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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

zarten Fingerchen wohl an dem zierlichen Band gethan hatten, ging er so geschmückt in meiner Begleitung um Mittag aus; wir holten die Geberin zum Spazierengehen ab. Herr Gott, war das eine Pracht! Die himmelblaue Schleife flatterte an Männe’s Halse, und ebensolche Bänder waren zum Knoten unter dem weißen Kinn meiner blonden Braut verschlungen. Dazu schien die Sonne, und am Himmel stand keine Wolke, an Männe’s Himmel nicht, und nicht an meinem.

Zum Hochzeitstag hatte der Bursche dem Thiere einen Kranz um den Hals gebunden; so saß er vor dem Bette, als ich das letzte Mal in meiner Junggesellenstube erwachte.

„Der Tausend, Männe!“ rief ich. Da sprang er auf mein Lager. Aber, war es nun, daß ihn der Kranz belästigte, oder daß es auch für Hunde Ahnungen giebt – ich weiß es nicht, er war nicht so wie sonst.

„Na, alter Freund, wir werden uns nun vier Wochen lang nicht sehen, denn die Hochzeitsreise in die Schweiz wirst Du wohl nicht mitmachen können; aber nachher, Du frecher Kerl, dann kommt Deine gute Zeit.“

Ich hatte dem Burschen noch anbefohlen, den „Männe“ gut zu halten; dann habe ich wirklich so an die vier Wochen nicht an ihn gedacht. Nun, es wird mich Jeder entschuldigen. Erst als wir wieder durch die Kiefernadelwälder und das flache Land der Heimath zu fuhren, sagte ich zu meiner Frau: „Wie sich der Hund wohl freuen wird!“ Ich sah ihn ordentlich vor mir, wie er sich wand, wie er an mir hinaufsprang, leckte und schmeichelte und heulte in der Hundesprache: „Gottlob, Herrchen, daß Du wieder da bist; ich habe gedacht, Du kämst nimmer wieder – Gottlob! Gottlob!“

Es kam auch so. Der Bursche hatte ihn auf den Bahnhof mitgebracht; an der Leine zwar, aber was hilft eine Leine bei solch rasender Freude! Es ward ein ordentlicher Auftritt auf dem Perron, die Leute um uns herum lachten und freuten sich, und ich freute mich auch. Im Wagen kletterte er mir auf den Schoß und saß da, rasch athmend mit hängender Zunge, nur dann und wann ein erneutes Freudengewinsel ausstoßend.

„Es ist rührend, nicht, Gretel?“ fragte ich; „solche Anhänglichkeit?“

„Ja! Aber das machen alle Hunde so, Rudolf.“

„Freilich! Freilich! Aber es freut Einen doch.“

„Es scheint so,“ klang es zurück. „Aber halte ihn, er ist schmutzig. Pfui, du Köter! Sieh nur, Rudolf, mein Kleid!“

„Aber Gretchen, wo hast Du das häßliche Wort her? Und zudem, es ist ein Bissel chemisch reiner Schmutz, der abzubürsten geht. Ach, schlag’ ihn doch nicht, das Thier freut sich ja so!“

Meine kleine Frau hatte dem überseligen „Männe“ eine Ohrfeige verabreicht, die, so niedlich auch die strafende Hand war, ihm dennoch wehgethan haben mußte; denn er sprang aufschreiend hinunter vom Schoß und flüchtete sich zu meinen Füßen, wobei er mich verwundert anschaute. Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn streicheln: „Alter Kerl, es war nicht bös gemeint.“

„Rudolf,“ sagte die kleine Uebelthäterin und hüpfte ungeduldig an meiner Seite auf, „nun sind wir in der B.-Straße; o Gott, wie freue ich mich!“ Und ihre Augen sahen mich an, so vertrauend, so selig, daß mir das Herz weit wurde. In der B.-Straße lag unser neues Heim.

Sie bog den Kopf aus dem Wagen, während ihre Hand die meine hielt.

„Mama und Mieze sehen aus dem Fenster!“ jauchzte sie, und winkte und nickte, und als der Wagen hielt, war sie wie der Wind hinaus und die Treppen hinauf; ich holte sie erst ein an der blumenbekränzten Flurthür, die zu unserer Wohnung führt. Da lag sie in den Armen der stattlichen Frau, deren ernstes Auge jetzt von Thränen überfloß.

„Mama! Mama – und ich bin so glücklich!“

In Begrüßungsworten, Rührungsthränen und Freudenrufen gingen die nächsten Minuten vorüber, und dann waren wir in unserem Heim, in den molligsten vier Pfählen, die es geben kann. Begreiflicherweise schwammen wir Beide in einem Meer von Seligkeit; Arm in Arm zogen wir aus einem Zimmer in das andere, gefolgt von Mutter und Schwägerin. Von den Lippen der kleinen Frau kamen immer wieder die Worte: „Himmlisch! Rudolf, reizend! O Du gute Mutter!“

Und nun saßen wir bei Tische in dem Eßzimmer; Zwiebelmuster auf der Tafel, Majolikaschüsseln an den Wänden und auf dem stilvollen Kredenztische, vor meinem Platz das silberne Tranchirbesteck, vor Gretchens Platz die Suppenkelle, und mein alter Bursche in brauner Livree mit Silberknöpfen trug schmunzelnd und lächelnd den ersten Gang auf. Es war eine Pracht!

Zwischen mir und meinem Frauchen aber saß kerzengerade auf den Hinterbeinen mein oder vielmehr unser Männe, und seine klugen Augen sahen bittend zu mir empor, als wollte er sagen: „Herrchen, früher, als Du allein aßest und manchmal nur Wurst und Butterbrot hattest, gabst Du mir immer etwas ab. Bekomme ich heute nichts?“ Da nahm ich in meinem Herzensjubel einen Flügelknochen von der Poularde: „Da, alter Schelm; gelt, das gefällt Dir?“

„Aber, Rudolf,“ rief mein Gretchen mit einer Hausfrauenwürde, die ihr allerliebst stand, „weißt Du auch, das ist verschwenderisch!“

„Und der neue Teppich!“ sagte die Schwiegermama, und ihre Augen trafen mich durchbohrend.

„Ja, Rudolf,“ eiferte die junge Schwägerin, „das Thier wird Gretchen alle ihre hübschen Sachen verderben!“

Sie hatten vielleicht Recht – aber es that mir weh, es störte meine Freude. Meine Frau merkte es mir an; sie griff nach meiner Hand: „Sei nicht böse, Rudolf.“

„Nein! nein!“ – Aber ich mußte mich doch wieder umsehen nach dem kleinen Kerl, wie er den Knochen zerbiß. Er bemerkte, daß ich mich zu ihm wandte, und er hob den Kopf und wedelte.

„Nimm Männe mit hinaus,“ befahl ich dem Burschen, „gebt ihm in der Küche zu fressen.“

„Aber keine Poularde!“ schallte die Stimme der alten Dame hinterdrein.

„Zu Befehl!“ sagte Philipp, faßte Männe am Kragen und verschwand mit ihm.

Als die Damen uns verlassen hatten, blieben wir noch Hand in Hand am Tische sitzen. In den Gläsern perlte der Champagner; der Lampenschein blitzte in den neuen Geräthen und lag glänzend auf dem goldigen Haar der kleinen Frau; leise behaglich tickte die Uhr, die Blumen vor uns in der Schale dufteten süß. Daheim! Wie schön, wie schön! Und ich dachte der Abende im verräucherten bierdunstigen Kneipzimmer, der Abende in der kalten Stube meiner Junggesellenwohnung, und dankbar zog ich die zierliche Frauenhand an meine Lippen. Es war mir zu Muthe wie dem Schiffer, der im sicheren Hafen ruht, weit hinter sich das einsame stürmische Meer. Ja, es fehlte nichts zur allerdenkbarsten irdischen Glückseligkeit! Aber Männe, der kleine brave Kerl! Die gestrenge Schwiegermutter war jetzt fort, er mußte her. Im nämlichen Augenblick war ich empor und an der Thür.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 887. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_887.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2023)