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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Und gestern schlug er noch vor, die Kirchen heut mit Euch anzusehen!“

„Spiegelfechterei!“

Dunby blickte finster vor sich hin. Die gemüthliche Stimmung, die er aus dem Hofbräu mitgebracht, war ins Gegentheil umgeschlagen.

Selbstverständlich waren beide Eltern höchst gespannt, wie sie Lucie am nächsten Morgen finden würden. Merkwürdig – sie hatte keine verweinten Augen. Sie sah wohl ein Bischen blaß aus, aber durchaus nicht verzweifelt – eher verklärt.

„Geliebtes Kind,“ sagt die Mama (etwas feierlich, was bei Lucie stets die Wirkung verfehlt), „es ist natürlich, daß Du bei Deiner Jugend und Unerfahrenheit Dir den schönen Glauben an die Menschheit noch bewahrt hast … Ich will ihn Dir im Allgemeinen auch nicht zerstören, aber es giebt Ausnahmen – unter den Künstlern namentlich! – wo man nicht für bare Münze nehmen darf, was versichert wird.“

Lucie, welche ihrer Mutter gegenübersteht, faltet die Hände und sieht ruhig zu ihr auf, was diese etwas aus der Fassung bringt.

„Deine Leichtgläubigkeit wird Dir noch schmerzliche Erfahrungen bereiten … Papa und ich haben uns schon Vorwürfe gemacht, in einer Sache … in einer sehr delikaten Sache …“

Um Luciens Mund zuckt’s; ihr Ausdruck wird etwas muthwillig.

„Lucie, ist es denn unmöglich, über eine so wichtige Angelegenheit ernst mit Dir zu reden?“

„Du hältst mir eine kleine Predigt, Mama, und ich höre zu.“

Mama schweigt entrüstet. Papa bewundert Lucie und bemüht sich, es nicht zu zeigen.

Nach einer Pause fängt Mama noch einmal an:

„Sage einmal, Lucie – denn schließlich müssen wir es doch erfahren – liebst Du den Maler?“

Jetzt wird Lucie sehr roth und sieht ernsthaft zu Boden.

„Du weißt, daß er sich mit einer Andern verlobt hat!“

Lucie schüttelt energisch den Kopf.

„Du hast es doch selbst gehört!“

„Ich glaube es nicht!“

„Weil er Dich gestern schmachtend angesehen hat?“

„Mama! …“

„Quäle sie doch nicht, Karoline!“

„Ist es nicht meine Pflicht, sie zu warnen? Lucie – es ist mir leid, es sagen zu müssen: Künstler sind eben Menschen, die man nicht ernsthaft nehmen darf … Man überschätzt sie heutigen Tages sehr. Das hat sie übermüthig gemacht und frivol …“

„Mama,“ sagt Lucie sehr ernst und fest, „thu’ mir den einzigen Gefallen und sage nichts gegen diesen Maler, bis Du es auch beweisen kannst … Ich halte zu ihm, es wird sich schon zeigen, daß er …“ hier ist ihre Fassung zu Ende; sie läuft in ihr Zimmer und schließt die Thür hinter sich ab.

Beide Eltern stehen sich eine Weile sprachlos gegenüber.

„Sie liebt ihn! Das ist ja klar … diese Energie!“ sagt bewundernd der Vater.

„Wir werden noch hübsche Tänze mit ihr haben! Das kommt von Deiner Verwöhnung!“ sagt die Mutter, welche nicht bewundert.

„So halt’ ich’s nicht länger aus! Ich gehe zu Schaumlöffel – in die Wohnung wenigstens. Weißt Du – mir kommt eine Idee – vielleicht hat sich sein Vetter verlobt, der junge Mann, den ich zuerst dort traf.“

„Nein! Der Maler ist’s, der heirathet; der Maler vom ,Sommerabend‘ und all dem Zeug!“

Dunby ist plötzlich ein anderer Gedanke gekommen – ohne weitere Erörterungen ist er fortgestürzt.

*  *  *

Oskar hat das Album mit nach Hause genommen und die kleine Zeichnung von Lucie vollends verdorben. Es war vorauszusehen, daß er sie nicht in Ruhe lassen würde, da sie dem Original wenig entsprach. Ebenso war vorauszusehen, daß er sie in seiner Gemüthsstimmnng und bei geringer Begabung nicht verbessern würde. Heute hat er nichts gefrühstückt. Fritz ist mit seiner Bemühung, ihm Angenehmes von der kleinen „Miß“ zu erzählen, gestern so schlecht angekommen, daß er sich heute nicht getraut, sie nur zu erwähnen. Fritz fängt jetzt an, die Rückkehr seines Herrn sehr zu wünschen.

„Als frischgebackener Bräutigam,“ denkt er, „wird mein Herr das Malheur mit der Fayence sich vielleicht gar nicht so zu Gemüth nehmen!“ Selbstverständlich ist für Fritz die Verlobungsgeschichte keine Neuigkeit. Er kennt ja längst das Bild von dem blonden Mädchen, und die „Abgötterei“, die Paul damit trieb, war ihm nicht verborgen.

„Heiliger Antoni – das muß schon wieder der Amerikaner sein! – Das ist sein Gebimmel!“ fährt er plötzlich auf; die Klingel wirbelt ordentlich.

„Ist Ihr Herr verreist?“

„Ja – das heißt: nein – er ist oben!“

Diesmal fragt Dunby nicht erst, ob man ihn auch annehmen wolle. Er folgt dem Diener auf dem Fuß.

Ja – da steht der Maler …

„Sind also nicht zu Ihrer Braut gereist,“ stößt Dunby etwas heftig hervor. „Ich hörte gestern als gewiß, Sie wollten sich verloben …“

„Ich? … O mein Gott!“ schreit Oskar plötzlich auf. „Sie haben mich für den Maler gehalten!“ – Mit einem Male ist ihm die ganze höllische Verwechslung klar geworden. Wie vernichtet bricht er zusammen.

„Sie … sind … nicht … der Maler Schaumlöffel?“

Selbst Dunby hat die Farbe gewechselt.

„Das ist Luciens Tod!“ denkt er, und das macht ihn ungerecht. „Sie haben uns betrogen!“ stöhnt er. „Mein Kind liebt Sie … natürlich Sie – das heißt, den großen Mann, für den das arme Geschöpf Sie hielt!“

„Ich habe mich nie für einen Andern ausgegeben … und wenn mein Vetter, der Maler, in so schändlicher Weise sein Spiel mit mir getrieben, so soll er’s büßen! … Darum also! Darum hatte sie mich gern! Und ohne den ungeheuren Betrug auch nur zu ahnen, habe ich ihn mit durchführen helfen!“

„Verzeihen Sie!“ ruft der Amerikaner, dieser aufrichtigen Verzweiflung gegenüber selbst erschüttert. „Daß Sie unschuldig sind, das sehe ich ja! So sind Sie eigentlich gar kein Maler?“ (Hat Karoline nicht einen Blick für Alles! Erstaunlich!)

Oskar zuckt die Achseln.

„Natürlich – ich hätte bei Ihren Kenntnissen in den Naturwissenschaften nicht in Zweifel sein dürfen – aber Ihr Vetter stellte Alles so natürlich dar … und von einer falschen Voraussetzung einmal ausgehend, die durchaus glaubwürdig war, ließ man sich bethören. Ihr Vetter sagte, die Chemie sei nur ein augenblickliches Steckenpferd … Sie wären der Malerei jetzt etwas müde … Wir sollten mit Ihnen nicht davon reden.“

„Mein Vetter muß sofort zurück, um mir Rechenschaft zu geben!“

„Aber er verlobt sich ja heut?“

„Gleichviel – er ist das meiner Ehre schuldig!“

„Ihre Ehre ist rein, mein werther Herr Schaumlöffel – und wenn Lucie dächte wie ich … Hier, meine Hand – ich schätze Sie nicht weniger, wenn Sie auch kein Maler sind!“

Oskar’s Gram wird freilich dadurch nicht sehr gemindert. Die Achtung ihres Vaters ist eine schöne Sache, aber kein Ersatz für Luciens Liebe – er ringt in bitterer Pein die Hände. War das Schicksal nicht zu grausam mit ihm umgegangen? Nun hat das Auge eines reizenden Mädchens einmal mit Interesse auf ihm geruht, aber das Interesse galt einem falschen Namen, einer Maske, die sein boshafter Vetter ihm übergeworfen!

„Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß Lucie denkt wie ich,“ fängt der gutmüthige Amerikaner wieder an, welcher den Schwergebeugten gern etwas aufrichten möchte. „Es ist auf Frauen nur leider kein rechter Verlaß –“

Oskar hat auch nicht die geringste Hoffnung. Er will seinen Vetter nur herbeirufen, damit dieser seine Ehre bei Lucie wieder herstellt. Ohne diese wiederzusehen, will er dann fort. Gleichviel wohin! Sein Leben ist nun wirklich gebrochen.

Er sendet Fritz – keine Ursache, diesem etwas zu verbergen, der in dem widrigen Spiel selbst eine Rolle übernommen hatte – mit ein paar Worten an die nächste Telegraphenstation:

„Komm sofort und verantworte Dich!“

„Mein Vetter wird in höchstens drei Stunden hier sein,“ sagt er, nach der Uhr sehend, dem Amerikaner.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 872. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_872.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)