenblicklich völlig leer war, saß Fräulein von Eberstein ganz einsam und verlassen. Als der Vorhang gefallen war und die Gesellschaft wieder durch einander wogte, wurde die Gräfin Steinrück von allen Seiten in Anspruch genommen. Jeder hatte ihr ein Kompliment oder eine Schmeichelei über ihre schöne Tochter zu sagen, und dabei wurde Gerlinde von ihrer Beschützerin getrennt. Zaghaft und völlig fremd in diesem Kreise, hatte sie sich in das Nebenzimmer geflüchtet und wartete nun hier geduldig, bis man sich ihrer erinnerte.

Das junge Mädchen befand sich erst seit acht Tagen in der Stadt. Der Freiherr hatte endlich dem Wunsche der Gräfin und ihrer wiederholten Vorstellung nachgegeben, daß man Gerlinde doch einmal in die Welt einführen, ihr doch wenigstens die Möglichkeit geben müsse, eine standesmäßige Partie zu machen. Die letztere Rücksicht trug denn auch endlich den Sieg davon über die Hartnäckigkeit des Vaters, dem sein leidender Zustand doch öfter den Gedanken an den Tod nahe legte. Er wußte sehr gut, daß in diesem Falle Berkheim die einzige Zuflucht seines verlassenen Kindes war, und so gütig und liebevoll die Gräfin es auch ausgesprochen hatte, daß sie nach der Vermählung ihrer Tochter Gerlinde als einen Ersatz dafür betrachten würde, so sträubte sich doch der Stolz des alten Eberstein gegen diese, wenn auch in zartester Form angebotene Gnade.

Aus diesem Grunde wäre ihm eine standesmäßige Partie für seine Tochter sehr erwünscht gewesen. Der Begriff „standesgemäß“ lag für ihn natürlich einzig in einer möglichst langen und möglichst glänzenden Ahnentafel des künftigen Schwiegersohnes, und die streng aristokratischen Grundsätze der Steinrück’schen Familie beruhigten ihn in dieser Hinsicht vollkommen. Er ließ Gerlinde daher noch einmal den ganzen Stammbaum und die gesammte Hauschronik aufsagen, ermahnte sie, nie zu vergessen, daß sie aus dem zehnten Jahrhundert stamme, und ließ sie mit der Kammerfrau, welche die Gräfin gesandt hatte, nach der Hauptstadt abreisen, wo sie noch einige Wochen mit der gräflichen Familie verweilen und dann dieselbe nach Berkheim begleiten sollte.

Das kleine Burgfräulein hatte natürlich keine Ahnung von diesen Zukunftsplänen und war nur halb widerstrebend dem Rufe gefolgt. Das glänzende Wogen und Treiben der Gesellschaft, in welches sie schon damals bei dem kurzen Besuche in Steinrück einen Blick gethan hatte, und das ihr hier nun vollends aufging, beängstigte sie mehr, als es sie erfreute. So saß sie denn auch jetzt scheu und ängstlich, wie ein verscheuchtes Vögelchen, auf dem Eckdivan und war froh, einige Minuten allein zu sein.

Da wurde die Portière, die den Eingang halb verhüllte, rasch zurückgeschoben, ein junger Mann, der Jemand zu suchen schien, warf einen flüchtigen Blick in das Kabinett, blieb aber plötzlich wie angewurzelt stehen.

„Fräulein von Eberstein!“

Gerlinde schrak zusammen beim Klange dieser Stimme; jetzt erkannte auch sie den Eintretenden.

„Herr von Wehlau Wehlenberg!“

Hans war bereits an ihrer Seite. Er hatte keine Ahnung von ihrem Hiersein, von ihrer Anwesenheit in der Stadt überhaupt; seine Regiepflichten hielten ihn auf der Bühne fest, und als er den Saal betrat, hatte Gerlinde ihn bereits verlassen. Das Wiedersehen war eine Ueberraschung für beide Theile, aber keine unangenehme: das verriethen die leuchtenden Augen des jungen Mannes und das rosig erglühende Gesicht des kleinen Burgfräuleins.

„Ich glaubte Sie fern von hier, in Ihren heimischen Bergen,“ sagte Hans, während er schleunigst an ihrer Seite Platz nahm. „Wie geht es Ihrem Herrn Vater?“

„Der arme Papa ist in diesem Winter sehr leidend gewesen,“ berichtete Gerlinde. „Aber als das Frühjahr nahte, hat er sich wieder erholt, so daß ich ohne Besorgniß reisen konnte.“

„Und Muckerl? Wie befindet sich Muckerl?“

Die Nachrichten über Muckerl’s Befinden lauteten durchaus günstig; Muckerl war lustig und übermüthig wie damals im Herbst, und seine junge Herrin verlor bei der Erzählung etwas von der anfänglichen Befangenheit; sie war so froh, von der Heimat sprechen zu können, und Hans störte sie darin nicht, seine Augen hafteten unverwandt auf ihrem Antlitz.

Er hatte soeben erst Gräfin Hertha gesehen im vollsten, siegreichen Glanze ihrer Schönheit, und sein Künstlerauge hatte sich förmlich berauscht an diesem Anblick. Hier sah er nur ein zartes, kindliches Wesen, das sich nicht entfernt mit jener Schönheit messen konnte, und dessen sanfte, braune Rehaugen halb scheu,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_687.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)