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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Das ist einer der wenigen Poeten, die ihren Weiberhaß offen verkündeten; im Ganzen aber brauchen sich die Frauen über die Dichter nicht zu beklagen.

Anders steht’s mit den Philosophen und besonders mit den deutschen: sie sind in der That den Frauen nicht hold, soweit sie sich überhaupt mit ihnen beschäftigten, was bei Fichte, Schelling, Hegel und andern namhaften Denkern nicht der Fall war. Doch der Königsberger Philosoph Kant konnte es nicht unterlassen, gelegentlich seine Bemerkungen über das schöne Geschlecht anzubringen. Für die vorherrschenden Neigungen desselben erklärt er die Neigung zu herrschen und diejenige zum Vergnügen; es komme den Frauen wesentlich darauf an, ihren Nebenbuhlerinnen nicht nachzugeben, sondern sie alle womöglich durch ihre Reize und ihren Geschmack zu besiegen. Für die Koketterie, deren sich Frauen in der Ehe schuldig machen, hat Kant indeß eine merkwürdige Entschuldigung. „Eine junge Frau ist doch immer in Gefahr, Wittwe zu werden, und das macht, daß sie ihre Reize über alle den Glücksumständen nach ehefähige Männer ausbreitet, damit, wenn jener Fall sich ereignet, es ihr nicht an Bewerbern fehlen möge.“ Von den gelehrten Frauen sagt er, „sie brauchten ihre Bücher eben so wie ihre Uhr, nämlich sie zu tragen, damit gesehen werde, daß sie eine haben, ob sie zwar gemeiniglich stillsteht oder nicht nach der Sonne gestellt ist.“

Weit schlimmer fahren die Frauen aber bei unseren neuen Modephilosophen Arthur Schopenhauer und Eduard von Hartmann. Eine Blüthenlese aus den Aussprüchen des Ersteren über die Frauen würde sehr reichhaltig sein, aber im Ganzen ein abschreckendes Bild der Priesterinnen des häuslichen Herdes ergeben. „Die Weiber,“ sagt der Frankfurter Philosoph, „sehen immer nur das Nächste, kleben an der Gegenwart, nehmen den Schein der Dinge für die Sache und ziehen Kleinigkeiten den wichtigsten Angelegenheiten vor.“

An einer andern Stelle sagt Schopenhauer: „Mit den Mädchen hat es die Natur auf einen Knalleffekt abgesehen, indem sie dieselben auf einige Jahre mit überreichlicher Schönheit, Reiz und Fülle ausstattete auf Kosten ihrer ganzen übrigen Lebenszeit, damit sie während jener Jahre der Phantasie eines Mannes sich in dem Maße bemächtigen könnten, daß er hingerissen wird, die Sorge für sie zeitlebens ehrlich zu übernehmen.“ Dies Zugeständniß an die weibliche Schönheit nimmt er aber später wieder zurück; er leugnet, daß man das weibliche Geschlecht das schöne nennen könne, indem er seine körperliche Erscheinung mit den herabsetzendsten Beiwörtern schildert, und, ganz im Fahrwasser seines Meisters Kant sich bewegend, erklärt er, die Frauen hätten weder für Musik noch für Poesie und bildende Künste wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit, sondern es sei bloß Aefferei aus Gefallsucht, wenn sie das zur Schau trügen. Es liege in der Weiber Natur, Alles nur als Mittel anzusehen, den Mann zu gewinnen.

Einen anderen Trumpf spielt Eduard von Hartmann aus: ihm ist das weibliche Geschlecht das unrechtliche und ungerechte; alle seien geborene Defraudantinnen aus Passion, hätten zur Fälschung eine instinktive Neigung (ein Viertel der Dienstbücher weiblicher Dienstboten in Berlin enthielt plumpe Fälschungen); sie mogelten beim Spiel, und das mache den Reiz des Spiels für sie aus; sie urtheilten nie ohne Ansehen der Person; die Mütter hätten stets Lieblingskinder und Aschenbrödel.

So sitzt das weibliche Geschlecht auf dem Lästerstuhle, wenn die Philosophen das Wort haben, dagegen auf einem von Weihrauch umdampften Thronsessel, wenn das Wort den Dichtern gegönnt ist.

Daß hervorragende Denker sich in so einseitiger und verkehrter Weise über die Frauen äußerten, in deren Hochstellung in Wahrheit ein Zeichen fortgeschrittener Kultur und Bildung liegt: das läßt sich zum Theil aus ihren persönlichen Verhältnissen erklären. Kant war ein eingefleischter Hagestolz, der fast gar keinen Umgang mit Frauen hatte; auch Schopenhauer blieb Zeitlebens Junggeselle und sah Welt und Leben oft in düsterster feindseliger Beleuchtung. Eduard von Hartmann aber gefällt sich oft in der Aufstellung ungewöhnlicher und befremdender Aussprüche: sonst hätte er am wenigsten Grund zu solchen geringschätzigen Aeußerungen über die Frauen. Seine eigene jetzt verstorbene Frau hat unter dem Namen Taubert ein verherrlichendes Werk über ihn veröffentlicht, und eine andere Dame, Olga Plumacher, hat große Essays über seine Schriften und seine Schule in angesehenen Zeitschriften erscheinen lassen. Dabei ist doch gewiß keine Mogelei im Spiel.

Herbstmorgen im Hochgebirge. (Mit Illustration S. 781.) Wenn in den Niederungen der Wind bereits sein Spiel mit den fallenden Blättern der Eichen und Buchen treibt, wenn das Laub in den rauschenden Wäldern unten gilbt und Wiesen wie Felder weiter nichts als öde, kahle Flächen zu sein scheinen, ist oben auf den Bergen noch nichts vom Niedergang der Dinge in der Natur zu bemerken. Wald und Wiesen zeigen die Farbe des vollen Lebens, und man darf behaupten, daß es in den Tagen des beginnenden Herbstes auf den Alpengründen am schönsten ist. Wohl kühlt sich die Luft rascher als früher, wenn das Sonnenlicht verlosch; ein scharfer Wind fegt dann über Felsen und durch Klüfte, so daß die hier hausenden Geschöpfe gezwungen werden, ein schützendes Obdach zu suchen; dichte Nebel quellen aus der Erde und legen sich wie ein Leichentuch auf Wälder und Triften; tiefe Stille herrscht ringsum, denn man vernimmt nicht mehr das leise Klingen der Herdenglocken und das unermüdliche Zirpen der Heimchen. Erst wenn der letzte Stern am Himmel verschwunden ist und goldige Lichtwellen die Spitzen der Berge umsäumen, dann ballen sich die dichten Nebelschleier zu langgezogenen Wolken zusammen, die sich bald an den Felswänden, bald am Waldessaum anhängen, bis sie, vom Feuer des Tagesgestirns aufgelöst, im blauen Aether verdunsten oder in den dunkeln Schluchten verschwinden. So wie die ersten Sonnenstrahlen über die Zinnen der Berge gleiten, regt sich’s allenthalben zum vollen Leben. Der Räuber der Lüfte verläßt seinen Horst und zieht scharf auslugend seine Kreise hoch über Wäldern und Wiesen; ein fröhliches Zwitschern in den Zweigen der Tannen zeigt an, daß noch nicht alle Vöglein dem schönen Aufenthalt hier oben Valet gesagt haben. Die Thiere des Waldes lassen sich’s noch wohl sein bei der fetten Aesung, und nun ist auch die Zeit gekommen, in welcher der König unserer Bergreviere, der Edelhirsch, aus dem Dickicht auf die thaufrische Trift tritt und sich an dem üppigen Futter letzt. In einiger Entfernung von ihm stehen die Thiere, welchen er seinen Schutz angedeihen läßt; trotzig hebt er sein mächtiges Haupt und späht umher, ob nicht ein Nebenbuhler es wage, sein Revier zu betreten; erblickt er Verdächtiges in dieser Beziehung, dann legt er den Kopf zurück, stößt ein Gebrüll des Zornes aus und eilt mit gewaltigen Sätzen dem Feinde entgegen. Dann schallt vielleicht bald durch die Stille des Herbstmorgens das Getöse eines erbitterten Zweikampfes, und weithin vernimmt man das Schlagen der Thiere mit den gezackten Stangen, das dumpfe Brüllen und Stöhnen, bis der Sieger seinen Gegner zwingt, den Kampfespreis und den Platz aufzugeben. Solche Vorgänge erhöhen den Reiz der unvergleichlichen Scenerie noch um ein Bedeutendes, und wer Gelegenheit hatte, einen Herbstmorgen im Hochgebirge, wie ihn der Künstler in seinem Bilde mit seinem Verständniß und außerordentlich stimmungsvoll schildert, zu genießen, hat seine Erinnerungen an die herrliche Alpenwelt um einen gewiß unvergeßlichen Moment bereichert.

Das Lebensalter der Dichter. Sehr ungleich ist die Lebenszeit, welche den Lieblingen der Musen auf Erden zugemessen ist. Einige erreichten ein hohes Alter, ohne daß ihr geistiges Leben dadurch verkümmert worden wäre. Altmeister Goethe, der in seinem dreiundachtzigsten Lebensjahre starb, blieb bis zu seinem Tode in regem Verkehre mit den Zeitgenossen und den Zeitbestrebungen. Ungefähr das gleiche Alter erreichte der größte französische Dichter der Neuzeit, Viktor Hugo, der ebenfalls noch in hohen Jahren mit jugendlichem Eifer seine oft kühnen, oft seltsamen Ideen verfocht. Von den griechischen Trauerspieldichtern erreichte Sophokles mit ungetrübter Schöpfungskraft das einundneunzigste Lebensjahr; Euripides wurde 79 Jahre, Aeschylos 69 Jahre alt. Auch Dichter, welche der neuen deutschen Litteraturepoche angehören, erreichten ein höheres Alter, so namentlich die poetischen Weisen aus dem Orient, deren Muse ruhiger Lebensbetrachtung gewidmet war: Friedrich Rückert, der Dichter der „Weisheit des Brahmanen“, und Leopold Schefer, der Verfasser des „Laienbreviers“. Beide wurden 78 Jahre alt, während Ludwig Uhland ein Alter von 75 erreichte. Die großen Dramatiker Schiller und Shakespeare starben im besten Mannesalter, der Erstere schon mit 46 Jahren, der Zweite mit 52 Jahren.

Doch eine große Zahl von Dichtern wurde dahingerafft in der Blüthe ihrer Jugend oder in den kräftigsten Lebensjahren – und nur selten war es die feindliche Kugel, die ihnen den Tod brachte, wie bei Theodor Körner, der im 23. Lebensjahre für das Vaterland starb: Krankheit oder innere Verwüstung waren bei vielen Poeten die Ursache frühen Todes. Novalis, der Romantiker der blauen Blume, ward 29 Jahre, Ernst Schulze, der Sänger der preisgekrönten „bezauberten Rose“, 28 Jahre, Wilhelm Müller, der Dichter der Griechenlieder, 33 Jahre, Wilhelm Hauff, der geistreiche Novellist, nur 26 Jahre, Paul Fleming, der beste Liedersänger der ersten schlesischen Schule, 31 Jahre, der Elegiker Hölty 28 Jahre alt. Der größte neue Dichter Englands, Lord Byron, starb mit 36 Jahren, der größte des neueren Italiens, Leopardi, mit 39 Jahren. Sehr jung starben auch viele römische Dichter: Catull mit 30 Jahren, Tibull und Properz mit ungefähr 35 Jahren, der Lustspieldichter Terenz mit 26 Jahren, der Satiriker Persius mit 28 Jahren. So war vielen hochbegabten Geistern nur ein kurzes Leben beschieden, und die Welt wurde um zahlreiche Früchte schöner Talente gebracht. Manchem gereichte indeß auch ein früher Tod zum Heil, denn er hätte sonst seinen Ruhm überlebt.

Die Einschiffung der Leiche Gustav Adolf’s im Hafen zu Wolgast. (Mit Illustration S. 776 und 777.) Das neueste Bild des schwedischen Malers Hellqvist, welches von der Kritik der nordischen Hauptstädte aufs günstigste beurtheilt wurde, stellt uns dar, wie die Leiche des Schwedenkönigs in das wartende Boot gebracht wird, um in die Heimat übergeführt zu werden. König Gustav Adolf war am 16. November 1632 in der Schlacht bei Lützen gefallen; seine Leiche kam erst am 15. Juli 1633 im Hafen von Wolgast an, weil sie bei dem Transport dorthin an verschiedenen Orten ausgestellt worden war. Unter dem Donner der Kanonen der im Hafen liegenden schwedischen Schiffe wird der Sarg des großen Königs von vier Soldaten verschiedener schwedischer Regimenter die große Treppe heruntergetragen, die vom Kai zum Wasser herabführt. Oben an der Treppe stehen tiefbewegt die Vertreter des Reichs, Adel und Geistlichkeit, die trauernde Wittwe, die Königin, ganz in Schwarz gekleidet, die, einer Ohnmacht nahe, sich auf einen alten, neben ihr stehenden Edelmann stützt. Im Einklang mit der melancholischen Situation ist ein grauer nebliger Duft über das Ganze ausgebreitet.

Eine Märtyrerin der Expeditionen ins nördliche Eismeer. Nicht als eine Emancipirte, um Ruhm zu erwerben, wissenschaftliche Probleme zu lösen oder die eisumgürteten Küsten der nördlichen Erdhälfte zu untersuchen und festzustellen, zog Anna Prontschitscheff nach den Polarländern und setzte sich den endlosen Entbehrungen, Mühsalen und Gefahren der Nordpolfahrer aus, sondern, dem echt weiblichen Berufe getreu, stand sie als liebende Gattin ihrem Gemahl Prontschitscheff auf seiner Reise zur Seite. Dieser war der Erste, der es unternahm, die Küsten Sibiriens festzustellen. Bis zum Jahre 1734 hatte man Reisen nach und in Sibirien lediglich zu Handelszwecken unternommen. Kühne Jäger, die dem kostbaren Pelzwild nachstellten, hatten allerdings die ungeheueren Flächen des riesigen asiatischen Nordlandes bis zur Behringsstraße durchstreift, waren auch bis zum arktischen Meere vorgedrungen, desgleichen die den „Jassak“ (d. s. die Steuern) von den sibirischen Nomadenstämmen einziehenden Kosaken, Niemand aber waren die Grenzen des Landes bekannt. Da – im Jahre 1734 – unternahm Prontschitscheff zum ersten Mal das Wagestück, die sibirische Küste zu bestimmen. Von der Lenamündung aus wollte er westwärts fahren, um so endlich wieder in den Obi einzulaufen, und die russischen Ansiedelungen an demselben erreichen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_787.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2019)