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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Wo willst Du hin?“ fragte Gretchen.

„Nach dem Hunde sehen.“

„Ach, laß doch das dumme Thier!“

„Es ist vielleicht eine Schwäche von mir, Gretchen, aber ich hänge nun so sehr an dem Hunde,“ entschuldigte ich mich. Sie verzog zum ersten Male den kleinen Mund zum Schmollen, erhob sich und ging in das anstoßende Schlafzimmer; ich, etwas ungeduldig, in die Küche.

„Der Hund?“ fragte die Köchin. „Sie wüßte nicht, sie hätte nicht auf ihn geachtet.“

„Haben Sie ihm nicht zu fressen gegeben?“

„Sie hätte ihm einen Knochen hingeworfen. Aber das müßte sie nun sagen von vorn herein, der Herr Lieutenant möge verzeihen: sie liebe Hunde nicht in der Küche; es sei nicht reinlich, und vom Herrn Major von Z. sei sie deßhalb auch fortgegangen.“

„Wo ist der Hund?“ fragte ich den Burschen, indem ich der Person den Rücken wandte.

„Er hätte ihn nicht gesehen; vorhin sei er noch da gewesen.“

Auf einmal drang ein Schrei der Entrüstung in meine Ohren; zu gleicher Zeit ward die Schlafstubenthür geöffnet, und „Männe“ flüchtete erschreckt in einen Winkel, den zwei riesige Kleiderschränke im Flur bildeten.

„Das ist zu arg, Rudolf,“ schluchzte meine Frau, die auf der Schwelle hinter ihm erschien, und zog mich in das Schlafzimmer.

„Da sieh! Sieh! Dieses gräuliche Thier!“ Und sie zeigte auf den Boden, wo eine Menge blauer und weißer Fetzen verstreut lagen.

„Mieze hat mir die reizenden Pantöffelchen vor das Bett gesetzt, und nun hat dieses Gräuel den Einen gefressen!“ Sie hielt mir den unversehrten Pantoffel unter die Augen, das zierlichste Wunderwerk aus hellblauem Atlas und weißem Pelz. Es war in der That zu arg!

„Ich werde ihn strafen, liebes Kind,“ sagte ich zärtlich und nahm sie in den Arm.

„O, aber mein Pantoffel wird davon nicht wieder ganz!“ weinte sie.

„Aber beruhige Dich doch, Gretchen! Sieh,“ scherzte ich, „das ist Kaninchenpelz. Teckel gehen allemal auf das Zeug los, und zudem, er wird hungerig gewesen sein, Herzchen, die Köchin hat ihm nichts gegeben.“

„Lächerlich!“ erwiderte sie und machte sich los von mir.

„Oder,“ fuhr ich fort, noch immer in scherzendem Tone, „er hatte Mitleid mit seinem armen Herrn und wollte nicht, daß er unter diesen süßen kleinen Pantoffel kommen sollte. Was?“

Sie zuckte die Schultern nnü trocknete die Thränen. „Auf solch dumme Scherze habe ich nicht gerechnet,“ erwiderte sie.

„Aber Liebchen!“

„Nein, ich wünsche nicht, daß die Sache ins Lächerliche gezogen wird, der Hund muß aus dem Hause!“

„Das halte ich wirklich nicht für nöthig, Grete; er wird sicher nicht wieder so etwas thun, wenn er tüchtig Prügel bekommen hat.“

„Du willst ihn behalten, nachdem er – gegen meinen Wunsch, Rudolf?“

„Ja, mein Herzchen; ich sagte Dir vorhin schon, ich hänge an dem Hunde.“

„Wahrscheinlich mehr als an mir!“

„Das sind Redensarten, die eine verständige Frau nicht machen sollte, Grete. Du weißt, das Thierchen habe ich drei Jahre; Du bist da an einen ganz sentimentalen Kerl gekommen; ich könnte es nicht ertragen, den Hund in fremden Händen zu wissen, zu denken, daß er vielleicht schlecht behandelt wird.“ Und da sie trotzig schwieg und mich schier verächtlich mit den thränenfunkelnden Augen anschaute, setzte ich erregt hinzu: „Lieber schieße ich ihn todt!“

„Das ist mir auch recht,“ kam es aus dem rothen Munde, den ich bis jetzt nur liebe gute Worte hatte sprechen hören.

„Nun gut! Dann aber auch sofort!“ rief ich, mich auf dem Fuße umwendend.

„Jawohl, dann wird man ruhig schlafen können!“ scholl es hinter mir, als ich das Schlafzimmer verließ, um meinen Revolver zu holen.

Es kochte in mir. Welche Herzlosigkeit, welche Rücksichtslosigkeit kann so ein Weiberherz bergen! Und um solch lumpigen Pantoffel! „Philipp!“ schrie ich dem Burschen zu, „nimm den Hund auf den Hof, ich komme nach!“

Leichenblaß kam der Mensch herbei und starrte auf die Waffe, die ich eben lud.

„Den Männe? Unsern Männe?“ stotterte er.

Ich antwortete nicht.

„Herr Lieutenant –“

„Marsch! Hinunter mit ihm!“

„Herr Lieutenant, schenken Sie mir den Hund,“ bat der Mann, „er soll auch nie hier herauf kommen; ich werde ihn gut halten,“ und dabei bückte er sich und nahm den kleinen schwarzen Sünder auf den Arm, der eben wieder im Begriff war auf mich loszurasen in einem erneuten Freudenausbruch und keine Ahnung hatte, daß er schuld war an einer bösen, bösen Scene.

„Meinetwegen – aber geh!“

„Danke vielmal, Herr Lieutenant!“

Ich setzte mich vor meinem Schreibtisch nieder; die Waffe lag vor mir, und bitter weh war mir zu Muthe; nicht um den Hund allein, gewiß nicht. Und auf dem Korridor hörte ich die Thür gehen und des Burschen Ruf: „Komm, Männe, komm!“

Zu gleicher Zeit ein Kratzen an meiner Stubenthür, ein Freudengewinsel und ein unterdrückter Fluch des neuen Eigenthümers: „Zum Donnerwetter, Männe, komm!“ Nun hob er ihn wahrscheinlich auf den Arm; dann kurze schwere Tritte, und der kleine vierbeinige Freund war fort. Abscheulich!

Ja, und wenn ich ihr nicht in einem fort gesagt hätte, daß ich das Thier gern habe! Aber freilich, sie ist ein Weib, sie ist eifersüchtig. Ach was, schlimmer als das – ich hatte mich getäuscht in ihrem Charakter! Ich fühlte etwas wie ohnmächtigen Zorn. Was sollte ich thun? Sollte ich unser Glück von vorn herein trüben, indem ich meinen Willen durchsetzte? Vier Wochen nach der Hochzeit den Tyrannen spielen? Gegen die Macht kämpfen, die eine reizende Frau ausübt, mit der man eben verheirathet ist und die jeden Augenblick Hilfstruppen in Gestalt einer sehr stattlichen Schwiegermutter herbeizuführen vermag? Unmöglich! Ich bin ein viel zu rücksichtsvoller Mensch den Frauen gegenüber, und nun gar meiner eigenen! Zudem war die Frage – Friede oder Hund? – ja so leicht beantwortet.

Vielleicht sieht sie ihr Unrecht auch noch ein. Vielleicht gehört sie zu Denen, welche Hunde nicht mögen, wie die Baronin X., die im Stande ist, Krämpfe zu bekommen, wenn sie einen Hund in der Nähe weiß. – Vielleicht!

Aber Eins! Sie war sehr unartig; ich bin wahrhaft gekränkt. Wenn sie nicht zu mir kommt – ich betrete ihr Zimmer nicht, ich muß ihr doch ein für allemal zeigen, wer der Herr ist.

Und siehe – da kam es zierlich über die Schwelle gehuscht, schlang zwei weiche Arme um meinen Hals und legte eine kühle Wange an die meine.

„Rudolf, bist Du mir wieder gut? Sei nicht böse, Rudolf! – Hast Dn ihn todt gemacht, Rudolf?“

„Nein! Der Bursche bat mich, ihm das Thier zu schenken; er hat es mitgenommen.“

Sie sah mir ernsthaft in die Augen. „Wird es Dir wirklich so schwer, den Hund wegzugeben? Wie ist’s nur möglich, Rudolf?“ fragte sie im Tone ehrlichster Entrüstung. „Es ist sündhaft, sein Herz an ein Thier zu hängen, weißt Du, das sagt Mama immer.“

„Ich kann diese Ansicht nicht theilen; Du hast keine Ahnung, was in solch einer armen stummen Kreatur für eine Fülle von guten Eigenschaften wohnt, Eigenschaften, die jeder Mensch sich zum Vorbilde nehmen könnte,“ antwortete ich nicht ohne Schärfe.

Die kleine Frau schlug lachend beide Hände zusammen. „Nun, und was hatte denn dieser Pantoffelfresser zum Beispiel für Tugenden?“

„Er war so anhänglich an mich, Grete.“

„Das bin ich auch,“ versicherte sie schelmisch und küßte mich. „Und sonst?“

„Er ist klug und treu.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 890. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_890.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2023)