Seite:Die Gartenlaube (1886) 723.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

würde einer Anekdotensammlung so reichen Stoff bieten: alle seine geflügelten Worte einzufangen, dürfte unmöglich sein; denn an glücklichen Abenden, wie sie am Hofe von Weimar den Anwesenden in bester Erinnerung sein werden, jagte bei ihm, um die Wendung einer Posse zu gebrauchen, ein Witz den andern, und kein Abbé der Rokokozeit konnte sich an funkelndem Esprit und unerschöpflichen Einfällen mit diesem oft so tiefsinnig ernsten Meister der Töne messen. †      

Die Kaisermanöver im Elsaß im September d. J. und der Aufenthalt des Kaisers im „wunderschönen Straßburg“ haben den gewiß ebenso erhebenden wie überzeugenden Beweis geliefert, daß es schon jetzt in erfreulichster Weise gelungen ist, bei dem Kerne der Bevölkerung die Liebe zum deutschen Volke und deutschen Kaiserhause wieder wach zu rufen. Straßburg hatte ein ungewöhnlich reiches, glänzend festliches Gewand angelegt, und mit den Einwohnern der alten würdigen Stadt zugleich brachten zahlreiche Landgemeinden der Kreise Straßburg, Erstein und Weißenburg dem greisen Kaiser ihre Huldigungen dar. Nicht weniger als vierzig Gemeinden waren am 14. September durch Reitertrupps und reich geschmückte Wagen bei der Huldigung vertreten. Die Burschen schwenkten jubelnd ihre Hüte; die Mädchen, welche in den Wagen Platz genommen hatten, erhoben sich von ihren Sitzen, wehten mit Tüchern und warfen dem Kaiser ihre Blumen zu. Alle Burschen und Mädchen waren in ihrem besten Sonntagsstaat, und die Nebeneinanderstellung der verschiedenen Volkstrachten bot ein ungemein abwechselungsreiches, malerisches Bild, in welches die nach den Hauptnahrungsquellen der Gemeinden mit Weintrauben, Obst und Kornähren, mit Hopfenbüscheln, Flachsbündeln und Tabaksblättern, mit Fischergeräthen und Bienenkörben phantastisch geschmückten Wagen vortrefflich paßten. Eine dieser anziehenden Scenen aus dem festlichen Zuge hat unser Künstler im Bilde festgehalten. **      

Elsässische Landleute vor dem Kaiserpaar in Straßburg.
Nach einer Originalzeichnung von H. Lüders.

Das Justinus Kerner-Jubiläum, auf dessen Bedeutung wir schon hingewiesen, ist am 18. September in Weinsberg gefeiert worden. Böllerschüsse vor der Burg Weibertreue und ein Morgenkoncert auf dem Weinsberger Markte eröffneten die Feier. Ein Zug von Bürgern begab sich dann auf den Friedhof, wo der Dichter seit 1862 ruht. Oberpräceptor Bokel aus Heilbronn hielt hier die Festrede; dann legten Mädchen Blumen auf das Grab. Um elf Uhr setzte sich der große Festzug, Kinder im Winzerkostüm, Festjungfrauen, Vereine, Deputationen, Gäste in Bewegung; auf den Ehrenpforten und Tribünen prangten Festsprüche aus Kerner’s Gedichten, wie die schönen Verse zum Preis der Frauen:

„Preis jeder Stunde – wo gegeben
Gott dieser Welt ein lieblich Kind
Zu lichtem warmen Freudenleben,
Und wenn es noch so viele sind.“

Dann begrüßte der Sohn von Justinus, Theobald Kerner, die Versammlung. Die Hauptrede, ein umfassendes, liebevoll entworfenes Bild von Kerner’s Eigenart und dichterischer Bedeutung, hielt Hönes, der Helfer von Weinsberg; beim Festmahl brachte J. G. Fischer aus Stuttgart, der beste der jetzt lebenden schwäbischen Dichter, ein Hoch auf den „zum Lied gewordenen und in vielen Liedern gefeierten Dichter“. So verlief die Feier in sinniger und gemüthvoller Weise; das Schwabenland gab seinem wackeren Dichter die verdienten Ehren. †      

Die ehemaligen Fischstände auf dem Spittelmarkt in Berlin. (Mit Illustration S. 717.) Ein gleiches Schicksal, wie den Blumenmarkt am Dönhofsplatz und andere Märkte, hat den Fischmarkt auf dem Spittelmarkt ereilt; auch dieser ist in die Markthallen gewandert.

Unser Bild zeigt uns die alte Zeit, wo auf dem Spittelmarkt, im Herzen der Stadt und in unmittelbarer Nähe des Dönhofsplatzes, ein überaus reges Treiben herrschte. An denselben Tagen, an denen der Wochenmarkt auf letzterem Platze abgehalten wurde, also Mittwoch und Sonnabend, wurden hier Fische von allen Gattungen und von der verschiedensten Größe, wie sie nur die nahe Spree beherbergt, aber auch Seefische und Krebse feilgcboten. In riesigen, mit Wasser angefüllten Kübeln und Fässern, hinter denen die behäbigen Fischverkäuferinnen in ihren großen, runden Hüten hockten, tummelten sich die unruhigen Thiere im bunten Durcheinander, und darüber war ein weites, leinenes Schutzdach gegen Sonne und Unwetter, meist in Form eines Riesenschirmes, ausgespannt. Auch todte Fische, auf Kasten und in Körben ausgebreitet, wurden gehandelt.

Wenn die Käuferinnen ihre Wahl getroffen, fuhr das unerbittliche Netz zwischen die ängstlich aufgescheuchten und aufplätschernden Thiere, bis der richtige, in dem Fänger zappelnd, herausgehoben und der Käuferin in ihr Handnetz hineingeschoben wurde.

Natürlich fehlte es hierbei auch an komischen Scenen nicht, namentlich, wenn die Straßenjugend auf einen dem Netz wieder entkommenen und in langen, schnellen Windungen über den Platz sich dahinringelnden Aal eine Hetzjagd anstellte.

Die drallen Fischfrauen sorgten aber auch während der Geschäftszeit für ihren eigenen leiblichen Bedarf, wie das auf unserem Bilde bei der im Vordergrunde Placirten ersichtlich. Während der Hitze mußte die „große Berliner Weiße“ die sonst unvermeidliche Kaffeekanne ersetzen; bisweilen fehlte auch die Schnapsflasche nicht.

Ursprünglich befand sich dieser Fischverkauf auf dem Köllnischen Fischmarkt an der Breiten-Straße, der davon auch den Namen hat. Seitdem aber der Verkehr in dortiger Gegend ein so bedeutender geworden, wurde der Markt nach dem Spittelmarkt verlegt.

Nun ist er auch dort verschwunden, und die Fischhändlerinnen sind, gleich den übrigen Markthökerinnen, „Damen der Halle“ geworden. zr|H. H.     

Journalistische Bravourstücke. Die Amerikaner und Engländer stehen in dem Rufe, die schnellsten, erfindungsreichsten und tüchtigsten Journalisten zu sein, die vor keiner Schwierigkeit zurückscheuen, um ihren Lesern etwas Neues und Originelles zu bieten. So hat ein Mitarbeiter der in London in sehr großer Auflage erscheinenden Zeitung „Tit-Bits“ (Leckerbissen), um seinen Lesern einmal den Zustand, in welchen Morphiumeinspritzungen versetzen, wahrheitsgetreu zu schildern, sich ohne persönlichen Hang dieser verderblichen Leidenschaft ergeben. Was vorauszusehen war, traf ein: der junge Mann konnte sich von dieser Gewohnheit nicht mehr befreien; er verfiel der Morphiumsucht. Umsonst bemühten sich seine Angehörigen, ihn zum Eintritt in eine Heilanstalt zu bewegen, in welcher die Unglücklichen Von ihrem Laster entwöhnt werden; erst als der Chefredakteur dem jungen Mitarbeiter nahelegte, eine wahrheitsgetreue Schilderung der „Sehnsuchtsqualen eines in der Anstalt befindlichen Morphiumsüchtigen“ zu schreiben, begab sich der pflichtgetreue Journalist ohne Zaudern in die Pflege; er war gerettet.

Der Chef dieser Zeitung, die unter Anderem durch ihre Preisausschreibungen: „Das Interessanteste aus dem Leben eines Londoner Schutzmann“ u. dergl., Aufsehen erregte, ist überhaupt ein schlauer Kopf. Er ist auch der Erfinder der Einrichtung, daß jede Person, welche auf der Reise oder auf der Straße verunglückt, angefallen oder beraubt wird, eine ziemlich beträchtliche Geldentschädigung erhält, wenn sie nachweisen kann, daß sie zur Zeit des Unfalls die neueste Nummer der „Tit-Bits“ in der Tasche hatte. Die Zeitung enthält das Verzeichniß derjenigen, denen diese einfache Lebens- und Unfallversicherung bereits zu Gute gekommen ist.

Von einem großen amerikanischen Blatt erzählt man, es habe einen Specialreporter angestellt, der den Präsidenten Lincoln überallhin zu begleiten und niemals zu verlassen hatte, um dessen „letzte Worte“ im „Interesse des Leserkreises“ wahrheitsgetreu berichten zu können: eine Absicht, die, wenn sie wirklich bestanden hätte und nicht bloß als originelle Reklame, dennoch vereitelt worden wäre, da der große amerikanische Staatsmann bekanntlich im Theater erschossen wurde und nicht Zeit hatte, eine „letzte Aeußerung“ zu thun.

Ein anderer amerikanischer Journalist ließ sich sogar mit einem zur Hinrichtung vorbereiteten Delinquenten während der letzten Nacht

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_723.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2022)