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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Ja, wohi denn, Anna?“ rief, erschreckt der Gaisbub, „in der Finstern!“

Sie gab keine Antwort; sie eilte der grauen Wand zu, da wo die Schüsse gefallen sein sollten – vielleicht konnte sie ihn finden, vielleicht lag er verwundet oder mit zerbrochenem Fuß. Das Licht hüpfte gespenstisch durch die Nacht; die Trägerin war schon längst im Dunkel verschwunden; von ferne erklang heiser ihr Ruf: „Rupert! – Rupert!“

Dem Buben war’s unheimlich, er schlug ein Kreuz und verkroch sich ins Heu. Das Licht war längst verschwunden.

Nach einer halben Stunde tauchte es wieder auf wie ein blutrother Stern – keuchender Athem tönte durch die Nacht.

Anna kehrte zurück mit aufgelösten Haaren und todtenblassem Antlitz, aus dem fieberhaft die Augen leuchteten.

In dem zerrissenen, bis oben beschmutzten Sonntagsstaat glich sie einer Irren. Sie sank erschöpft auf die Bank. Alles umsonst – sie hatte sich geirrt – er antwortete nicht auf ihre Rufe – er war wohl todt! Sie sah ihn im Geiste vor sich liegen mit zerschossener Brust, mit dem blassen schmerzvollen Gesicht; dazu allein – hilflos hier oben. Das war schon, um wahnsinnig zu werden. Bald wollte sie hinunter zu den Arbeitern und Hilfe holen, bald nach S. zum Förster; bald redete sie sich wieder ein, es sei ja doch möglich, daß er anderweitig verhindert sei zu kommen, dann verwarf sie Alles wieder und raufte sich das Haar in Verzweiflung. Es fröstelte sie, während ihr das Gesicht glühte; sie ging in die Kammer – dort konnte sie es erst recht nicht aushalten.

Mitternacht war schon vorüber! Jetzt kam er nicht mehr, wohl nie mehr! Sie wollte nur das Morgengrauen erwarten, und dann sofort hinunter nach S., um nachzufragen; bis dahin saß sie, abgestumpft von der furchtbaren Erregung, in der Ecke und starrte in das Licht. Daß ihm etwas zugestoßen, war sicher, und sie zitterte vor dem, was der Tag bringen werde.

(Fortsetzung folgt.)




Vom Nordpol bis zum Aequator.

Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Adlerjagden des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich.
III.

Zu Ende des Februar oder im Anfange des März legt das Adlerweibchen zwei, höchstens drei Eier in die flache Nestmulde und beginnt nunmehr eifrig zu brüten. Der Adler versorgt die solcherart beschäftigte Gattin mit Atzung, entfernt sich, beutesuchend, aber auch jetzt noch ungern weit, und sitzt, wenn er für das Weibchen und für sich selbst gesorgt, als treuer und aufmerksamer Wächter in der Nähe des Horstes auf einem bestimmten Baume, welcher ebenso als Warte wie als Ruhe- und Schlafplatz dient. Nach etwa vierwöchentlicher Brutzeit entschlüpfen die Jungen; anfänglich sind sie weißen Wollklumpen, aus deren äußerer Umhüllung ein schwarzer Schnabel, dunkle Augen und bereits recht scharfkrallige Fänge hervorragen oder hervorlugen, vergleichbar und ebenso niedliche wie in frühester Jugend schon selbstbewußte Geschöpfe. Nunmehr giebt’s Arbeit genug für Vater und Mutter. Beide wechseln mit einander ab, um auf Beute auszuziehen und die Jungen zu bewachen; aber nur die Mutter übernimmt ihre Pflege. Wohl thut auch der Vater redlich das Seinige, um sie erziehen zu helfen; aber einzig und allein die Mutter ist im Stande, ihnen jene Dienste zu leisten, welche ich Ammendienste nennen möchte. Würde sie ihnen in den ersten Kindheitstagen entrissen: sie müßten ebenso verkümmern wie junge Säugethiere, denen man ihre Erzeugerin geraubt hat. Mit der eigenen Brust deckt die Adlermutter sie gegen Frost und Regen; aus dem eigenen Kropfe spendet sie ihnen erwärmte, erweichte, vorverdauete Atzung. Solche Ammenpflichten zu üben, versteht der Adlervater nicht; wohl aber übernimmt er, wenn die jungen Adler größer geworden, etwa halb erwachsen und in dieser Zeit ihrer Mutter beraubt worden sind, unweigerlich die alleinige Sorge um ihre Erziehung und atzt sie, vielleicht unter aufopferndster Mühe, vollends auf. Sie, die Jungen, wachsen rasch heran. In der dritten Woche ihres Lebens deckt sich ihre Oberseite mit Federn; gegen Ende des Mai sind sie ausgewachsen und flügge. Nunmehr verlassen sie ihren Horst, um unter Führung ihrer Eltern für ihr Gewerbe sich vorzubereiten.

Dies ist, mit flüchtigen Strichen gezeichnet, das Lebensbild des Adlers, welchem in den nächsten Tagen unsere Jagden galten. Nicht weniger als neunzehn besetzte Horste wurden von uns besucht und mit wechselndem Glücke bejagt. Manchmal zu Fuße, manchmal in kleinem Boote, manchmal springend und watend, manchmal kriechend und schleichend, versuchten wir, ungesehen und ungehört den Horstbäumen uns zu nähern; erwartungsvoll hockten wir stundenlang in rasch errichteten Laubhütten unter ihnen und schauten gespannt nach den Adlern aus, welche, durch uns oder Andere verscheucht, in hoher Luft ihre Kreise zogen und gar nicht wieder zum Horste zurückkehren wollten, aber doch zurückkehren und günstigenfalls uns zum Opfer fallen mußten. Eine Beobachtung reihte sich an die andere, und diese Adlerjagden gewannen infolgedessen unnennbaren Reiz für uns Alle.

Abgesehen von Adlern und anderen Raubvögeln, welche nebenbei erbeutet wurden, waren oder erschienen die so viel versprechenden Waldungen arm an gefiederten Bewohnern. Allerdings war es noch früh im Jahre und der Zug der Wandervögel noch in vollem Gange. Freilich vermochten wir kaum mehr als den Saum der Waldungen zu durchforschen: allein auch die Anzahl der Vögel, welche zurückgekommen und in jenen Räumen angesiedelt sein mußten, entsprach nicht unseren Erwartungen. Und dennoch beklagten wir Eins noch mehr als diese Armuth in unseren Augen: den Mangel an guten Sängern. Wohl jauchzte die Singdrossel ihre reichen Lieder in den frühlingsduftigen Wald hinaus; wohl schlug hier und da auch eine Nachtigall; wohl schmetterte der Fink uns überall seinen Lenzgruß entgegen; wohl probte auch schon eine Grasmücke ihre Kehle: aber weder der eine noch die anderen waren im Stande, unseren geschärften Ohren zu genügen. Wir vermochten in allen, welche sangen oder schlugen, immer nur Stümper, nicht aber Meister zu erkennen. Und so wollte es uns zuletzt bald scheinen, als gehöre der genannte Gesang gar nicht in diese ernsten Wälder und seien Adler- und Falkenschrei, Uhu- und Waldkauzgeheul, Rohrhuhn- und Seeschwalbengeknarre, Reihergekreische und Spechtgelächter, Kukuksruf und Hohltaubenruksen die zu ihnen passende Melodie und daneben höchstens noch der im Röhricht und Schilfe hausende Rohrsänger, welcher den größten Theil seines verworrenen Liedes den Fröschen abgelauscht, der einzig berechtigte Singvogel.

Der vierte Jagdtag galt dem einige Meilen vom Donauufer entfernten Keskeeder Walde. Eine weite, erst in ziemlicher Ferne von Höhenzügen begrenzte Ebene nahm uns auf, als wir die Auwälder verlassen hatten; durch trefflich bebauete Felder der großen, musterhaft bewirthschafteten Herrschaft Bellye führte uns der Weg, den wir mit raschen Pferden wie im Fluge zurücklegten. Hier und da sumpfige Wiesen mit Teichen und Wassergräben, ein hainartiges Wäldchen, ein großes, von knorrigen Eichen umstandenes Wirthschaftsgebäude, ein Weiler, ein Dorf, sonst nur baumlose Felder: dies war das Gepräge der Gegend, welche wir durcheilten. Von den Feldern stiegen singend zahllose Lerchen auf; auf den Straßen trippelten zierliche Bachstelzen umher; auf den Hecken am Wege saßen Würger und Grauammer; in den Kronen der Eichen lärmten und sangen dort nistende Dohlen und Staare; über den Weihern zogen fischende Flußadler ihre Kreise und tummelten sich niedliche Seeschwalben im Zickzackfluge; im Sumpfe trieb sich der Kiebitz umher; von anderen Vögeln bemerkten wir wenig. Auch der Keskeeder Wald, welchen wir nach zweistündiger Fahrt erreichten, ein wohlgepflegter Forst, war trotz seines gemischten Bestandes arm an Arten; in diesem Walde aber horsteten Schrei- und Fischadler, Schlangen- und Mäusebussarde, Falken und Eulen und vor allem Waldstörche in überraschender Anzahl, und unsere Jagd fiel daher über alle Erwartung glänzend aus. Und doch kannten die Forstleute, welche erst vor wenig Tagen von dem in Aussicht stehenden Besuche unseres hohen Jagdherrn Kunde erhalten, den Wald

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_127.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)