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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Aber die Menschen nicht! Ich bitte Dich, Lucie! Er ist ein gescheiter Mann, er würde zum Beispiel in Berlin sicher Praxis finden und Anerkennung; nun sitzt er hier in solch jammervollem Nest und opfert seine besten Kräfte für Nichts. Was hat er davon im besten Falle? Eine Praxis, ja; aber er bleibt ein Durchschnittsmensch; sein Name wird nie genannt werden. – Ihr versauert hier Beide.“

Das Mädchen schwieg.

„Du müßtest ihm das einmal vorstellen,“ fuhr Hortense fort, „es ist wirklich schade um ihn.“

„Das kann ich nicht, Hortense, Alfred spricht nie über solche Dinge. Und, weißt Du, ich glaube, er hat diese kleine Stadt mit der einträglichen Praxis nur gewählt, weil er mich heirathen will und weil wir doch Beide“ – sie stockte – „mittellos sind.“

„Du bist zu scheu gegen ihn, es wäre doch nur sein Bestes, Lucie.“

Sie schüttelte den Kopf. „Er muß es wissen.“

Hortense lächelte. „Kusch! Kusch!“ sagte sie. „Du bist einmal das Urbild der lieben deutschen Weiblichkeit. Was Jupiter sagt, geschieht.“

„Ich meine, es soll so sein,“ erwiderte das Mädchen unsicher.

„Die Männer sind alle Egoisten! Wehre Dich nicht, und Du bist ganz verloren!“

Lucie standen die Thränen in den Augen.

„Hortense, sprich nicht so,“ bat sie, „ich bitte Dich –.“

Und diese kam herüber zu ihr, nahm sie in den Arm und sagte, sie herzend und küssend:

„Verzeihe mir, ich weiß es ja nicht besser; vielleicht ist er eine Ausnahme.“

„Meine arme Hortense, Du denkst auch noch einmal anders!“

„Nie!“ sagte gelassen die schöne Frau. „Nie! Ich habe genug von diesem sogenannten Glück. Es gehören eben harmlosere, weniger getäuschte Naturen dazu, um das zu glauben, was sie uns vorschwatzen von Liebe und innigem Zusammensein und von der Stütze, die sie uns fürs Leben sein wollen. Liebe!“ sie zuckte die Schultern – „Dein Herr und Gebieter freut sich vermuthlich, daß er so eine gute Seele gefunden hat, die es als idealsten Lebenszweck erkannt, ihm täglich ein gutes Mittagsessen vorzusetzen, seine Socken zu stopfen und die Knöpfe pünktlich anzunähen, und –“ Ein Blick auf das blaßgewordene Mädchengesicht ließ sie einhalten. „Ich habe Dich wohl erschreckt, Lucie? Ja, es ist ein böser Tag heute, ich will es nicht leugnen – der Todestag meiner Mutter und mein Verlobungstag. Heute vor einem Jahre machte ich den dümmsten Streich meines Lebens – und ließ mir etwas vorschwatzen.“

„Arme Hortense! Da sind wir wieder bei dem alten Thema; laß uns von etwas Anderem sprechen,“ bat Lucie.

„Sprich,“ sagte die junge Frau und ließ sich in einen Sessel nieder, der abgewandt vom Fenster stand. Lucie nahm in der Verlegenheit ihre Zuflucht wieder zu den Photographien.

„Wie schön muß die Welt sein!“ sagte sie endlich.

„Ich möchte Dir das Alles zeigen können, Lucie,“ wiederholte Hortense. „Allein möchte ich es nicht noch einmal sehen, aber mit Dir –“

Lucie saß jetzt auf der Lehne des Fauteuils und hatte den Arm um sie geschlungen. „Erzähle mir davon,“ bat sie. Und Hortense sprach von den grünen Schweizerseen, von Bergen mit ewigem Schnee bedeckt, von dem sonnigen Italien, dem blauen Mittelmeer und von Mondscheinnächten in Venedig. Lucie hatte ihre Handflächen in einander gepreßt und athmete rasch, ihre Wangen waren purpurroth und der kleine volle Mund leicht geöffnet, wie ein Kind saß sie da, das auf Märchen lauscht. So horchte sie stundenlang.

Hortense war inzwischen einmal aufgestanden und hatte ein Kistchen aus rothem Juchten herbeigeholt, dem sie Allerlei entnahm. Den verdorrten Alpenrosenstrauß pflückte sie auf dem Rigi; jenes mattschimmernde Bouquettchen von Edelweiß stammte vom Berninapaß, ein Engländer hatte es ihr geschenkt; dort den feinen Dolch erstand sie in Florenz; die Maske trug sie beim Karneval in Rom; die kleinen golddurchwirkten Schuhe kaufte sie in Konstantinopel auf dem Bazar und jene Brosche aus Lava in Neapel.

„Willst Du sie haben, Liebling?“

Lucie hielt die zierlichen Pantoffeln in der Hand und athmete den leisen Moschusduft ein „es riecht wie die Specereien von denen die Bibel erzählt.“

„Nimm sie Dir,“ bat Hortense, „nimm Alles, wenn es Dir Spaß macht; für mich hat es keinen Werth mehr. Schüttle nicht den Kopf! Du mußt Alles nehmen! Ich schicke es Dir nach, Du kannst Dich noch freuen daran; mich stimmt es trübe. Die Reise machten wir, Papa und ich, als ich eben Wittwe geworden war; er hatte mir sein Ehrenwort gegeben, vernünftig zu werden, nicht mehr zu spielen und ich – hatte es geglaubt –“ Sie zuckte die Schultern.

„Du schenkst mir zu viel, Hortense,“ sagte Lucie abwehrend, „ich habe Nichts für Dich.“

„Doch, Du hast mich lieb!“

Sie saßen wieder stumm. „Möchtest Du mit mir reisen, Lucie?“ fragte sie nach einer Weile.

Das Mädchen sah wie in weite Fernen hinaus. „Ach, reisen, reisen!“ flüsterte sie.

„Wenn Du willst – was thun wir auch eigentlich hier?“ „Wir Beide?“ fragte Lucie athemlos, und die Lust leuchtete aus ihren Augen und zitterte um die feinen Nasenflügel.

„Bist Du überhaupt schon gereist?“ fragte die junge Frau.

„Niemals! Doch ja, das heißt, ich war mit meinen Geschwistern auf zwei Tage in Holstein bei dem Vater meines Schwagers, so um Ostern herum; aber nicht an der See. – Ach, und ich hätte sie so gern gesehen; es war von jeher ein großer Wunsch von mir –“

„Möchtest Du reisen, Lucie? Möchtest Du?“

„Hortense, ich kann doch nicht,“ bat das Mädchen angstvoll, „schweige! – Alfred –“

„Ob Du hier sitzest oder nicht, er ist doch nie zu Hause. Er könnte es Dir wohl gönnen, ehe er Dich für ewig anschmiedet.“

„Nein, nein, Hortense, ich frage ihn nicht; es würde ihn betrüben. Sprich nicht mehr davon.“

Ich werde ihn fragen. Wenn er Dich liebt, Kleine, wenn er Dich nicht egoistisch liebt, sagt er ‚ja!‘“

„Nein, bitte nicht – bitte – wenigstens heute nicht,“ wiederholte Lucie erblaßt; denn eben kam sein wohlbekannter fester Schritt den Gang herauf, und Alfred trat ein. Lucie ging ihm eiliger entgegen, als es sonst ihre Art war, und erfaßte seinen Arm, als habe sie ihm etwas abzubitten. Hortense reichte ihm ihre Rechte und bot ihm einen Platz an. Er setzte sich ihr gegenüber, ohne die Hand seiner Braut loszulassen; ein ungewohnter Schimmer von Glück lag auf seinem ernsten Gesichte.

„Weißt Du, wo ich war, Lucie?“ fragte er, „rathe einmal!“

„Beim Großpapa,“ sagte Hortense.

Ja gewiß, aber die alten Herrschaften waren so in ihre Schachpartie vertieft, daß sie mich kaum bemerkten. Nein, vorher, gnädige Frau; das kann auch nur Lucie rathen.“

Das Mädchen schüttelte den Kopf und sah ihn unsicher an.

„In unserer künftigen Wohnung,“ ergänzte er und drückte die kleine Hand, bevor er sie fallen ließ. „Es ist nun Alles so weit fertig; Du kannst kommen und Dir Dein Reich beschauen, Dir die Möbel nach dem Platz bestellen und –“

„Heute waren Sie da?“ fragte Hortense.

„Eben in diesem Moment. Ich habe auch schon eine Stelle für Deinen Nähtisch gefunden, Lucie,“ fügte er hinzu, „das Fenster des Eckzimmers, welches nach der Straße hinaus sieht; ich lasse Dir da ein Blumenbrettchen vom Zimmermann anbringen.“

„Von außen scheint das Haus so klein; ich hätte nie gedacht, daß –“ unterbrach ihn Hortense.

Er lachte. „Es war ursprünglich ein Gartenhaus; es ist auch jetzt nur für ganz bescheidene Leute, gnädige Frau; eine Villa hätte ich nicht kaufen können. Aber es liegt anmuthig, ist zweckmäßig ausgebaut und ist unser eigen. Nicht wahr, Lucie?“

„Ja!“ sagte sie und blickte an ihm vorüber durch das Fenster.

Hortense saß still in ihrem Sessel. „Wann,“ begann sie, „soll denn –?“

Lucie stand auf, trat zum Flügel und blätterte in den Notenheften.

„Wann wir dort einziehen, meinen Sie, gnädige Frau? Im Herbst, denke ich, wenn die Blätter fallen.“

„Werden Sie eine Reise machen?“ fragte sie weiter.

Er lachte laut und herzlich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_070.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)