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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

als passe ich gar nicht in diese bunte Pracht,“ sprach sie und sah traurig lächelnd auf ihr schwarzes Kleid herunter.

„Wie sagtest Du?“ fragte Hortense, die an etwas Anderes gedacht hatte. Und ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sie hinzu: „Komm, Lucie, mich hungert.“

Gehorsam folgte das Mädchen. Sie war ganz verwirrt von der üppigen koketten Einrichtung dieser Räume. Hortense’s Salon und Boudoir waren mit blau und weiß gewirkter Seide dekorirt, altes Meißner Porcellan, wunderliche Uhren standen umher, an denen wieder der Schmetterling sein Wesen trieb. Dazu spiegelblanke Parquetts, an den Decken Schäferscenen à la Watteau. Dem Eßsaal und dem daranstoßenden Zimmer des Hausherrn hatte man mit dunklen Farben einen mehr soliden Anstrich gegeben. In Letzterem bekleideten die Wände alte kostbare Gobelins, Jagdscenen darstellend, den Boden deckte ein einfacher grüner Teppich, in welchen der Fuß wie in schwellendes Moos versank. Das in vergoldeter Stuckguirlande eingefaßte Deckengemälde, gegen welches der Schein der Hängelampe strahlte, zeigte die Göttin Diana, welche den Hirsch verfolgte. Möbel aus dunklem Holze, grün bezogene Schränke, hinter deren Glasscheiben prachtvolle Gewehre sichtbar wurden, und auf grüner Tuchplatte des offnen Schreibtisches die Photographie einer alten Dame mit silberweißem Scheitel.

„Wie schön habt Ihr es,“ sagte Luceie, als sie wieder in dem kleinen Boudoir Hortense’s standen, „ich werde mich gar nicht an diese Herrlichkeit gewöhnen können.“

Hortense sah ungeduldig nach der Uhr, die auf dem Kamin tickte, sie wies auf nahezu Acht.

„Wenn er nicht bald kommt –“ sagte sie.

„O, laß uns warten, erzähle mir von Dir, Hortense.“

„Was ist da zu erzählen, Luz!“ erwiederte die junge Frau, „ich schrieb Dir ja schon.“

„Ich dachte Dich heiterer zu finden.“

„O, ich wüßte nicht – bin ich es nicht? Ich fühle mich ganz zufrieden, ich habe es ja so gewollt.“ Sie stand mit dem Rücken gegen das Fenster, Lucie konnte ihr Gesicht in der tiefen Dämmerung nicht erkennen.

Durch das anstoßende Zimmer kamen rasche Schritte; im nächsten Augenblick trat der Hausherr ein. „Ich bitte tausend Mal um Entschuldigung,“ sagte er zu Hortense herübereilend, „aber warum hast Du nicht noch ein kleines Weilchen gewartet? Ich war zwei Minuten nach der verabredeten Zeit auf der Haltestelle; am Ende der Chaussée verschwand eben Dein Wagen, und da ich das Pferd leichtsinnigerweise bereits zurückgeschickt hatte, so mußte ich zu Fuße gehen. Ist Fräulein Walter eingetroffen?“

Sie wies zu Lucie hinüber. „Dort! Und wir wollen essen.“

Er begrüßte das junge Mädchen und bot dann Hortense den Arm. Sie saßen bald darauf an dem runden Tisch im Speisezimmer. Lucie mußte berichten, wie es dem Baron ergehe und wie er die Trennung ertragen; Hortense sagte kaum ein Wort. Als die Rede auf Woltersdorf kam und schließlich auf seine Umgebung, bemerkte Weber: „Wir müssen auch gelegentlich unsere Besuche machen, Hortense, ich habe bis jetzt in allen Familien verkehrt.“

„Ich liebe keine große Gesellschaften Waldemar,“ erwiederte die junge Frau, „bitte, verschone mich damit!“

„Ich glaube, das kann ich nicht, liebes Kind.“

„Aber was gehen mich diese Menschen an? Ich will nicht, Waldemar.“

„Wenn Du nicht willst, Hortense,“ und ein leichtes Roth färbte ihm die Stirn, „ist die Sache entschieden, ich kann Dich nicht mit Gewalt in den Wagen heben und werde es ertragen müssen, daß mein Haus eine Art Einsiedelei wird.“

„Das ist das Allerbeste!“ erklärte Hortense und klingelte nach dem zweiten Gang.

„Ich fürchte nur, Dir wird diese Einsamkeit am allerersten lästig, es ist öde auf dem Lande ohne die guten Freunde und getreuen Nachbarn.“

„Oede? Ich habe ja Lucie, mein Klavier, meine Malerei und die Pferde.“

Er lachte leise, während er Wein eingoß. Lucie verstand ihn, es war kein lustiges Lachen; Hortense hatte Alles aufgezählt, was sie besaß – von ihm war keine Rede.

„Nous verrons,“ sprach er ruhig, ich halte es aus, denn ich habe Dich, Hortense, und wenn ich sehe, daß Du Dich wohl fühlst in Deinem Hause, so werde ich den Umgang nicht vermissen. Also, meine Damen: der wieder auferstandene Orden des Hermites de bonne humeur! Möchte uns die gute Laune eben so treu bleiben wie denen, die hier vor uns gelebt haben!“

Er trank, indem er über das Glas hinweg die schöne Frau anschaute, die keine Miene verzog bei dem Scherz.

In diesem Augenblick erschien hinter dem Diener eine kleine starke Frau, das freundliche Gesicht von weißer Haube umrahmt, eine große weiße Schürze um die Hüfte und ein gewichtiges Schlüsselbund an der Seite.

„Bitte viel tausendmal um Verzeihung,“ begann sie nach einem altmodigen Knix, „bringe nur der Gnädigen das Wirthschaftsbuch.“

Sie legte ein Buch neben Hortense’s Teller und trat zurück. „Wollen es die gnädige Frau später nachrechnen? Und dann möchte ich bemerken. daß die Milch abgeschlagen hat; die Frau hat überall nur den Marktpreis bekommen in der Stadt.“

Hortense rührte das Buch nicht an. Waldemar nahm es und blätterte darin.

„Es wird ja stimmen,“ sagte die junge Frau ungemüthlich; „ich verstehe davon nichts.“

Da schlangen sich zwei Arme um ihren Hals. „Laß mich das übernehmen, Hortense, bitte! bitte! Es ist so schwer für mich, unthätig zu sein.“

„Aber wozu denn? Ich traue der Frau Rein vollständig.“

Die Alte knixte wieder. Viele Ehre, gnädige Frau, aber verzeihen Sie, man muß der Herrschaft Rechnung legen können, es gehört sich so. Ich war zehn Jahre bei der Gräfin Hagen und die Frau Gräfin haben jede Woche ihr ‚In Ordnung‘ unter mein Buch geschrieben.“

„Bitte, bitte, Hortense!“ wiederholte Lucie. „Nicht wahr, Frau Rein, wir werden schon fertig mit einander?“

„Warum denn nicht, wenn die Herrschaft befiehlt, daß ich mich an Sie zu wenden habe?“

Hortense schob Lucie das Buch hin: „Da, wenn Du es willst!“

„Belieben die gnädige Frau den Küchenzettel für morgen?“

Hortense zeigte auf Lucie. „Hier, Frau Rein.“

„O, wir werden das später immer in meinem Zimmer überlegen, Frau Rein,“ sagte das Mädchen, dem zum ersten Male heute froh um Herz wurde. „Bestimmen Sie nochmals, von morgen ab sollen Sie mich pünktlich in meinen Pflichten finden.“

„Sehr wohl!“ erwiederte die Frau und ging hinaus. Waldemar hatte kein Wort gesprochen, er saß mit ernster Miene vor seinem Teller und streute Zucker über einige Erdbeeren.

„Ist Dir Derartiges wirklich so unangenehm, Hortense?“ fragte er.

„Ich verstehe es nicht,“ erwiederte sie, indem sie aufstand.

Man wünschte sich „gesegnete Mahlzeit!“

„Hortense,“ bat er, „singe ein Lied, ich glaube, Du hast den Blüthner’schen Flügel drüben noch gar nicht aufgeschlagen.“

„Ich will es versuchen,“ erwiederte sie, „komm, Lucie.“

Die Fenster des ziemlich großen Salons standen offen; jetzt lugte der Mond herein und streifte die Bilder auf der rothseidenen Tapete, und die in die Wände eingelassenen Spiegel, deren blumige geschnörkelte Rahmen Amoretten krönten.

„Kein Licht!“ sagte Hortense und winkte dem Diener, der mit zwei Lampen eintrat.

Lucie setzte sich still an das offene Fenster, wo Weber geblieben, das konnte sie nicht entdecken, vielleicht im Schatten der seidenen Vorhänge auf einem der kleinen Sofas. Hortense saß vor dem Flügel inmitten des dämmernden Raumes.

„Was soll ich singen?“ sprach sie, während ein Notturno von Chopin unter ihren Fingern erklang. Sie wandte dabei den Kopf zu Lucie.

„Was Du willst.“

Bald darauf hallte ihre wunderbar weiche Stimme durch den Raum. Sie begann ein Schubert’sches Lied und brach wieder ab. Dann eines von Brahms, es ging eben so, es war, als quelle ihr etwas im Halse empor. Sie stockte einige Male. „Ich will ein Lied singen, wie es sich für Leute vom Orden der guten Laune paßt,“ sagte sie und begann.

„Ein Bauer hatt’ ein Taubenhaus –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_199.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)