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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

vielleicht ein Körnchen Wahres ist, wo aber das Meiste ihren beweglichen Zünglein das Dasein dankt. Und sie schneiden unbesorgt – die Ehre ab Denen, die ihnen zwischen die Mahlsteine gerathen.

Die Mahlsteine müssen sich drehen, und die Zünglein müssen züngeln – sonst haben sie ihren Beruf verfehlt, und jemand auf der Welt muß einmal dazu herhalten. Wer ist näher bei der Hand, als der Herr Nachbar und die Frau Nachbarin – warum wohnen sie so, daß man ihnen in die Fenster gucken kann, was sie heut zu Mittag kochen, daß man an die Wand gelehnt hören muß, wenn sich das junge Ehepaar in den Haaren liegt? Gutes zu erzählen von seinen Nebenmenschen – wem liegt daran, das zu hören? Etwas Schlimmes aber findet stets aufmerksame Zuhörer. Ein Bischen Neid und Mißgunst spielt ja doch immerhin eine Rolle, und wer in der Lage ist, etwas von dem glücklicher situirten Nebenan zu wissen, der fühlt sich gewissermaßen entschädigt.

Doch versetzen wir uns – mittels eines Aktes freiwilliger Seelenwanderung in das Mutterkätzchen, welches uns seine Rückseite zuwendet und, während es scheinbar nach den beiden Jungen sieht, welche soeben das Frühstück bekommen haben, die Ohren spitzt, damit ihm kein Wort von dem interessanten Trio entgehe. Aber pardon – das Trio ist noch nicht vollzählig. Frau Martha, eine wohlhabende Jungfrau, die in den schön geschnitzten Truhen manch schönes Stück Linnen und niederländisch Tuch und manchen blanken Thaler liegen hat, sitzt, nachdem sie Tags zuvor zum fünfzehnten Male den Beschluß gefaßt, keinem Liebhaber mehr die Thür zu öffnen (denn sie meinten es alle schlecht und sahen es nur auf ihr Vermögen ab), in ihrem Gemach allein. Sie ist unglücklich und verbittert und wartet voll nervöser Ungeduld zweier älteren Frauen aus der Nachbarschaft, die sich allabendlich mit der Regelmäßigkeit der Sonnenuhr einzustellen pflegen.

„Guck, Guck!“0 Nach dem Oelgemälde von K. Grob.

„Darf ich?“ heißt es jetzt von der eben geöffneten Thür her.

„Immer herein, Base Ursula – es ist heut später als sonst. Setzt Euch!“

„Hat seine Gründe, Jungferchen,“ entgegnet die Kommende mit dem ergebenen Wesen und den stets gefalteten Händen – die Bettelursel heißt sie in der Stadt – und schiebt sich auf den Kasten. „Hat doch der große Kaufherr und Rathmann Melchior Hochstetter seinem Namenstag zu Ehren großen Freitisch gegeben, alle Armen waren durch Herolde mit großen Trompeten geladen – aber du meine Zeit!“

„Habt Ihr mir etwas vom Schmause mitgebracht?“

„Einen leeren Magen, denn ich bin durch die Sache um meine tägliche Klostersuppe gekommen. Der Knicker! Für ein paar Schnapphähne und Bärenhäuter wurde aufgetragen. Was die rechtschaffenen Stadtbettler sind – nicht ein Bissen! Der Prahlhans – ist gar nicht weit her mit dem Handelshaus und will der Welt nur Sand in die Augen streuen, weil seine Tochter Iditha den jungen reichen Paumgartner aus Augsburg heirathen soll –“

„Der in Geschäften hier ist,“ fiel hier Frau Dorothea ein, die an der Thür die letzten Worte vernommen hatte und nun schnell ihren Platz auf einem Sessel nahm. Sie kam in der ganzen Stadt herum, unterhielt in allen Gesindestuben ihre Verbindungen und hatte stets etwas Frisches, Prickelndes zu erzählen, so daß sie eigentlich die Seele des Klatschtrios war. „Das ist längst vorbei, längst vorbei. Herr Hochstetter glaubte den jungen Menschen ja schon im Sacke zu haben. Denn er hatte ihm für sein liederliches Leben, hinter dem Rücken seines Vaters, zweitausend Dukaten aufs Buch vertraut, wenn nicht –“

„Wenn nicht –“

„Wenn es nicht herausgekommen wäre, was herauskommen mußte.“

„Was – was?“ fragen die beiden Andern und beugen sich vor.

„Erinnert Ihr Euch noch des jungen Tommaso, des hübschen schwarzäugigen Malers aus Siena, der das Altarbild arbeitete, welches der Kaufherr Hochstetter in die Nikolaikirche gestiftet hat?“

„Was ist’s mit dem?“ fragen weiter die Beiden, wie aus einem Munde.

„Ihr wißt – rechts knien er und die Frau, links die Kinder. Alle vortrefflich getroffen. Er hat sie alle einzeln im Hause aufgemalt. Man sagt nun – das heißt – ich weiß es von Gertrud, die damals bei Hochstetter’s Flachs gesponnen hat und zufällig in das Gemach trat, als Jungfräulein Iditha und –“

Die drei Frauen steckten ihre Köpfe zusammen. Wir können nichts mehr hören – wir haben auch genug davon. Wir athmen auf, freuen uns, daß „wir doch bessere Menschen“ sind, und danken dem Himmel, daß wir drei Jahrhunderte später zur Welt gekommen sind: denn so etwas kommt bei uns nicht mehr vor. Oskar Justinus.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_344.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)