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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Blätter und Blüthen.

Das Berliner Hoftheater. Kurz vor seiner Säkularfeier ist das Berliner Hoftheater in eine neue Aera getreten. Botho von Hülsen, welcher seit 1852 Generalintendant desselben gewesen, ist am 30. Sept. gestorben. Als junger Lieutenant nahm er das Steuerruder desselben in die Hand, nachdem er vorher bei Liebhaberaufführungen durch geschickte Arrangements und gewandtes Spiel seine Theaterlust bewährt und die Aufmerksamkeit des Königs Friedrich Wilhelm IV. auf sich gelenkt hatte; reich an Ehren und Würden ist er geschieden. Sein Vorgänger, Herr von Küstner, war ein Fachmann, der schon mehrere Theater geleitet hatte, ehe er nach Berlin berufen wurde: Küstner war ein Förderer der neuen litterarischen Bestrebungen, und er hatte das Glück, daß diejenigen Stücke der jüngeren Schule, die sich bis heute auf dem Repertoire erhalten haben, die Dramen von Gutzkow, Laube, Freytag während seiner Intendanz zuerst auf die Berliner Hofbühne kamen. Herr von Hülsen übernahm die Leitung des Hoftheaters, ohne sich vorher in irgend einer dramaturgischen Thätigkeit bewährt zu haben; auch durfte man bei ihm kein besonderes Interesse für die Litteratur, aber auch keine Parteinahme für irgend eine litterarische Richtung voraussetzen. Er faßte alsbald seine Bühnenleitung von der praktischen Seite auf: als pflichttreuer Beamter, als ein Kavalier, dessen Wort stets zuverlässig war; voll Herzensgüte und Mitgefühl wußte er sich die Liebe seiner Untergebenen und die Achtung der weitesten Kreise von Hause aus zu sichern. Und seine lange Wirksamkeit hat nur dazu gedient, diese gute Meinung zu befestigen. Der Litteratur gegenüber hat er sich wenigstens dadurch Verdienste erworben, daß er die neufranzösische Komödie von der Hofbühne fernhielt, daß er einzelne deutsche Talente wie Brachvogel, Lindau, Hugo Bürger mit Erfolg in die Theaterwelt einführte. Doch sein Hauptverdienst liegt auf der Seite der Verwaltung: als die Hoftheater von Hannover, Kassel, Wiesbaden nach der Annexion von 1866 der Berliner Generalintendanz unterstellt worden, trat die Bedeutung derselben als erste Instanz für das ganze norddeutsche Theaterwesen immer mehr zu Tage. Herr von Hülsen wurde der Vorsitzende des Bühnenkartellvereins, welcher Recht und Ordnung im Theaterleben durch gemeinsames Vorgehen der Bühnenvorstände zu begründen und aufrecht zu halten suchte. Wie er schon früher durch Gründung der „Perseverantia“ der Noth der Bühnenmitglieder bei ihrer Erkrankung und nach ihrem Abgang vom Theater zu steuern suchte, so kam er auch später allen Bestrebungen der Schauspieler selbst, nachdem diese die deutsche Bühnengenossenschaft geschaffen, mit seinem ganzen Ansehen fördernd entgegen. So ist der Name Hülsen’s mit der ganzen Neugestaltung des deutschen Theaterwesens eng verknüpft.

Hülsen’s Nachfolger, Graf Bolko von Hochberg, Bruder des Fürsten Pleß, ist ein schlesischer Aristokrat, der durch eigene künstlerische Bestrebungen auf dem Gebiete der Musik und durch die Förderung musikalischer Interessen die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Im Jahre 1843 auf dem romantisch gelegenen Schloß Fürstenstein in Schlesien geboren, befindet er sich noch im kräftigsten Mannesalter. Eine von ihm komponirte Oper, „Die Falkensteiner“, ist am Dresdener Hoftheater aufgeführt worden; außerdem hat er Symphonien und Lieder komponirt. Auf seinem Schlosse Rohnstock hielt er sich für musikalische Aufführungen ein eigenes Orchester; seit 1876 hat er die schlesischen Musikfeste ins Leben gerufen.

Allem Anscheine nach wird Graf Hochberg den Schwerpunkt seiner künstlerischen Leitung auf die Förderung der Oper legen; und so mag die Mittheilung der Zeitungen vielleicht nicht unbegründet sein, daß ihm für das Schauspiel ein litterarisch-dramaturgischer Rathgeber an die Seite gestellt werden soll. Jedenfalls thut es noth, das Berliner Hoftheater, welches Herr von Hülsen an die Spitze der deutschen Bühnen gestellt, was die musterhafte Verwaltung und die Leitung aller Reformbestrebungen anbetrifft, nun auch in künstlerischer Hinsicht auf eine höhere Stufe zu heben und über Aeußerlichkeiten die idealen Ziele der deutschen Schaubühne nicht aus dem Auge zu verlieren.

Ein Volk von Zwergen in Südafrika. Immer neue Entdeckungen machen die Reisenden im Süden des schwarzen Erdtheils: jenseit des Schauplatzes der frühern berüchtigten Kriege zwischen Engländern und Kaffern, seitlich vom Zulu- und Transvaallande, wo die Engländer noch vor wenig Jahren gegen Zulu und Boers fochten, liegt eine Gegend im Norden des Gebiets der Kapkolonie, wohin allerdings die Entdeckung reicher Diamantlager seit 1867 eine ziemlich zahlreiche weiße Bevölkerung gezogen hat; aber über 29 bis 30 Grad südlicher Breite hinaus beginnt [s]elbst auf den neuesten Karten eine nur mit spärlichen Namen und Reiserouten bezeichnete Fläche, welche noch so wüst aussieht wie vor acht Jahren das seitdem durch Stanley aufgeschlossene Centrum des dunklen Erdtheils; sie hat den doppelten Flächenraum des Deutschen Reichs und war bis jetzt nur als die der Sahara vergleichbare „Kalahariwüste“ bekannt. Ein tapferer Jäger aus Amerika, Farini, hat sie jetzt durchstreift bis nach dem Ngami-See und das Resultat dieser Streifzüge in einem Reisewerke: „Durch die Kalahariwüste“ veröffentlicht, das soeben in autorisirter deutscher Uebersetzung erschienen ist (Leipzig, F. A. Brockhaus).

Wir erfahren aus dem Werke viel Interessantes über die unbekannte Wüste; Abenteuer von der Jagd, der Löwen- und Elefantenjagd werden erzählt. Als der Reisende nach großen Beschwerden in der unmittelbaren Nähe des Ngami-Sees angekommen war, wurde er aufmerksam auf eine Gruppe kleiner Verstecke, welche dadurch hervorgebracht wurden, daß sich die Spitzen zweier Grasbüschel zusammenbogen. Sie bildeten eine Art von Thurm mit dem bloßen Sand als Flur darunter. Das waren die Wohnungen der hier hausenden Zwerge, aber sie entschwanden ebenso plötzlich wie durch Zauberei, indem sie sich so vollständig hinter den Grasbüscheln verbargen, daß das Versteck nur mit großer Mühe ausfindig gemacht werden konnte. Am ersten Abend ließen sie sich durch die Geschenke von Taschentüchern und Taschenmessern nicht bewegen, aus ihrem Verstecke hervorzukommen; doch am andern Morgen näherte sich ein Trupp von sieben bis acht kleinen, braunen, fast nackten Wesen dem Wagen. Aus der Entfernung hätte man sie ihrer Größe nach für Kinder halten können; als sie aber näher kämen, verriethen ihre runzeligen Gesichter, welche denen der Buschmänner glichen, daß es erwachsene Männer und Weiber waren. Auf den Backen, Armen und Schultern waren sie mit kurzen, geraden, blauen Strichen tätowirt, und Allen, bis zum Säugling herunter, war zum besonderen Kennzeichen des Stammes das erste Glied des kleinen Fingers jeder Hand abgeschnitten. Der Stamm nannte sich M’kabba; der Häuptling war ein kleiner Geselle von 125 Centimeter Höhe, seine Frau etwas größer, seine Töchter ebenso groß wie er; eine derselben hatte zwei Kinder. Diese sahen mit ihren zierlichen braunfarbigen Gesichtern und großen, hellen, funkelnden Augen ganz niedlich aus und wären wirklich ganz hübsch gewesen, hätten sie nicht im Gehen ihren stark vortretenden Bauch gerade wie so viele der Zwergältesten der Wüste gezeigt. Der kleine Häuptling war in seinen Augen ein großer Herr und ließ den Fremden die Unterthanen nicht zu nahe kommen.

Diese kleinen Leute haben weniger Bedürfnisse, als irgend ein anderes Volk: sie leben von Mangetan oder Wassermelonen und werden fett von dem ölhaltigen Samen, den sie zu einem Kuchen backen und braten. Giebt es keinen Mangetan, so leben sie von Wurzeln, welche die Frauen sammeln, während die Männer Jagd auf kleines Wild machen. Eine besonders beliebte Speise sind bei ihnen Trüffeln, welche zu Tausenden vorkommen, deren Fundgrube sich durch eine Schwellung im Sande verräth und welche denselben Wohlgeschmack haben, wie die französischen. Zur Jagd gebrauchen die Zwerge Bogen und vergiftete Pfeile. Jeder Theil eines von ihnen erlegten Thieres wird gegessen und selbst Haut und Knochen dabei nicht verschont. Sie sind gefräßig wie die Buschmänner. Bei einem Gegenbesuch in ihrem Lager fand Farini die kleinen Leute schlafend, die Kniee bis ans Kinn in die Höhe gezogen und unter einem Busch oder Grasbüschel liegend. Selbst die Wohnung des Häuptlings bestand nur aus einem in die Erde gegrabenen Loch, über welchem die Zweige zweier Gebüsche das Dach bildeten: kein besonders ausreichender Schutz gegen die kalte Nachtluft und die schweren Regengüsse; gegen die wilden Thiere aber schützen sie sich durch eine Reihe kleiner Feuer, um welche sie liegen oder knieen und in welche sie im Schlaf oft hineintaumeln, so daß viele verbrannte Gesichter, Hände und Füße haben.

Farini müßte kein Amerikaner sein, wenn er in den kleinen schwarzen Leuten nicht bald geeignete Objekte für Schaustellungen erkannt hätte: er knüpfte mit ihnen darüber Verhandlungen an, und die Zwerge vom Ngami-See werden wohl bald in Amerika und Europa ihre Aufwartung machen.

Der Kronprinz des Deutschen Reiches und seine Jagdgesellschaft. (Mit Illustration S. 793.) Auf der Südseite Berlins liegt ein königliches Feldjagdgehege, welches, unmittelbar vor dem Halleschen und dem Potsdamer Thore einsetzend, sich mit einigen Unterbrechungen bis über Königs-Wusterhausen hinaus erstreckt.

Dieses Revier ist mit 100 bis 120 Trappen, einigen wenigen, etwa 50 bis 60 Rehen, im Uebrigen aber mit Hasen und Rebhühnern reichlich besetzt und dient vornehmlich zur Abhaltung größerer und kleinerer Treibjagden auf Hasen, außerdem aber auch dem Sport der Feldhühnersuche.

Ihrer großen Nähe wegen und weil in Folge der hohen Bodenkultur, deren die genannten Feldmarken sich durchweg erfreuen, die niedere Jagd für märkische Verhältnisse eine sehr gute ist, sind die erwähnten Hasenjagden, auf denen in wenigen Stunden durchschnittlich 300 bis 400, in günstigen Jahren auch 500 bis 600 Hasen und darüber erlegt werden, sehr beliebt; aber nicht nur seitens der Schützen, sondern, wie die Jägerei es oftmals zu großem Schaden erfährt, auch seitens des schaulustigen Publikums, welches namentlich zu der größten, alljährlich bei Buckow stattfindenden Hofjagd, an welcher auch die höchsten Herrschaften ziemlich regelmäßig Theil zu nehmen pflegen, in unglaublichen Massen zuströmt.

Das vorstehende, von dem durch seine Moment-Aufnahmen bekannten Photographen Ziesler in Berlin hergestellte Bild giebt den Augenblick wieder, in dem die Jagdgesellschaft, nachdem sie auf der Jagd, die am 16. Januar auf diesem Revier stattgefunden, das Déjeuner eingenommen hatte, zum zweiten Treiben aufbrach. Es war ein unfreundlicher Tag, aber die Stimmung der Gesellschaft war durch die bereits beim Frühstück hervorgetretene liebenswürdige Laune des Kronprinzen eine außerordentlich animirte.

Neben dem Prinzen Wilhelm, der stets auf den Jagden den kleinen eingekniffenen Hut trägt, dem Prinzen Heinrich, der von Kiel eingetroffen war, und dem hier zum Besuch weilenden jungen Prinzen Ludwig von Baden, nahmen insbesondere Herren aus der nächsten Umgebung des Kaisers und des Kronprinzen, die Flügeladjutanten und die persönlichen Adjutanten, theil.

Wir sehen auf dem Bilde zur Rechten den Grafen Lehndorff, von Albedyll und den Grafen Brandenburg, den Prinzen Reuß (Heinrich XVIII.) und den Oberst-Lieutenant von Plessen, ferner den Major von Kessel, sowie den Ober-Ceremonienmeister Grafen zu Eulenburg und den Major von Kroitzsch.

Neben dem Prinzen Heinrich erscheint, eigenthümlich durch Hut und Pelz gegen die übrigen im Jagdkostüm erschienenen Herren abstechend, der russische Botschafter Graf Schuwaloff mit dem geistvollen Gesicht, und ihm zur Rechten in der vorderen Reihe steht mit schmunzelnder Miene Fürst Salm-Dyck, eine in der Lebewelt sehr bekannte Persönlichkeit.

Der Kronprinz selbst, mit der historisch gewordenen Pfeife im Munde – ein echter Waidmann in seiner Erscheinung – ragt, der Wirklichkeit entsprechend, in diesem Gruppenbilde über alle Herren seiner Umgebung empor, und in den schönen, männlichen Zügen spiegelt sich auch heute jenes freundliche Wohlwollen wieder, welches bei dem hohen Herrn bekannt ist, und welches alle Diejenigen nicht genug zu rühmen wissen, die jemals mit ihm in Berührung treten durften.

Hermann Heiberg.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 803. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_803.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2018)