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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Ich störe Sie aber doch wohl?“ fragte der Oberförster endlich.

„Ich will auch zu Bett; ich denke, ich schlafe trotz der Musik. Wann darf ich denn morgen mit der Annemarie zu Ihnen kommen, Doktor?“

Adler erhob sich. „Von neun bis zehn oder von ein bis zwei Uhr,“ sagte er; aber er sah den Andern dabei nicht an.

„Gute Nacht denn, Adler!“

„Schlafen Sie wohl, Remmert.“ – Er setzte sich wieder, ohne recht zu wissen, was er that; er rührte sich erst, als der Wirth hereintrat und ihn verwundert anblickte. Da stand er auf und ging nach oben.

Man saß noch bei Tische, und zwar in animirter Stimmung; Alles sprach, Einer lauter als der Andere. Die Musik spielte dazu ein Potpourri; sie ging eben aus einem weichen Liebeslied in eine lustige Melodie aus dem „Bettelstudenten“ über.

„Hierher!“ rief der Amtsrichter Böhm von einem Ende der großen hufeisenförmigen Tafel, sein Champagnerglas aufhebend; „Adler, hierher! Wir rücken zusammen!“

Die kleine Frau im weißen Brautkleidc winkte lebhaft mit der Serviette: „Herr Doktor, kommen Sie, wo bleiben Sie so lange?“

Der Kellner schob ihm einen Stuhl hin, und bald saß er an der fidelsten Ecke, wie man ihm versicherte, zwischen zwei reizenden Frauen, die ihn seines Ausbleibens wegen neckten, und trank Champagner, und sprach und antwortete.

„Trotz alledem ein lustig Lied,
Nun, Schicksal, schlag’ nur zu –“

trällerte Böhm mit der Musik. „Doktor, schlichten Sie einen Streit zwischen meiner Gattin und mir. Sie sind ja ein halber Heiliger; man soll jetzt nur Ihre jammervolle Miene sehen – als ob Sie bei einem Leichenschmaus säßen.“

„Ja wohl, der Doktor soll den Ausschlag geben!“ riefen die Damen.

„Schön! Also, Doktorchen, die Damen behaupten, eine Frau brauche ihren Mann nie um Verzeihung zu bitten, auch wenn sie wirklich Unrecht hat. Wo bleibt die Logik?“

„Wo bleibt die Galanterie?“ rief die kleine Frau Elsa Böhm lachend. „Und wenn Du bis an den jüngsten Tag wartest, ich sage niemals: ‚Pater peccavi‘!“

„Aber, ich bitte Sie,“ begann der Doktor, „Derjenige, welcher Schuld hat, muß doch –“

„Gewiß! Aber nicht Diejenige. Wir haben überhaupt nie Schuld!“ erklärte sie seelenvergnügt.

Adler mußte lächeln; dann ward er ernst.

„Jetzt hat das nichts mehr auf sich,“ bemerkte gelassen der Ehemann; „aber als der Pastor sein Amen noch nicht über uns gesprochen, da bestand sie einmal, eigensinnig wie sie Alle sind, darauf, ich solle einen Fußfall thun wegen einer Lappalie, oder ich wäre in Gnaden entlassen worden. Es war Ernst, wahrhaftig! Und was sollte ich machen? Mit Schmollen und Trotzen kommt man ja bei ihnen nicht durch, aus dem einfachen Grunde, weil sie das besser verstehen als wir. Elsa, sieh einmal, was der Doktor für ein Gesicht macht; bei dem möchtest Du Dich verrechnet haben. Danke Gott auf Deinen Knieen, daß Du so ein Lamm wie mich gekriegt hast.“

„Ja, allerdings,“ sagte Adler, „ich hatte – ich wäre –“ er brach zerstreut ab.

„Sie ließen wahrscheinlich Ihre Zukünftige in der Ecke stehen oder auf Erbsen knien? Ich werde alle Mädchen warnen,“ schmollte Frau Elsa.

Er hörte es nicht; er dachte an sie, an den Mann, der die Hand nach ihr ausgestreckt, um für seine Kinder eine Mutter zu haben, nur weil sie zufällig die Schwester der Verstorbenen. Warum hatte er ihr nicht vergeben können, die er ja doch nicht vergessen konnte? Es war gut so – gut? Ja freilich! Er nahm sein Glas und trank; die Andern waren schon wieder mitten im Lachen und Plaudern.

Am entgegengesetzten Ende der Tafel saß Fräulein Selma, nicht weit davon seine Mutter. Sie blickte böse zu ihm herüber. Fräulein Selma war purpurroth erglüht hinter ihrem riesigen Bouquett; ihr kleiner Tischnachbar redete eifrig in sie hinein.

Dann tupfte etwas leise Adler’s Schulter und ein Kellner flüsterte ihm einige Worte zu. Er nahm langsam seine Serviette und legte sie auf den Tisch.

„Entschuldigen Sie mich,“ sagte er.

„Schon wieder fortgeholt? Nehmen Sie es mir nicht übel, es ist ja ein schreckliches Metier, das Ihre,“ rief einer der Herren.

„Kommen Sie bald wieder, Doktor!“

Er war schon aus der Thür und die Treppe hinunter. Der alte Peter stand da, eine Laterne in der Hand, mit verschlafenen Augen.

„Mademoiselle bittet sehr um Entschuldigung,“ begann er, während Adler sich den Ueberzieher umgeben ließ. Er setzte den Hut auf und winkte zum Gehen.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Die Königin von Italien. In seinen soeben in französischer Sprache veröffentlichten Plaudereien über die „römische Gesellschaft“ entwirft Graf Paul Vasili ein glänzendes Bild der Königin Margherita. Graf Vasili ist bekannt als ein ziemlich rücksichtsloser Berichterstatter, welcher die europäischen Höfe mit besonderer Vorliebe für den gesellschaftlichen Klatsch schildert, der auch die höchsten Regionen unsicher macht. Es giebt kaum eine der hochgestellten Persönlichkeiten, der er nicht wenigstens einen leichten Makel anzuheften sucht, von der er nicht irgend ein Geschichtchen zu erzählen wüßte. Ueberhaupt sind seine Portraits fast niemals geschmeichelt. Um so mehr muß das in den hellsten, freudigsten Farben gemalte Bild überraschen, das uns die Königin Italiens vor Augen führt. In Italien angebetet, erfreut sie sich auch auswärts der Sympathien, die man überall für eine schöne und ausgezeichnete Frau empfindet. Ihr Name (Margherita bedeutet in italienischer Sprache auch „Maasliebchen“) giebt zu einem Kultus Anlaß, wie ihn das deutsche Volk durch den Kornblumenschmuck seinem Kaiser weiht: kein italienischer Dichter, der ihm nicht gehuldigt hätte. Sie selbst hat reizende Verse gemacht; auch ist sie eine wohlgeschulte Sängerin, obgleich sie keine große Stimme hat; sie zieht die deutsche Musik der italienischen, diese aber der französischen vor. Sie hat viel gelernt und viel behalten; sie denkt und urtheilt selbst und ihre Kenntnisse auf dem Gebiete der Künste sind denen überlegen, welche viele namhafte Kritiker in ihren Artikeln vertreten. In Venedig, der Stadt, in welcher sie am liebsten verweilt und zwar bei ihrer Hofdame, der Gräfin Marcello, besucht sie die Kirchen und Museen; ihre Lieblingsmaler sind Carpaccio und Cima de Conegliano; nächst ihnen schwärmt sie für den Mantuaner Mantegna. Die Möbel, die sich auf den Bildern dieser Künstler finden, läßt sie sich anfertigen und stellt sie in ihren Privatgemächern auf. Sie liebt die Lektüre und hält sich auf dem Laufenden mit allen Revüen, allen französischen, englischen und deutschen Erscheinungen. Wenn ihr eine ihrer Hofdamen die Neuigkeit bringt, daß ein bemerkenswerthes Buch erschienen ist, so begrüßt sie das mit wahrer Freude.

Wie die hübscheste, so ist sie auch die gebildetste Frau ihres Königreichs: aber sie hat darüber nichts von ihrer Anmuth eingebüßt. Außer den unvergleichlichen Augen der Kaiserin von Rußland giebt es keine schöneren als die der Königin Margherita; ihr Lächeln ist von seltenem Reiz, ihre Bewegungen sind von einschmeichelnder Harmonie. Stets hat sie den Werth der Männer nach ihrer Intelligenz gemessen, nicht nach ihrem Rang, ihrem Vermögen oder ihrer Bedeutung für die politischen Parteien. Sie versteht es, Jeden über das sprechen zu lassen, was er versteht. Alle Italiener, die irgendwie geistige Ueberlegenheit bewährt haben, sucht sie kennen zu lernen. Verrathen dieselben sonst eine schlechte Erziehung, so leidet sie mehr darunter als manche andere Dame, weil sie zartfühlender ist; aber sie beherrscht sich und erträgt die widerwärtigsten Manieren mit einem Muth, der des alten Roms würdig ist. Sie plaudert gern und oft im muntersten Ton in vertrauten Kreisen. Affektirtes Wesen ist ihr in hohem Maße verhaßt: bei den officiellen Feierlichkeiten aber hat sie durchaus die Haltung einer großen Dame. Was die Toilette betrifft, so neigt sie allerdings zu Glanz und Pracht. Wenige Fürstinnen haben schönere Edelsteine als sie. Die Kronjuwelen waren schon glänzend: König Viktor Emanuel hat ihr prächtige Geschenke gemacht und König Humbert hat wunderbare Diademe und unvergleichliche Perlen hinzu gefügt. „Eine gute Fee,“ ruft der sonst so tadelsüchtige Graf Vasili mit Begeisterung aus, „hat dieser Prinzessin schon an der Wiege alle Gaben gespendet, Schönheit, Grazie, Heiterkeit und jede Gunst des Schicksals; es schien, als würde sie nur goldene Tage erleben. Und doch hat sie viel gelitten am Anfang ihrer Ehe und durch das Attentat von Passavante, welches ihre Gesundheit schwer erschütterte, so daß sie sich lange nicht erholen konnte. Wenn eine Frau es verdient, glücklich zu sein durch ihren Adel, die Festigkeit ihres Charakters, die Güte ihres Herzens, durch Verdienste jeder Art, durch ihre Schönheit, so ist das die Königin von Italien.“

Das ist das Bild der liebenswürdigen und interessanten Frau, welche die Krone des Landes der Kunst und Schönheit trägt: ein Bild, das sich auf die Staffelei eines Malers verirrt hat, welcher als der Höllenbreughel der europäischen Höfe betrachtet werden kann. †     

Bayerischer Holzknecht. (Mit Illustration S. 257.) Der Mann mit den wetterbraunen Zügen, den unser Bild uns zeigt, ist einer der Holzfäller, in den Bergen kurzweg Holzer genannt, welche mit Axt und Säge den Kampf gegen die alten Waldriesen führen. Und es ist ein mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_271.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)