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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Guten Tag, alter Junge!“ rief er, Walther's Hand ergreifend. „Ich bemerkte Licht bei Dir und wollte nur sehen, wie es Dir geht – nur auf eine Minute.“ Er warf die Rolle dabei auf den Tisch.

„Darf ich Dir eine Cigarre anbieten, Adolf? Ist Dir ein Glas Bier gefällig?“

„Ich danke Dir – wenn Dein Parlez-vous mir ein Glas Bier holen wollte, so wäre es mir sehr willkommen.“

Nach einer kurzen Pause fügte er mit einem eigenartig listigen Ausdruck der kleinen unruhig funkelnden Augen und mit einem übertrieben vergnügten Händereiben hinzu:

„Glaubst Du, daß ich seit acht Tagen keinen Schluck Bier über die Lippen gebracht?“

„Du bist doch nicht krank, Adolf?“

„Frisch und gesund und beim besten Humor. Aber ich kann mir den unerhörten Luxus eines Glases Bier nicht gestatten. Ebbe, völligste Ebbe!“

„Wieder einmal? Nicht möglich! Du scherzest wohl, Adolf!“ rief Walther, mit fast erschreckten Augen den Bruder anstarrend.

Das so vergnügt hingeworfene Geständniß beleuchtete die ganze trostlose Lage. Adolf bewohnte seit Monaten mit Weib und Kind das nach einem engen, feucht-dumpfen Hof gehende Hinterzimmer eines kleinen Chambre garnie der Jägerstraße. Der Wirth hatte auf die „Idee“ hin lange genug Kredit gegeben; nun verweigerte er die Verabfolgung von Speisen und Getränken, die Familie immerhin als Faustpfand in dem dunklen Verließ seines allerschlechtesten Zimmers zurückbehaltend.

„Baptist, ein Glas Bier – un boc, Baptiste!“ rief Walther in das Dunkel des Flurs hinein. Und zurückkommend, die Thür noch in der Hand: „Soll er Dir auch etwas zu essen mitbringen?“

„Wenn ich bitten darf, ein Butterbrot, irgend etwas, eine Kleinigkeit,“ antwortete Adolf die Papierrolle betrachtend, die er halbgeöffnet hielt.

„Aber, Mensch, das ist ja geradezu entsetzlich!“ zeterte Walther, aus dem Flur zurückkehrend, wo er Baptist den Auftrag gegeben hatte, irgend eine warme Portion herbeizuschaffen. „Ich bitte mir aus, daß Du es nicht so weit kommen läßt und Dich rechtzeitig bei mir einstellst!“ Er war ganz empört.

Adolf zuckte die Achseln, immer noch die Rolle vor dem Gesicht. „Du hast selbst nichts, und ich habe Dich schon oft genug belästigt,“ warf er dumpf hin. „Alles muß einmal ein Ende haben. Der Kredit und die Bettelei – aber auch dies Elend, ich versichere Dich!“ Seine Augen leuchteten auf, es klang fast wie eine Herausforderung.

„Ich will nicht, daß Du mit den Deinigen hungern sollst, Adolf!“

„Nun, so schlimm ist’s nicht, mein guter Junge. Meine Frau und der Bub’ sind Stammgäste in einem Milchkeller der Friedrichstraße. Na, und ich nähre mich von der Hoffnung. Hast Du einen Bleistift? Einen Moment, ich sehe, ich habe mich da verthan.“ Er trat mit der Rolle an den Schreibtisch und begann, mit einigen markigen Strichen an einer Stelle der Zeichnung zu verbessern. „Solltest übrigens den Bub’ sehen, wie er dabei gedeiht! Prächtig, sag ich Dir!“

„Deine Frau ist ein Engel!“ rief Walther mit anzüglicher Betonung.

„Ich habe Alles versucht, um mir vor der Hand ein Unterkommen zu schaffen. Vergebens! Ich bin kein Handlanger. Ich werfe mich nicht weg. Ich weiß, was ich kann und leiste. Ihr werdet sehen, daß ich durchdringe. Ich habe neue Aussicht für meinen Aspirator: Jemand, der den Vertrieb für Australien übernehmen will. Es handelt sich um die Herstellung des verbesserten Modells. Ich habe, seitdem ich Dir ihn das letzte Mal erklärt, bedeutende Verbesserungen hinzugefügt. Wenn Du einmal sehen wolltest …“

„Ach, laß mich mit Deinen Hirngespinsten in Ruhe!“

„Ich bitte Dich, nur einen Blick hierher zu werfen. Willst Du mir den Gefallen nicht thun? Ich will auch Alles über mich ergehen lassen.“

Widerwillig trat Walther an den Tisch heran.

„Siehst Du, Walther, während ich früher die kalte Luft in der Richtung dieses punktirten Pfeiles ausströmen ließ …“

Und die Schleuse war geöffnet. Adolf redete sich in immer heißere Begeisterung hinein, um die Vorzüge seiner verbesserten Idee in ein glänzendes Licht zu setzen. „Es ist Alles so einfach, so handgreiflich, ein Kind muß es begreifen!“

„Weißt Du was, Adolf, beruhige Dich, laß es gut sein für heute,“ unterbrach ihn der gutmüthige Walther lachend. „Wenn ich nur endlich das erste kalte Lüftchen durch Deinen Aspirator strömen hörte!“

„Kommt schon, wird schon kommen!“ rief Adolf fast triumphirend aus der Zeichnung heraus.

„Da ist übrigeus Dein Essen. Mach Dir’s bequem und iß Dich vorerst satt. Das ist das Wichtigste. Und dann wirst Du mir nicht übel nehmen, wenn ich mich an meine Arbeit setze. Ich habe sehr viel zu thun.“

„Wie das Beefsteak duftet!“ sagte Adolf begeistert.

Es war gut, daß Walther sich am Tische mit seinen Papieren zu schaffen machte und nicht Zeuge des Heißhungers war, mit dem sein Bruder über die Speise herfiel. Aber gleich nach dem ersten Bissen forderte auch die „Idee“ schon wieder ihr Recht.

„Ich habe übrigens Aussicht, die Fabrikation des Aspirators selbst in die Hand zu bekommen. Ich hab’ heut Abend noch ein Rendez-vous (er hatte stets ein Rendez-vous in Aussicht), das die Fabrikangelegenheit betrifft. Eine Eismaschinenfabrik in der neuen Lindenstraße ist bankerott geworden, vielleicht gelingt es uns, den Plunder billig zu kriegen.“

„Vielleicht – vielleicht – und das ist die ganze Aussicht?“ unterbrach ihn Walther ärgerlich, ohne sich umzuwenden. „Nach dem, was Du Mama schreibst, sieht man den Schornstein Deiner famosen Fabrik schon dampfen. Ich denke, Du hast nicht einmal genug, um Dir den Luxus von einem Glas Bier zu verschaffen?!“

„Kommt schon, wird schon kommen!“ Kein Einwurf vermochte die Zuversicht des Erfinders zu erschüttern.

„Das Geld wird schon zur rechten Zeit da sein! Ist augenblicklich nur gerade ein unglücklicher Moment. Ich habe vor acht Tagen die Patentgebühr für Rußland erlegen müssen und das will viel sagen, sie halten dort Alle die Hand auf. Uebermorgen ist das für Italien fällig. Natürlich drängen sie im Hôtel, aber die Patente gehen vor, es ist mein größter Schade, wenn sie verfallen. Ich muß einen neuen Wechsel aufnehmen, und der alte muß prolongirt werden. Mein Aspirator ist das Vorzüglichste, was je in dieser Art erfunden wurde. Er wird, er muß in allen Spitälern, in allen Schulen, Fabriken und dergleichen eingeführt werden. Ich bekomme äberall Geld darauf, soviel ich will. Es wird schon Alles werden! Prosit, alter Junge!“

„Aber es ist wirklich und wahrhaftig nicht zum Anhören!“ brauste Walther auf. „Mensch, Du hast doch Weib und Kind. Du mußt doch auch an uns Alle denken und hast Rücksicht auf unsere Familie zu nehmen.“

Mit erregten Schritten maß er die Stube.

Adolf kaute in aller Ruhe an einem schwierigen Stück seines Beefsteaks, die beiden Brüder schienen ihr Temperament vertauscht zu haben. Endlich, den Bissen hinunterschluckend, die Hand abermals am Bierglas, sagte er mit dem gemessensten Ton: „Ich weiß ganz genau, was ich mir und meiner Familie und Euch Allen schuldig bin. Ich bin zwar kein angehender Moltke, aber ich werde dem Namen Eff dennoch keine Schande machen. Im Gegentheil, ich hoffe, daß ich ihn zu Ehren bringen, ihn bekannt, ja berühmt machen werde! Mein Aspirator allein, wenn er erst allgemein eingeführt sein wird …“ Da hielt er vor einer ungeduldigen Geste des Bruders inne. Und nach einer Pause: „Uebrigens, darf man wohl ein Wort mit Dir reden?“

„Bitte!“ klang es scharf und kurz.

„Du willst Dich verloben, Walther? Mama schreibt, Du wolltest Dich verloben. Ich habe es auch sonst gehört.“

„Von wem?“

„Von einem Herrn Perkisch. Ein Allerweltskerl. Man hat mich an ihn empfohlen. Er will meinen Aspirator in der Presse herausstreichen. Freilich, der horrible Preis, den er verlangt …“

„Und nun? Was ist?“ Walther schien die Mittheilung überhört zu haben. „Gewiß, ich liebe die Dame, und es ist möglich, daß ich das Glück habe, sie heimzuführen. Was soll's?“

„Ein Goldfisch, Walther, eine von den reichen Belzig’s. Ich gratulire Dir!“

„Ich dagegen muß mir jede Gratulation in dieser Beziehung ernstlich verbitten! Das Geld der Eltern übt keinen Einfluß auf meine Absichten.“

„Und warum hältst Du denn nicht gleich um das Mädchen an?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_259.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)