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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Es war in den Morgenstunden des nächsten Tages. Gräfin Hortense hatte sich soeben erst erhoben und saß beim Frühstück, als der Marquis von Montigny eintrat.

„Ich bin heute ein früher Gast, aber ich mußte gerade an Deinem Hause vorüber,“ sagte er, die Schwester begrüßend. „Du bist allein? Ich glaubte, das Frühstück würde hier gemeinschaftlich eingenommen.“

Hortense zuckte die Achseln.

„Davon kann keine Rede sein; mein Schwiegervater pflegt mit Tagesanbruch aufzustehen und hat gewöhnlich schon drei Arbeitsstunden hinter sich, wenn ich mich erhebe. Es ist etwas Entsetzliches um solche eiserne, rastlose Naturen, die niemals das Bedürfniß nach Ruhe empfinden.“

„Ich halte das eher für beneidenswerth, zumal im Alter des Generals,“ warf Montigny ein.

„Für ihn vielleicht, aber er glaubt das auch von Anderen verlangen zu können. Unser Hauswesen ist ja wie ein Kasernendienst geregelt, Alles geht nach militärischem Kommando und wehe dem Diener, der sich eine Unpünktlichkeit zu Schulden kommen läßt. Hat es doch einen förmlichen Kampf gekostet, mir wenigstens meine persönliche Freiheit zu wahren; ich habe das endlich durchgesetzt, aber der arme Raoul wird mit vollster Strenge gezwungen, sich diesen pedantischen Vorschriften zu fügen.“

„Ich fürchte, daß die Strenge bisweilen nothwendig ist; Raoul ist schwer zu bändigen,“ sagte Montigny trocken. „Du als Frau und Mutter weißt freilich nicht viel von Dingen, die ich schon während meines kurzen Aufenthaltes erfahren habe und die dem General jedenfalls bekannt sind. Es ist Zeit, daß Dein Sohn vermählt wird, Hortense!“

„Nun ja, er mag seinem Jugendübermuth die Zügel schießen lassen,“ lenkte die Gräfin ein. „Er ist nun einmal eine feurige, überschäumende Natur, die sich gegen Schranken und Regeln aufbäumt. Die Ehe wird all diesen Tollheiten ein Ende machen, und Hertha ist schön genug, ihn auf die Dauer zu fesseln. Du bewunderst sie ja auch, sie hat gestern wieder einen grenzenlosen Triumph gefeiert.“

„Und mit vollem Rechte! Beiläufig, Hortense, die Clermonts waren ja gestern auch in der Gesellschaft. Haben sie Beziehungen zu Herrn von Reval?“

„So viel ich weiß, hat Raoul sie dort eingeführt. Es gehört ja zum guten Ton, Zutritt im Reval’schen Hause zu haben.“

„So! – Raoul ist wohl sehr befreundet mit dem jungen Clermont?“

„Gewiß, und ich würde ihn und seine Schwester gern bei uns sehen, aber – da hast Du wieder einen Beweis von der unglaublichen Tyrannei meines Schwiegervaters – er verbietet es mir geradezu! Ich habe schon einmal eine Einladung, die ich auf Raoul’s Bitte erließ, unter dem nichtigsten Vorwande zurücknehmen müssen; er besteht mit unbegreiflicher Hartnäckigkeit darauf, die Clermonts aus unserem Kreise auszuschließen.“

Der Marquis war auf einmal aufmerksam geworden.

„Das ist seltsam! Welche Gründe hat Dir der General angegeben?“

„Gründe? Dazu läßt man sich mir gegenüber nicht herab. Man befiehlt oder verbietet einfach, und ich muß mich fügen.“

„Ich glaube, Du thust in diesem Falle gut, Dich zu fügen,“ sagte Montigny in einem so bedeutungsvollen Tone, daß die Schwester ihn überrascht und fragend ansah.

„Weßhalb? Hast Du auch irgend etwas gegen die Clermonts? Sie scheinen allerdings nicht in glänzenden Vermögensumständen zu sein; aber sie kamen mit den besten Empfehlungen hierher und gehören einer altadeligen Familie Frankreichs an.“

„Gewiß, das ist zweifellos.“

„Nun also – ich begreife Dich nicht, Leon!“

Der Marquis rückte seinen Sessel um einige Schritte näher und legte seine Hand auf den Arm der Gräfin.

„Hortense, ich bin gezwungen, Dir die Augen zu öffnen, denn Du scheinst in diesem Punkte völlig blind zu sein. – Du wünschest doch die Verbindung Raoul’s mit Hertha?“

„Ob ich sie wünsche? Ich setze ja meine ganzen Hoffnungen darauf! Diese Heirath bedeutet für Raoul Glanz und Reichthum und für mich die langersehnte Freiheit. Wie kannst Du nur so fragen!“

„Nun, dann rathe ich Dir, den Verkehr Deines Sohnes mit den Clermonts nicht zu begünstigen. Wie ich erfahren habe, ist er täglich dort, und – Frau von Nérac ist Wittwe.“

Hortensc stutzte, dann aber flog ein ungläubiges Lächeln über ihre Züge.

„Heloise von Nérac? Sie ist ja nicht einmal schön.“

„Aber gefährlich!“

„Doch nicht für Hertha! Eine Braut wie sie kann jeden Mann festhalten.“

„Wenn sie es will, gewiß, sie scheint aber nicht zu wollen. Die junge Gräfin hat ein ganz eigenthümliches Wesen ihrem Verlobten gegenüber; sie ist sehr abweisend – Frau von Nérac wird um so entgegenkommender sein.“

„Unmöglich!“ rief Hortense aus, in der jetzt auch die Besorgniß erwachte. „Raoul’s Vermählung steht ja in Kurzem bevor, er wird doch nicht die Tollheit, den Wahnsinn begehen, seine ganze Zukunft zu opfern, um dieser Heloise willen!“

„Er wäre nicht der Erste, den die Leidenschaft unzurechnungsfähig macht. Doch ich habe Dich nur warnen, nicht schrecken wollen. Ich hege vorläufig nur eine Vermuthung und an Dir ist es, Dir Gewißheit zu verschaffen. Aber sei vorsichtig, ein falscher Schritt könnte Alles verderben.“

Die Gräfin war bleich geworden, die angedeutete Möglichkeit war für sie allerdings schreckhaft, denn sie bedeutete das Scheitern all ihrer Pläne.

„Du hast Recht, das könnte ein Unheil geben,“ sagte sie hastig. „Ich danke Dir für den Wink, er soll befolgt werden.“

Montigny erhob sich, durchaus befriedigt von dem Erfolg der Unterredung. Der Diplomat hatte seinen Zweck erreicht, ohne irgend etwas von dem preiszugeben, was er nicht preisgeben durfte. Er wußte, Hortense würde jetzt ihre ganze mütterliche Autorität dransetzen, ihren Sohn jenem Umgange zu entreißen, und er glaubte hinreichend dafür gesorgt zu haben, daß Clermont sich in diese Nothwendigkeit fügte. Ob die ausgesprochene Vermuthung gegründet war oder nicht, kümmerte den Marquis sehr wenig; ihm kam es nur darauf an, seinen Neffen aus Beziehungen zu lösen, deren Verderblichkeit er am besten kannte. Er empfahl seiner Schwester noch einmal Vorsicht in der Behandlung der Angelegenheit und verabschiedete sich dann. – Inzwischen fand drüben im Arbeitszimmer des Generals eine andere Unterredung statt, deren Verlauf aber stürmischer war. Steinrück hatte sich gestern Abend darauf beschränkt, seinem Enkel vorläufig jeden weiteren Schritt zu verbieten. Erst heute Morgen hatte er ihn rufen lassen, und nun ergoß sich die volle Schale seines Zornes über den jungen Grafen.

„Hast Du denn jede Ueberlegnng, jede Besinnung verloren, daß Du gerade mit Michael Rodenberg Streit suchen mußtest?“ zürnte er. „Wenn es noch eine in der Aufregung, in der Uebereilung gefallene Beleidigung wäre, so ließe es sich begreifen; aber nach Allem, was ich von Hertha hörte, scheint Dein Benehmen ein planmäßiges und absichtliches gewesen zu sein.“

„Es war der unglücklichste Zufall von der Welt, daß Hertha im Nebenzimmer war!“ sagte Raoul, der finster und trotzig vor seinem Großvater stand, „und daß sie nun vollends auf den Einfall kam, es Dir mitzutheilen –“

„War das Vernünftigste und Klügste, was sie überhaupt thun konnte,“ unterbrach ihn der Graf. „Eine Andere hätte Dich mit Thränen und Bitten bestürmt, ohne irgend etwas zu erreichen, denn nachdem die Sache einmal so weit gediehen ist, kannst Du allein nicht mehr zurücktreten. Deine Braut wandte sich an mich, in der ganz richtigen Voraussetzung, daß ich allein hier eingreifen könne, und das wird auch geschehen. Das Duell darf unter keinen Umständen stattfinden.“

„Es ist eine Ehrensache, das lasse ich mir nicht verbieten!“ rief Raoul heftig, „und überdies ist es meine persönliche Angelegenheit.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_734.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2022)