Seite:Die Gartenlaube (1886) 858.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Nein,“ ruft Oskar, „was ich verdiene, kommt hier gar nicht in Betracht. Ich habe mich wohl ehrlich gequält; erreicht habe ich nichts.“

„Das ist nun doch, wie mir scheint, eine starke Uebertreibung, mein werther Herr Schaumlöffel. Ihr Vetter sagte mir schon … na, lassen wir das. Wenn ich auch zugebe, daß meine Finanzen etwas sicherer gegründet sind … indeß bei diesen Fragen stehen wir ja vorläufig noch nicht. Es ist bis jetzt – wie gesagt, von einem Gefallen von Seiten Luciens nicht die Rede; doch, ehe wir so weit – vielleicht! – kommen: sagen Sie mir ehrlich, haben Sie irgend welche Verbindung, die meinem lieben Kinde später Thränen kosten könnte?“

Mit seinen ernsten offenen Augen sieht Oskar zu ihm auf. Der Himmel wird ihm aufgeschlossen. Warum soll er nicht hineinspazieren?

„Ich versichere Ihnen, Mister Dunby, so wahr ich vor Ihnen stehe, bis jetzt hat noch keine Frau mir ein wirkliches Interesse eingeflößt – ich habe noch nie geliebt –“

„Tatata … so sprechen Alle!“

„Mister Dunby – Sie haben mein Wort.“

„Gut – gut! Es ist nur merkwürdig, wenn man sich überlegt. Sie sind jetzt beinahe dreißig Jahre … Gut, gut, ich will glauben, da Sie mir Ihr Wort verpfändet haben, daß Sie kein ehrliches Mädchen betrügen.“

„Mister Dunby!“

„Ueber diesen Punkt also wären wir im Klaren. – Haben Sie Schulden?“

„Ich hatte bis jetzt so wenig Aussicht, Schulden zu bezahlen, und da … wäre es mir nicht leicht geworden, Schulden zu machen.“

Der Amerikaner sieht ihn scharf an.

„Auch hier ist Offenheit Alles, was ich verlange. Ich bitte, setzen Sie sich in meine Lage. Ich bin hier vollkommen fremd, und das Glück meines Kindes liegt mir sehr am Herzen. Ich werde deßhalb – auf die Gefahr hin, Ihre Gefüble zu beleidigen, so viel ich kann, Erkundigungen über Sie einziehen.“

„Es wird Jhnen schwer genug werden! Sie sollten wenigstens die Rückkehr meines Vetters abwarten.“

„Lassen Sie das meine Sache sein. Ob Ihr Vetter gerade der unparteiische Richter wäre? Wir sehen uns doch heute?“

Oskar reicht ihm nur mit einer eigenthümlichen Bewegung die Hand; er hatte den Absagebrief, ehe der Amerikaner eintrat, in seine Brusttasche gesteckt. Er begleitet Mister Dunby hinaus: er fühlt den Boden kaum noch unter seinen Füßen.

*  *  *

„Das ist Dir ein ganz erstaunlicher Mensch, dieser Schaumlöffel,“ sagt Dunby, als er von dem Besuch zurückkehrt, zu seiner Frau, die er in seine Stube gewinkt hat. „Daß er Lucie leidenschaftlich liebt, darüber kann gar kein Zweifel sein.“

„Er wird wohl Uebung haben!“

„Nein, Karoline, er schwört, daß sie die Erste sei.“

„Und Du hast ihm geglaubt? Einem Künstler? Mister Dunby, ich bewundere Dich!“

„Thu’ mir den Gefallen, Karoline, und mach’ mir keine Geschichten! Du hättest es mit beschworen, wenn Du dabei gewesen wärst.“

„Du warst vorher im Hofbräu?“

„Karoline!“

„Nein – Dunby! Ein Maler, der seit zehn Jahren die hübschesten bayerischen Frauen abmalt – und wäre nie ernstlich verliebt gewesen? O Mister Dunby – dieser Schaumlöffel ist Dir überlegen!“

Er hatte sich ärgerlich abgewandt; er war überzeugt, ja! Aber was seine Frau sagte, machte ihn trotzdem nachdenklich. Sie hatte eine so zuversichtliche, sarkastische Art.

„Man muß ihn scharf im Auge behalten. Künstler, das sind eben Menschen, auf die kein rechter Verlaß ist,“ sagt sie einlenkend.

„Wenn ich die Wahl hätte, wäre mir ein tüchtiger Nationalökonom auch lieber. Und wenn er sich auf die Chemie werfen wollte, könnte er steinreich werden.“

„Komme Du ihm mit solcher Arbeit! Wenn Einer einmal an das amüsante Nichtsthun gewöhnt ist – denn das Bischen Gepinsel ist ja doch keine eigentliche Anstrengung – so ist er auch für jede ernste Beschäftigung verloren … Heute Nachmittag laß ich ihn aber Luciens Profil ins Album zeichnen. Wir nehmen es mit nach Nymphenburg.“

„Und sein Vetter, der mich gewarnt hat, von der Malerei zu sprechen?“

„Ein paar Striche! Das ist ja nichts für ihn – das ist, wie wenn der Rubinstein eine Tonleiter spielt.“

*  *  *

Oskar hat eine zweite Karte von Paul erhalten: „Das Portrait ist beinah beendet – Resultat zweifellos! Was macht Amerika? Sorgt Fritz, daß Du zunimmst?“

Obgleich Oskar nicht in der Stimmung ist, auch nur drei Worte zu schreiben, will er seinen Vetter doch nicht vernachlässigen. Er antwortet: „Zum Ersten meinen Händedruck. Das Zweite scheint von Deinem Namen bestochen. Das Dritte verdient Lob, obgleich ich nicht zunehme.“

Der Gedanke an Lucie übte seit der Unterhaltung mit ihrem Vater eine magische Wirkung auf Oskar. Er konnte sich nicht erklären, warum das reizende junge Mädchen sich für ihn interessire. Aber die Wahrnehmnng fing an zur Gewißheit für ihn zu werden. Das Herz fragt nicht nach Gründen, wo es überzeugt sein will – und waren hier nicht zum Ueberfluß sogar Gründe vorhanden? Hatte nicht Lucie schon an jenem ersten Abend im Löwenbräu ihm eine ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet? Drückte ihr Auge nicht noch etwas mehr als den Wunsch nach Zeichenstunden aus, als sie am nächsten Morgen mit ihrer Mappe bei ihm eintrat? Und vor Allem: würde der einfache Biedermann, ihr Vater, ihm ein so umfassendes Geständniß gemacht, ja ihm die Tochter gewissermaßen angetragen haben, wenn er nicht selbst Zeichen einer erwachenden Neigung bei Lucie wahrgenommen hätte?

Gewiß – Liebe, wie das ja dann und wann vorkommt, mußte hier ein süßes Wunder bewirkt haben. Er nahm sich vor, recht vernünftig zu sein und noch keine weitern Hoffnungen daran zu knüpfen, merkte aber bald, daß er mit der Vernunft jetzt nichts mehr ausrichte. Die ganze Nacht hatte er mit festem Mannesmuth sein Herz gegen eine thörichte Leidenschaft vertheidigt. Jetzt zog die Liebe siegreich ein; sie hatte alle Schranken gebrochen. Ja es war doch etwas Elementares in dieser Gewalt! Mit süßem Schauder gestand er es sich ein. Jetzt wäre es ihm nicht mehr möglich gewesen, seine Gedanken durch ein wissenschaftliches Problem zu fesseln. Er trug die Karte an Paul durch die ganze Stadt zur Post. Eine unwiderstehliche Neigung trieb ihn, sich zu bewegen, stark zu athmen. Als er heimkehrte, überkam ihn eine Versuchung, Luciens Mappe zu öffnen; aber er widerstand. Würde ihr lebhafter Wunsch, Talent zu besitzen, ihn nicht vielleicht beim Durchblättern parteiisch machen, sodaß er ihr auf alle Fälle Talent zuerkennte? Nein – hier sollte Paul entscheiden! Hat sie Talent, so soll ein Meister wie Paul sie leiten … Und er freute sich schon, was sie wohl dazu sagen würde, von einem solchen Lehrer zu lernen!

Eine Veränderung sprach sich in seinem ganzen Wesen aus. Von einem so reizenden, begehrten Mädchen ausgezeichuet zu werden, mußte ja auch dem Schüchternen Sicherheit geben. Er fühlte sich, Frauen gegenüber, zum ersten Mal als Mann.

*  *  *

Eine volle Stunde hat’s am Vormittag „Bindfaden“ geregnet; der Staub um München ist vollkommen gelöscht. Jetzt lacht die Sonne durch die alten Eichen, welche zu beiden Seiten die Nymphenburger Chaussee einfassen.

Lucie sitzt neben der Mama in einem stattlichen Zweispänner des „Bayerischen Hofs“. Ihnen gegenüber Papa Dunby und Oskar.

Frau Dunby macht Vergleiche – (die Unterhaltung hat bis jetzt merkwürdig gestockt) – zwischen der Beschaffenheit der Fahrstraßen in den Vereinigten Staaten und in Bayern. Oskar, sonst ein guter Patriot, zeigt sich etwas lau. Er schweigt.

Der Amerikaner ist ebenfalls nicht zum Reden aufgelegt. Er fühlt sich sehr ungemüthlich, Es sind ihm eben Zweifel gekommen, ob er sich in Lucie nicht geirrt habe. Der arme junge Mann! denkt er, da habe ich ihn, gewissermaßen Hoffnungen gemacht! Man ist nie vorsichtig genug – und doch redete ich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_858.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)