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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

die Schöne in Feindesland geworden. Nun wußte er, daß das Korbwägelchen des Kindes an jedem schönen Nachmittage jenseit des undurchsichtigen Gartenzaunes stand, da, wo die herabhängenden Zweigen des Maulbeerbaumes Schatten spendeten. Als nun an einem schönen Sommertage die Mutter auf dem Felde war, lief Stefan nach dem Stall, wo der Vater nach einer kranken Kuh sehen sollte, und erblickte ihn auf der Krippe sitzen und schlafen. Da trippelte der Bube auf den Zehen aus dem Stall in den Hof, kletterte den Maulbeerbaum hinauf, der gerade schöne blaue Beeren trug, aß sich erst nach Herzenslust satt, machte sich Gesicht, Hände und Kleider schwarzfleckig, stopfte sich noch eine Menge der weichen Beeren in die Hosentaschen und dachte dann wieder an die kleine Riza im Nachbarhofe. Also klomm er noch höher, bis er auf einen Zweig kam, von welchem aus er gerade in das Wägelchen sehen konnte, darin das Kind schlief. Aber der Anblick enttäuschte ihn sehr; denn er sah nur ein rosenrothes Gesichtchen, das ihm sehr klein und gar nicht merkwürdig, sondern wie das aller anderen kleinen Kinder vorkam. Aus diesen machte er sich aber durchaus nichts, weil sie viel zu dumm waren, als daß man mit ihnen „Ritter und Räuber“ hätte spielen können, und weil sie außerdem gleich schrieen, wenn man ihnen einmal ins Gesicht fuhr oder sie ein bischen anfaßte. Da aber das kleine Mädchen die Augen geschlossen hatte, bildete sich Stefan ein, wenn es sie öffne, werde vielleicht etwas Wunderbares zum Vorschein kommen. Aus Furcht, den Vater zu wecken, konnte er die Kleine durch Anrufen nicht ermuntern; er pflückte eine Maulbeere nach der anderen und warf sie auf des Kindchens Bett, wo sie zerplatzten. Der Bube hörte jedesmal einen kleinen Knall, sah den Saft ausspritzen und freute sich unbändig darüber. Endlich trafen zwei wohlgezielte Beeren richtig das Gesicht der Kleinen; sie begann erbärmlich zu schreien, Terka stürzte aus dem Hause, sah Bett und Gesicht des Dirnleins ganz voll blauer Flecke und erblickte oben in den Zweigen des Maulbeerbaumes das halb erschrockene, halb trotzige Gesicht des Uebelthäters. Sie schalt entrüstet mit voller Kraft der Lunge hinauf; Stefan, zuerst bestürzt über diese Wirkung seiner Thätigkeit, welche ihm so großen Spaß gemacht, erinnerte sich, daß die Nachbarfrau nach der Mutter Reden sehr böse sei, und machte ihr von seinem sicheren Sitze aus die allerabscheulichsten Gesichter und Nasen, die Terka zu immer größerem Zorne reizten. Ueber dem Schelten kamen des Stefan verschlafener Vater und leider auch die eifrige Mutter herbei. Letztere, welche sofort erkannte, daß die Scheltreden der Nachbarin ihrem Büblein galten, strengte ihre Lunge zu weit giftigeren Erwiderungen an. Zwischen den beiden einander unsichtbaren keifenden Frauen, welche, der Veranlassung des Streites vergessend, sich mit jahrelang angesammelter Galle überschütteten, saß der eigentliche Uebelthäter auf dem Maulbeerbaum ganz verdutzt, aber sehr erfreut, als er merkte, daß die Kämpferinnen diesseit und jenseit des Zaunes ihn ganz unbeachtet ließen. Erst als der Mutter die Kraft der Lunge fast versagte, gebot sie dem Stefan, vom Baume herunter zu kommen. Mit einem mütterlichen Puff versehen, machte sich dex Bube eiligst aus dem Staube, im Herzen den festen Glauben tragend, daß die Nachbarin eine böse, böse Hexe, ihr Dirnlein ein langweiliges Ding sei – und daß es der Mutter behagen werde, wenn er Beiden so viel Schabernack spiele wie irgend möglich. Das that er denn um so eifriger, als er sonst Niemand hatte, an dem er sein Bubenblut und seinen Bubenwitz erproben und austoben konnte! Natürlich bestärkten alle die auf weiße Wäsche geschleuderten Maulheeren, die unvermuthet explodirenden Knallerbsen, der auf Riza’s Köpfchen gestreute Sand und tausend andere Unarten des Knaben in Terka die Meinung, daß noch nie ein schlimmerer Galgenstrick der Menschheit zum Schaden und Aerger gereicht habe, und ebenso natürlich wurde die schon halb im Einschlummern begriffene Feindschaft zwischen den Nachbarn dadurch immer eifriger angestachelt. Doch ist der Zorn des Glücklichen dem Aprilschauer gleich, durch den die Sonne lacht und dessen Spur sie sogleich auftrinkt von dem Herzen des Zürnenden. Und so verschwand Terka’s Aerger eben so rasch, wie er aufgewallt war.

Als die kleine Riza, aber fünf Jahre alt war, kam der alte Pista einmal an einem heißen Sommertage sehr erhitzt vom Felde heim, trank hastig einen Schluck von dem Theißwasser, welches Terka in durchlassenden thönernen Krügen sehr kühl erhielt, und stürzte auf der Stelle todt zu Boden.

Drei Tage später kletterte Stefan auf den Maulbeerbaum und schaute von dort aus zu, wie der Priester mit den Chorknaben, welche brennende Kerzen und bunte Heiligenbilder trugen, und die Träger in ihren wallenden schwarzen Mänteln durch den Hofraum ins Nachbarhaus schritten und eine Weile später mit einem silberbeschlagenen Sarge zurückkamen. Und als er die kleine Riza im schwarzen Kleidchen und mit breiten, schwarzen Bändern in den gelben Zöpfchen an der Hand der Mutter in einem Zuge hinter dem Särge erblickte, da empfand er eine rechte Hochachtung vor dem Dirnlein, das als eine Hauptperson in einem so merkwürdigen, bunten Abenteuer mitthat. Die Kleine war sich auch ihrer Wichtigkeit bewußt; über ihr durch das Jammern der Mutter verschüchtertes Gesichtchen ging ein lustiger Sonnenstrahl; sie lachte mit allen ihren Grübchen zu ihrem Erbfeinde hinauf, dem sie plötzlich sehr hübsch vorkam, und nahm dann gleich wieder eine ernsthaft wichtige Miene an. Nachher, als das Trauermahl im Hof auf einer langen Tafel aufgestellt war, ging das kleine Mädchen von Hand zu Hand, wurde von den Männern mit einem derben Scherz in die Bäckchen gekniffen und von den Frauen mitleidig gestreichelt und bewundert. Stefan konnte von seinem Maulbeerbaum aus so viel rufen als er wollte, das Dirnlein schaute nicht ein einziges Mal zu ihm auf. Da ballte er endlich sein Taschentuch zu einem großen Knäuel zusammen und warf es nach ihr, es fiel aber auf die Tafel und warf den Weinkrug um, so daß der Wein weit umher verspritzte.

Da lachte unter dem Stefan sein Vater, der an dem Geschrei und Stühlerücken im Nachbarhof wohl merkte, daß sein Bube drüben wieder Unheil angerichtet haben müsse und den das freute. Denn Janos war diese drei Tage seit dem Tode des alten Pista in immer steigendem Grimme umhergegangen; er fühlte einen wachsenden Neid auf die Terka – die jetzt frei war von ihrem alten Mann und nach Willkür schalten und walten konnte.

Und die beneidete Terka, welche so lange gegen ihre sonstige Gewohnheit still dagesessen hatte, schaute, als des Stefan’s Wurfgeschoß solch Unheil angerichtet, müde auf und gerade in das erschrockene Gesicht des Schützen. Aber statt zu schelten, zog sie Riza auf ihren Schoß, legte das Kinn auf den Blondkopf der Kleinen und ließ bitterliche Thränen auf Riza’s Haar fallen; denn Stefan hatte einen Vater und ihr Dirnlein war verwaist. Als sie aber drüben den herzlosen Janos lachen hörte, that sie einen feierlichen Schwur, daß ihre Riza doch glücklich werden solle, viel glücklicher als des lebenden, lachenden Janos’ Sohn.

In der Folgezeit kam in ihr Weinen hinein immer die Erinnerung an des Janos’ Lachen; dann trocknete sie ihre Thränen und begann resolut zu wirthschaften; ihr Anwesen sollte nicht, wie der Janos wohl dachte, darunter leiden, daß ihm eines Mannes Auge und Hand fehlte; die Terka war Manns genug, den Wohlstand noch zu mehren und ihre Tochter zu dem reichsten Bauernmädchen in ganz Szegedin zu machen.

Ihr trauriges und leeres Herz füllte sich mit ehrgeizigen Zukunftsplänen für ihr Kind; um seinetwillen wies sie alle Freier ab, welche um die reiche und saubere Bäuerin warben, und schaffte den ganzen Tag im Felde. Ihr Dirnlein spielte indessen unter der Obhut der alten Großmutter im Hofe, jagte sich lachend mit seinen Kätzlein herum und breitete nur erschrocken die Hände über das Köpfchen, wenn der schwarzäugige Erbfeind im Maulbeerbaum saß und es anrief oder Blätter und Blüthen, wohl auch Steinchen herabwarf.

Mit wachsenden Jahren wurde Stefan es aber müde, die Rolle des Bösewichtes zu spielen, die man ihm im Nachbargarten zuertheilte; er kletterte immer seltener auf den Maulbeerbaum, hatte auch schon aus dem Grunde weniger Lust und Gelegenheit dazu, als die strenge Mutter ihn in den Stunden, welche ihm die Schule freiließ, sehr bald zur Feldarbeit heranzog, die er mit wachsendem Geschick und Eifer verrichtete. Er wurde der Mutter bald eine Stütze, und der Vater konnte mehr Zeit als früher zum Schlafen verwenden. Die Riza aber sah er fast gar nicht mehr; denn Terka erzog sie nach Art vornehmer Leute, welche die Mägdlein streng im ummauerten Haus und Hof halten und sie sehr selten, nie aber ohne Begleitung, die Straße betreten lassen.

Als Stefan siebzehn Jahre alt geworden war und an einem Mai-Abende vom Felde heimkehrte, waren Vater und Mutter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_727.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2022)