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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


losstürzen, es packen, zerschmettern, dies entsetzliche Ding, das bestimmt schien, ihm seinen Frieden zu rauben und sein Glück zu vergiften!

Vor seinem eigenen Namen schauderte er, der vom Blute eines unschuldigen Braven triefte. Aber so mußte es geschehen! Wir haben dem Alten den Namen auf dem Todtenbette erpreßt – das ist das nackte Wort! Gestohlen, geraubt haben wir ihn, es ist nicht zu viel gesagt! Der Name fordert seine Rache!

Er eilte zu den Belzigs mit einer grausamen Lust, ihnen die blutige Anklage hinzuschleudern. Sie sollten es sofort zu hören bekommen, was dieser Name für eine Unthat angerichtet! Sie sollen nicht verschont werden, auch seine Braut nicht!

Und mit allem Aufgebot von äußerer Gemessenheit, deren er in dieser Stunde habhaft werden konnte, setzte er sich zu ihnen an den Tisch und sagte, nachdem er die Fragen über Mühüller’s Befinden mit einem unwirschen Achselzucken beantwortet:

„Wißt Ihr auch, was schuld daran war, daß der arme Mühüller wahrscheinlich sein Leben lassen muß?“

Er stutzte – aber Olga war nicht bei Tische anwesend, da durfte er sich gehen lassen.

Sie sahen ihn erschrocken an über die Gereiztheit seines Tones.

„Der Name – dieser Name – Trutz von Gamlingen – der war es – der!“

Es lag ein solcher Haß in diesem „der“! Entsetzt fuhren sie zusammen.

Herr Belzig aber nickte und nickte. Ob er in der Eile abermals eine Art von Berechnung anstellte wie damals: wie hoch wohl solch ein Menschenleben taxirt werden müßte, und wie groß sich dann Alles in Allem die Summe herausstellte, die dem Götzen des Namens in diesem Hause geopfert worden wäre?




19.0 Maisonne.

Maisonne – jubelnde lachende Maisonne!

Wie breit und triumphirend sie über den besprengten Damm der prächtigen Friedrich-Wilhelmstraße dahergezogen kommt!

Ferne, unter dem heiteren Tiefblau des Himmels, an dem die Schwalben mit lautem Schwi – i vorüberschießen, dämmert in majestätischer Ruhe das Baumdunkel des Thiergartens, das die Straße abschließt. Rechts und links hellgrüne Koulissen der Vorgärten, doch die Baumriesen des Waldes selbst schimmern noch im Braun der ersten Knospung. Eine seltsame Sinnestäuschung: wenn man dort hinblickt, so glaubt man den vielstimmigen Gesang der Vögel zu hören und den würzigen Frühlingsduft des Waldes deutlich zu riechen.

Der scharfe Klang eines Pferdehufes, lebhaft, mit beschleunigter Kadenz, jetzt sogar kurz trippelnd, nähert sich. Laut hallt und wiederhallt es zwischen den Häuserfronten; es ist die hohe Gestalt eines Officiers, die auf einem kostbaren englischen Vollblut reitet. Die Flanken des edlen Thieres glänzen naß von der Anstrengung des Rittes, und der feine Kopf mit den großen blaubraunen Augen nickt ungeduldig prustend und leichte Schaumflocken schleudernd. Der Officier hat schon von ferne einen gewissen geöffneten Altan eines gewissen ersten Stockes im Auge. Jetzt kommt aus der Thüre, die den Altan gegen den Salon abschließt, eine junge Dame hervorgehuscht, und zwischen den Azaleen, welche die Brüstung schmücken, taucht ein vor Freude strahlendes Gesicht, ein Kopf, den ein kokettes duftiges Häubchen überaus reizend kleidet, empor. Und eine schmale weiße Hand, an der ein neuer Trauring stark funkelt, winkt mit einem Tüchlein durch die Blüthenkronen hinab.

Als wenn er von einer weiten Reise heimkehrte und eine Sehnsucht von sechs Wochen auf ihn gewartet! Ein junges Paar – die Nachbarschaft kennt diese Scene des Wiedersehens, die sich schon seit mehreren Tagen, da er am Morgen ausreitet, wiederholt. Ein so glückliches Paar! Wie sie gehen und kommen, scheint ein Hauch des Glückes von ihnen auszustrahlen. Seit vierzehn Tagen sind sie erst von ihrer Hochzeitsreise zurückgekehrt, das war fast ein Ereigniß für die Straße, die doch an den äußeren Schein des Glückes gewöhnt ist. Sie ist reich, aber man sieht, er hat sie nicht ihres Geldes wegen genommen; denn sie ist so schön. Aber auch deßwegen nicht – sie ist so lieb und lieblich und freundlich! Und es war gewiß nicht die Uniform und die rothen Ponceaustreifen des Generalstabs und auch nicht die imposante Prachtgestalt, die ihr in die Augen stachen, auch nicht sein Name – man munkelt, man weiß ja, der Name ist selbst noch neuer als dies Glück – eine Adoption! Nein, er liebt sie – sie lieben sich beide, das ist der Nachbarschaft gewiß und dem Vis-à-Vis und all dem vielköpfigen, hundertäugigen, spürenden, spionirenden Herum, das an dem Pulsschlag unsers Alltags theilnimmt.

Nun eilt auch Baptist aus dem Thorweg herbei, durch den Hufschlag benachrichtigt. Er trägt seine Musketieruniform, von der ihm der Hauptmann eine besondere Garnitur hatte anfertigen lassen, zur Verwunderung des Burschen – warum soll er denn nicht fort und fort die neue Livree tragen, deren Knöpfe die hübsche, siebenzackige Krone schmückt? Er begreift nicht die Abneigung, die sein Herr gegen diese Livree und diese Knöpfe empfindet, und hat auch nicht verstanden, was Jener ihm gelegentlich hingeworfen:

„Kein ehrenvolleres Kleid als des Königs Rock!“ Nun, er ist doch Lothringer und seinen Eid, den er dem Kaiser von Deutschland geleistet, in Ehren, aber die Livree würde ihn nicht immerwährend an den prussien erinnern, den sie dort unten in seiner Heimath so verwünschen.

Und Baptist reicht, indem er den Zügel des Pferdes ergreift, seinem Herrn die hohle Hand mit ein paar Stückchen Zucker hin. Gamlingen nickt lächelnd – von ihr! Wie hübsch, daß sie an den Braunen denkt! Während das Thier sich die Stücke mit dem wohlig hin und her mahlenden Maul schmecken läßt, winkt er immer wieder hinauf, wo das Köpfchen aus den Blumen ragt. Nun huscht die junge Frau davon. Ist es die Ungeduld, die ihn mit der plötzlichen Bewegung heraufwünscht?

Er eilt hinan über den rothen Teppich der Treppe, durch die magische Dämmerung, die den von schimmerndem, braungoldenem Marmorstuck bekleideten, von einem mattbunten Fenster erleuchteten Flur erfüllt. Neben der Thür aus polirtem Nußbaum, die den ersten Stock abschließt, haftet ein zierliches Porcellanschild. Etwas absichtlich Diskretes und Unscheinbares, das man fast übersieht. „Hauptmann Trutz von Gamlingen.“

Der Name klingt fast affektirt in dieser Verstümmelung. Warum steht nicht der „Freiherr“ dort, der ihm doch zukommt?

Als die junge Freiin zum erstenmale die Schrift auf dem Schilde las, stutzte sie und konnte ein leichtes Zucken unverhohlener Enttäuschung nicht zurückhalten: es ist so, als schäme man sich des Freiherrn!

Er hatte die Thür geöffnet und war schon im Korridor. Doch sie verlor kein Wort über die Verstümmelung. Sie durften sich nicht des Namens freuen, und sie sollten sich seiner nicht freuen! Das Duell und Mühüller’s Krankenlager lastete wie ein Schatten über dieser Adoption. Der Name war mit Blut getauft, und sie fuhlte, daß ihn sein Besitzer nur mit einem geheimen Widerstreben duldete: aber was war zu thun? Es ist geschehen! Der Name ist unser! Man muß ihn erdulden, man muß ihn sogar hoch zu tragen suchen! Man muß sogar darunter zu leiden wissen: noblesse oblige!

Gottlob war ja nicht das gefürchtete Schlimmste eingetroffen! Die Wunde hatte einen guten Verlauf genommen, und an dem Namen haftete wenigstens nicht der Fluch, den Tod eines braven Menschen veranlaßt zu haben. –

„Mein Liebling! Mein Weib! Mein süßes Weib!“

O, sie hatten sich so lange nicht gesehen: er war die Ewigkeit zweier voller Stunden ausgeblieben, der Böse! Das Glück ist so egoistisch. Wenn sie so in seinem Arme ruhte, das Köpfchen an seine Schulter gelehnt, mit den tiefverklärten Augen nach den seinen emporsehend, dann verschwand vor der Fülle solcher Seligkeit all’ der häßliche Dunst, der die Adoption und den Namen so schwül umbrodelte.

„Ich habe Dir auch eine gute Nachricht mitgebracht!“ rief er, sie loslassend.

„Kommt er?“ rief sie freudig auffahrend.

„Der Oberstabsarzt will ihn endlich freigeben, er hat eingewilligt, daß wir ihn holen.“

„O, wie freue ich mich!“ Melitta schlug die Hände zusammen wie ein glückliches Kind.

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