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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


„Gonzaga!“ hatte an diesem Morgen vor seinen Herrn hintretend ein im Dienste ergrauter Rittersmann gesagt, „nimm Dich in Acht, und das feinste, aus festestem Stahl gewirkte Schuppenhemd lege an unter Dein seidenes Wams, und Schwert und Dolch lasse nicht im Hause zurück; Dein bestes Schlachtroß trage Dich zum bräutlichen Feste und all Deinen getreuen Mannen befiehl, daß sie Dich begleiten – denn blutige Vespern pflegt man in diesem Lande zu feiern!“

Dem Rathe des Alten hatte sich der Herzog gefügt.

In einer von zwei reich verzierten Maulthieren getragenen Sänfte nahte dte Braut; nicht aber neben ihr, wie es die Sitte erheischte, saß der Bräutigam, sondern hoch zu Roß ritt er neben der Sänfte daher, und ein Gemurmel zog durch die Reihen des Volkes:

„Seht, mit dem Schwert an der Seite kommen auch die Spanier zum Hochzeitsfeste!“

Die Faust in die Seite gestemmt, stumm und ohne Gruß ritt Gonzaga an den sicilischen Edeln vorbei, bis zum Portale, wo er sich aus dem Sattel schwang.

Mit entblößtem Haupte, tief sich verbeugend, traten nun die sicilischen Ritter zu der Sänfte heran. Ihren Fuß setzte die Fürstin, der Landessitte gemäß, auf das rechte Knie ihres vor ihr zur Erde sich herniederlassenden nächsten Anverwandten und schwang sich, seine Schulter leicht mit der Hand berührend, aus der Sänfte; und wie sie sich nun, grüßend und dankend, vor den Edeln verneigte, und wie sie dastand, umgeben von dieser Schar von erzgepanzerten Männern, da war es, als glänze eine zweite Sonne vom Himmel herunter, so lieblich, so milde, von so weichem Lichte umflossen war diese königliche Erscheinung. Es war, als müsse all das Erz und all der Stahl dieser Helme und Schwerter und Panzer schmelzen, wie starres Eis an den Strahlen der Frühlingssonne. Es schien, als zerrisse plötzlich der Haß dieser düsterfunkelnden Augen, als müsse sich ein Lächeln Bahn brechen durch diese haßerstickten Gemüther. Es war, als schwebe ein sanft versöhnender Friedensengel über den weiten Plan: so legte sich plötzlich bei dem Erschetnen der Fürstin das Wogen und Rufen der dichtgedrängten Volksmenge. Nicht eine Herzogin, nicht eine Fürstin – eine Königin stand sie da, in ihrer blendenden Schönheit, mit ihrem holdseligen Lächeln auf dem vor Freude und Erregung leichtgerötheten Antlitz. Eine kleine, scharfgezeichnete Narbe an der Schläfe, halb verdeckt unter ihrem Perlendiadem, zeugte allein von den Schrecken und Leiden, die seit Wochen und Monden ihr Lager umschwebten. Als wolle aber der Himmel selber, für Ritter und Volk, die Erinnerung an jene Tage verwischen, spielte, wie scherzend an Winde, eine dem Perlenschmuck entschlüpfte Locke über Stirn und Schläfe, und mit anmuthiger Gebärde suchte die Fürstin das rebellische Haar zu bändigen … Ach! Einer war aber auf der Welt, der – hätte er die kleine, rothe Narbe an dieser Stirn erblickt – ein Wehe in seinem Herzen empfunden hätte, gegen welches alles Weh der ganzen Erde ihm leicht erschienen wäre! Und nicht nur Wehe und Jammer hätten bei diesem Anblick das arme, todwunde Herz erfüllt: eine blinde Wuth hätte drin aufgetobt, gegen das Schicksal, gegen sich selber – und auch noch gegen einen Andern, gegen Einen, dem jener Wurf ja gegolten! Wie oft war in ihren Fieberträumen des armen Nino Bild vor Blandina’s Seele getreten! Was war aus dem Knaben geworden? Es war ihr, als müsse er plötzlich wieder vor sie treten, wie dort in der alten Kirche, mit wuthfunkelndem Blicke den Feldstein über seinem Kopfe schwingend. Gestern erst – war es Wirklichkeit? War es Täuschung? – Als sie sich über das Gitter ihres Balkons lehnte und das Auge über des Palastes Gärten schweifen ließ – da glaubte sie eine Stimme zu vernehmen und ein leises, fernes Singen: „Zwei Herzen hast Du jetzt, Speranza! das Deinige und das meinige dazu!“

Durch die hohen Baumkronen säuselte der Wind, dumpf brauste das schäumende Meer gegen das Gestade – es war wohl das Singen des Meeres und des Windes gewesen. Wie ihr Finger jetzt vor dem blumenbekränzten Portale des Domes leicht über die Narbe an ihrer Stirn strich, da mußte Blandina wieder an den Hirtenknaben denken. Armer Nino! … In welch öder Bergeseinsamkeit liegst du wohl, vergessen, verschwunden, begraben? …

Der Vater trat zu ihr heran.

„Blandina, Fürstin von Roccaguelfonia!“ sprach er mit erhobener Stimme, „zum Feste Deiner Genesung giebt Dir das Geleite bis zu dieser


Ohne Milch.
Originalzeichnung von H. Heubner.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_065.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)