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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Ah – Herr Hans Wehlau!“ sagte er, den Namen scharf und hohnvoll betonend; der junge Mann verbeugte sich.

„Zu dienen, Herr von Eberstein.“

Der alte Herr wollte offenbar eine erhaben zürnende Stellung annehmen, die dieser Gerichtsscene entsprach, aber da spielte ihm seine Gicht einen bösen Streich. Er hatte sich vorhin bereits überanstrengt, jetzt versagten ihm die Füße vollständig den Dienst. Er sank in den ersten besten Sessel und bot dort einen mehr kläglichen als fürchterlichen Anblick dar; trotzdem überwand er seine Schmerzen und fuhr fort:

„Ich komme soeben von einem –“ er verschluckte einen anderen grimmigeren Ausdruck, „einem gewissen Professor Wehlau, der Ihr Vater zu sein behauptet.“

„Der es sogar ist!“ erklärte Hans, der nun wohl einsah, daß sein Bekenntniß nicht mehr nöthig sei.

„Und das geben Sie mir wirklich zu?“ rief der Freiherr empört. „Sie gestehen es also ein, daß Sie mir eine schändliche Komödie vorgespielt, daß Sie sich unter falschem Namen bei mir eingeschlichen, sich einen Adelstitel angemaßt haben –“

„Bitte, Herr Baron, das habe ich nicht gethan,“ fiel Hans ein. „Ich erlaubte mir nur, meinem eigenen Namen, der mir doch unzweifelhaft gehört, einen zweiten beizufügen. Den ‚Baron’ aber haben Sie mir zudiktirt. Uebrigens sind Sie vollkommen in Ihrem Rechte, wenn Sie mir Vorwürfe machen, und ich bitte aufrichtig um Verzeihung wegen des tollen Einfalls, mit dem ich mir eine anfangs versagte Gastfreundschaft erzwang. Ich rufe Fräulein von Eberstein zum Zeugen dafür auf, daß es meine Absicht war, aus freiem Antriebe nach der Ebersburg zu kommen und Ihnen die Wahrheit zu gestehen. Dem flüchtigen Gast, der eines Abends kam und am nächsten Morgen wieder davonzog, konnte man den Uebermuth vielleicht verzeihen, eine fortgesetzte Täuschung wäre Betrug gewesen. Das wurde mir sofort klar, als ich das gnädige Fräulein in der Hauptstadt wiedersah, und ich habe nicht einen Augenblick gezögert, ihr die Wahrheit zu bekennen.“

Eberstein warf seiner Tochter einen erstaunten und entrüsteten Blick zu.

„Wie, Gerlinde, Du hast das gewußt und es mir verschwiegen? Du hast diesem Herrn Hans Wehlau trotzdem erlaubt, in Deine Nähe zu kommen, und vielleicht sogar seine Entschuldigung angenommen über Dinge, die nicht zu entschuldigen sind? Ich finde das sehr unpassend.“

Gerlinde antwortete keine Silbe; sie stand bleich und zitternd am Fenster und blickte angstvoll zu Hans hinüber: eine Heldin war das kleine Dornröschen gerade nicht. Um so unerschrockener zeigte sich der junge Ritter vom Forschungstein. Er sah, daß hier mit dem Parlamentiren nichts zu erreichen war; der Sturm mußte gewagt werden, und so nahm er denn einen Anlauf und setzte tapfer mitten in die Dornenhecke hinein.

„Das gnädige Fräulein hat sogar noch mehr gethan,“ entgegnete er, „sie hat mir auf eine Frage, die ich an sie richtete, eine höchst beglückende Antwort gegeben. Ich gestand ihr soeben meine Liebe und empfing das Geständniß ihrer Gegenliebe. Sie erlauben uns daher wohl, Herr Baron, um Ihren väterlichen Segen zu bitten?“

Der alte Herr nahm wider Erwarten diese Worte ziemlich ruhig auf, weil er sie einfach nicht verstand. Er hielt das für eine neue „schändliche Komödie“; denn daß der Sohn des bürgerlichen Professors im Ernste um ein Fräulein von Eberstein freien könne, fiel ihm gar nicht ein.

„Mein Herr, ich verbitte mir dergleichen taktlose und empörende Scherze!“ sagte er in hohem Tone. „Sie scheinen garnicht zu fühlen, was Sie sich eigentlich damit herausnehmen, und ich sollte meinen, Sie hätten allen Grund, mir gegenüber ernst zu sein.“

Hans trat zu seiner Braut und ergriff ihre Hand.

„So muß ich Dich bitten, Gerlinde, zu sprechen und meine Worte zu bestätigen. Sage Deinem Vater, daß Du mir das Recht gegeben hast, bei ihm um Deine Hand zu werben, daß Du mir angehören willst und keinem Anderen.“

Die Worte klangen in vollster Zärtlichkeit, aber Gerlinde hörte doch die ernste Mahnung darin und fühlte, daß sie jetzt ihre Zaghaftigkeit überwinden müsse und ihrem Hans an Tapferkeit nicht nachstehen dürfe. Ueberdies war er ja an ihrer Seite, bereit, sie zu schützen, und so brach sie denn aus:

„O Papa, ich habe ihn so lieb, so grenzenlos lieb! Und wenn er auch keinen Adel und kein Wappen hat – ich will keinen Anderen, als meinen Hans!“

„Meine Gerlinde!“ rief Hans, sie stürmisch in seine Arme schließend. Und nun geschah das Unglaubliche, Unfaßbare! Vor den Augen des Freiherrn Udo von Eberstein-Ortenau küßte der Mensch ohne Namen und Familie den letzten Sprößling des erlauchten Geschlechtes aus dem zehnten Jahrhundert, und zwar that er dies zweimal hinter einander!

Der alte Herr war in der ersten Minute völlig sprach- und bewegungslos. Er sah starr auf die Gruppe und dann eben so starr nach der Decke hinauf; denn er erwartete nichts Geringeres, als daß die Mauern einstürzen und den Frevler begraben würden.

Schloß Steinrück schien aber der Meinung zu sein, daß diese Sache eigentlich nur die Ebersburg angehe, die in diesem Augenblick zweifellos mit dumpfem Krachen in Trümmer fiel, und blieb stehen. Der Freiherr sah, daß das Weltgericht unbegreiflicher Weise nicht eintrat, daß er dessen Rolle übernehmen müsse, und nun wollte er allerdings aufspringen. Aber sogar die Gicht war mit den Beiden im Bunde: sie hielt ihn erbarmungslos fest. Anstatt wie ein Rache-Engel dazwischen zu treten und sie aus einander zu reißen, brachte er es nur zu einer kläglich zappelnden Bewegung und sank dann wieder kraftlos und hilflos in den Lehnstuhl zurück.

„Gerlinde!“ rief er mit heiserer Stimme. „Entartetes Kind! Komm zu mir – komm augenblicklich an meine Seite!“

Gerlinde machte einen allerdings nicht sehr energischen Versuch, zu gehorchen: als aber Hans sie daran hinderte und sie festhielt, ließ sie sich ganz geduldig festhalten und wiederholte nur schluchzend:

„O Papa, ich habe ihn so lieb!“

„Herr Hans Wehlau,“ schrie Eberstein, der jetzt alle Haltung verlor, gellend. „Lassen Sie meine Tochter los, auf der Stelle! Ich befehle es Ihnen! Entfernen Sie sich augenblicklich!“

„Sogleich, Herr Baron,“ versicherte Hans. „Erlauben Sie mir nur, von meiner Braut Abschied zu nehmen,“ und damit küßte er Gerlinde von Neuem, was ein erneutes krampfhaftes Zappeln des Freiherrn zur Folge hatte.

„Ich rufe um Hilfe! Ich rufe die ganze Dienerschaft herbei! Ich läute Sturm!“ schrie er und bemühte sich vergebens, die Tischglocke zu erreichen, die in einiger Entfernung stand. Da öffnete sich die Thür, und Hertha, die der Lärm herbeigezogen hatte, erschien.

„Gräfin Hertha!“ rief Eberstein, der bei ihrem Anblick neuen Muth schöpfte. „Retten Sie mein Kind, das dieser Mensch da bezaubert, behext hat, weisen Sie ihn aus Ihrem Schlosse!“

Hertha stand ganz entsetzt da. Sie sah Gerlinde in den Armen Hans Wehlau’s, der noch immer mit den Abschiedsfeierlichkeiten beschäftigt war, und den alten Baron jammernd und zappelnd im Lehnstuhl; die Scene war ihr völlig unverständlich.

Hans fand sich nun endlich bewogen, dem Befehle des Freiherrn nachzukommen, aber er führte Gerlinde nicht zu ihm, sondern zu der jungen Gräfin und sagte im Tone der Bitte:

„Ich übergebe meine Braut Ihrem Schntze, Gräfin Steinrück. Der Herr Baron weist vorläufig noch meine Werbung zurück, und ich muß für den Augenblick allerdings weichen, denn ich darf meinem künftigen Schwiegervater –“

„Unverschämter!“ schrie Eberstein, der jetzt einen förmlichen Krampfanfall zu bekommen schien.

„– weder in schroffer Weise entgegentreten, noch kann ich diesen beleidigenden Ton länger ertragen,“ vollendete der junge Mann ruhig. „Nehmen Sie sich meiner Gerlinde an! Ich bitte Sie recht herzlich darum; ich komme wieder, sobald Herr von Eberstein sich etwas beruhigt haben wird.“

Damit küßte er in aller Seelenruhe seine Gerlinde zum vierten Male, küßte der jungen Gräfin die Hand, machte dem Freiherrn eine artig ritterliche Verbeugung und ging zur Thür hinaus. –

Professor Wehlau hatte inzwischen seinen Aerger überwunden und seine Briefschaften erledigt. Was ging ihn auch schließlich dieser verrückte alte Freiherr aus dem zehnten Jahrhundert an! Der Mann war offenbar unzurechnungsfähig, und deßhalb war Wehlau auch geneigt, den tollen Streich seines Sohnes milder zu beurtheilen, als er es sonst gethan hätte. Der Einfall mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_834.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2022)