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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

das riesenmäßige Prunkstück des Stammbaumes ein. Es schien all die andern Bilder mit seiner schwerfälligen Wucht zu erdrücken; es beherrschte gleichsam die ganze Wohnung, und die künstlerische Kostbarkeit des geschnitzten Eichenrahmens stand in auffallendem Gegensatz zu der Einfachheit der übrigen Möbel.

Der elegante, stets vorschriftsmäßig frisirte Kopf des Hauptmanns fuhr an der Wand hin und her und auf und ab, um auch den höher oder tiefer hängenden Bildern einen Blick zu schenken. eine Artigkeit, die er dem Besitzer der Sammlung schuldig zu sein glaubte. „Hochinteressant – sehr werthvoll!“ wiederholte er.

„Ist mir schon viel dafür geboten worden,“ bestätigte der Oberstlieutenant – „wie gesagt, ein Erbstück, und man giebt es nicht gern aus der Hand – freilich …“ Es steht dem Erbstück ja doch über kurz und lang das Schicksal einer Auktion bevor – schien das „freilich“ zu sagen.

Er stutzte und blinzelte lebhaft mit den grauen Augenwimpern. „Hier das Zietenbild – die Sonne blendet etwas sehr – hierher bitte, von dieser Seite!“

„Ah, der Stammbaum!“ sagte Eff.

Es war die große hohe Spiegelfläche des Prunkstückes, die das Gewimmel der Bilder abschnitt. Er trat ein wenig zurück, um das auffallende Kunstwerk in seiner ganzen Ausdehnung mit einem Gesammtblick zu prüfen. Er hatte schon von Melitta über diesen Stammbaum gehört, nun wollte er nicht, ohne ein Wort zu sagen, daran vorübergehen, so sehr er in seiner Peinlichkeit fürchtete, wehmüthige Gedanken in dem letzten Gamlingen zu erwecken. Und wieder näher herantretend: „Ein Meisterstück von einem geschnitzten Rahmen!“

„Ze … ze … ze … hat ein Heidengeld gekostet. Extra in Nürnberg gearbeitet. Eine Leistung von drei Jahren.“

„Glaub’ ich, glaub’ schon! Herrlich! Ganz wunderschön – wie diese Wappen geschnitzt sind! Uebrigens auch die Zeichnung ist eine ausgezeichnete Arbeit. Wir wissen dergleichen zu schätzen wir Kartenfexe.“

Und sich bückend und allmählich wieder aufrichtend, fuhr Eff von der Wurzel des Baumes bis zu den weiten Verzweigungen der Krone in die Höhe und wieder hinab. Zu Füßen des Baumes breitete sich ein heraldisch stilisirtes Gebirge, auf dessen höchstem Gipfel eine Burg thronte. Das Thurmfähnlein trug die Jahreszahl 1295.

Um nicht zu schreiben eintausenddreihundert – hätte Jemand, der die effektvolle Mache bei solchen Stammbäumen kennt, sich sagen müssen. Aber Eff staunte aufrichtig über die ehrwürdige Zahl. „Zwölfhundertfünfundneunzig!“ rief er. „Famos!“ Unwillkürlich fuhren seine Hacken leicht zusammen, und er machte eine Art Verbeugung, um seine Huldigung dem Nachkommen eines so alten Geschlechts darzubringen.

„Ich werde mit Walther zusammen Lo selbst abholen,“ erzählte Melitta. „Ich freue mich kindisch, meine gute Schwiegermama kennen zu lernen. Weißt Du, Olga, daß sie dort in Erfurt, als Walther mit Lo ankam, letztere für sein Bräutchen hielten?“

„Sehr gut!“ lachte Olga laut, es geschah etwas gezwungen; sie lauschte zwischen den Worten ihrer Freundin nach den Herren dort am Stammbaum hinüber.

Auch Melitta hatte die Betonung der Jahreszahl aus ihres Bräutigams Munde vernommen. Sie sah die beiden Herren vor dem Stammbanm verweilen, und wieder kamen die Gedanken, die sie vorhin vor dem Schilde überfallen, herbeigehuscht.

Adoption – es war das Thema, das plötzlich die Luft beherrschte. Die vier Menschen dachten daran, ohne daß das Wort ausgesprochen wurde. Jedes in seiner Art. Vor Eff stapelten sich plötzlich alle die Andeutungen und Redensarten, welche diese Adoption betrafen, wie die Glieder einer wohlgeordneten Disposition mit a und b und c auf. War es wirklich die Absicht des alten Herrn, wie Mühüller behauptet hatte, ihn zu adoptiren? Und wenn man ihm die Adoption formell anböte, würde er sie ausschlagen? Unsinn! Ein Kavalier, bei dem das Kavalierthum nicht nur in den Sporen sitzt, wird dergleichen nicht thun!

„Wir haben ein sehr schönes Quartier in der – in der – nun in der Friedrich-Wilhelmstraße in Aussicht, aber wir wissen noch nicht …“ fuhr Melitta zerstreut in dem Geplauder über ihre Zukunftspläne fort.

„Eine prächtige Lage!“ antwortete Olga eben so zerstreut.

Die Augen der Damen flogen immer wieder nach den beiden Herren hinüber, als wenn dort etwas Wichtiges vor sich ginge.

Eff verfolgte eben das Anwachsen des Stammes und das Ausbreiten der mit namentragenden Wappenschilden bedeckten Aeste. Der Baum hatte ein ungleiches Wachsthum; hier und da war ein Zweig verdorrt, an anderen Stellen war das Laub mit den Namenschilden wie mit großen weißen Blüthen übersäet. Die Reihe für die Nachkommen des Oberstlieutenants war offen geblieben, doch nur zwei der Schilde trugen Namen, als der Stammbaum gefertigt wurde, war ja begründete Hoffnung, daß auch die übrigen Schilde ihre Bezeichnung fänden. Nun war es versäumt worden, diese nachzutragen.

„Fünf Vorderstuben und vier Küchen,“ sagte Melitta, immer noch mit der Beschreibung ihrer zukünftigen Wohnung beschäftigt. Sie hatte sich jedenfalls versprochen und die Hinterstuben gemeint – es es klang lächerlich; aber sie hatte es nicht einmal gemerkt: so sehr war ihre Aufmerksamkeit von dem Stammbaum in Anspruch genommen.

Olga nickte ganz ernst und verständnißvoll. Auch sie hatte die Verwechselung ganz überhört. Horch – war dort drüben nicht das Wort gefallen? Jenes, das in der Luft lag und das die Gedanken der Anwesenden wie gebannt hielt? Melitta zuckte wie mit einem leichten Schauer zusammen.

Aber nur der Stoßseufzer war es, welcher dem alten Herrn in der letzten Zeit öfter über die Lippen ging.

Nein, er hatte nicht den Muth – jetzt nicht! Es war wohl nicht die günstige Gelegenheit; man mußte es wohl auf diskretere Weise anfangen; man mußte wohl den Damen die Angelegenheit überlassen, er ist zu unbeholfen und versteht sich nicht auf diplomatische Künste – und diese leidige Grafenaffaire, die überhaupt wohl Alles verdorben hat!

Aber er vermochte nicht ganz an sich zu halten. Und den großen treuherzig offenen Augen des Hauptmanns ausweichend, mit bebenden Fingern an dem Husarenbärtchen zupfend, stieß er stotternd hervor: „Ze … ze … ze … ich hätte mich längst nach einer Adoption umsehen müssen.“

Bald darauf empfahl sich das Brautpaar. Olga begleitete es bis zur Flurthür; Melitta grüßte noch einmal freundlich empor. Nur ein ganz flüchtiger Seitenblick traf dabei das Schild. Dennoch übergoß eine Röthe ihr Antlitz. Ist denn eine Zauberei im Spiel? Sie fühlte eine seltsame Befangenheit, und es war gut, daß ihr Geplauder so laut zwischen den kahlen Wänden wiederhallte, als sie herabstiegen.

Wie verwundert neugierig die Hinterhausfenster auf die beiden schönen und glänzenden Menschen herniedersahen, die durch die feuchte Kühle des Hofes mit Rauschen und Klirren daherschwebten, einer feenhaften Erscheinung gleich, um da draußen in der unbeschreiblich freudigen Helle des Wintertages zu verschwinden.




13.0 Sonnenflitter.

Vor Melitta’s Augen tanzte ein winziges blinkendes Etwas – es war wohl nur die Wirkung der sonnigen Blendung? Nun glaubte sie ganz deutlich ein niedliches allerliebstes Krönlein flimmern und flittern zu sehen, gar lustig und neckisch vor ihren Blicken. Es war ja fast gespenstisch. Immer schärfer zeichnete sich das lustige Ding – nun meinte sie die sieben Perlen auf den Zackenstengeln zu unterscheiden.

Auch für Eff war das Gespenstische da, jetzt am hellen Mittag. Horch – klang nicht aus dem Getöse der Straßen, durch die das elegante Koupé sie leichtfedernd dahertrug, aus dem Rasseln und Klingeln der Pferdebahnwagen und dem Geräusch der Tritte auf dem Trottoir, immer wieder jene Zahl: zwölfhundertfünfundneunzig? Eine Dummheit – aber man kann den Klang nicht loswerden! Bis vor einer halben Stunde hatte er über den Gedanken dieser Adoption gelächelt, und er hatte gemeint, eine Versuchung, wenn sie jemals an ihn herantreten würde, mit einem mitleidigen Nein! einfach abweisen zu können. Jetzt war er zum ersten Mal in den unmittelbaren Bannkreis jenes Namens getreten. Was ist denn das für ein Dämon, der einen ernsten Mann dazu bringen kann, in der großen Narrethei des Lebens mitzutanzen?

„Was ist Dir, Litta?“ fuhr er plötzlich empor.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_339.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)