Seite:Die Gartenlaube (1887) 403.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


ganz naiv, wie verwundert, mit seinen hellen, blauen Augen anstarrt. Was für ein Wesen sie doch hier zu Lande aus so einer einfältigen Messerkitzelei machen! Ja, da könnte er ihnen ganz andere Dinge aus seiner Goldgräberzeit berichten!

Wie ist der Streit denn gekommen? Herr Pansow will es wissen. Er will den Schuldigen schon zur Verantwortung ziehen, droht er. Und er läßt den Popanz der Polizei spielen. Man weiß, er macht nicht viel Federlesens.

„Wie das gekommen?“ sagt der Pockennarbige vortretend. „Wer hat angefangen? Der schon nicht –!“ er wies mit der Schulter nach dem Amerikaner – „warum läßt man ihn nicht in Ruhe? Er hat Recht. Aber der da!“ er winkte nach dem Arbeiter mit dem violetten Auge, dessen Gesicht nun noch durch eine gewaltige Schramme quer uber die Wange verschönert worden war. „Warum läßt er meinen Freund nicht in Ruhe mit seinem Baron? Geht doch Niemand was an, ob er ein Baron ist oder nicht!“ Und er blinzelt verschmitzt in der Runde.

„Wie so Baron? Was soll der Unsinn heißen?“ fragt Herr Pansow ungeduldig.

„Na, er is es doch!“

Der Arbeiter reckt sich wichtig heraus. „Er is es doch!“ ruft er. „Ist so gut sein ehrlicher Name wie einem Anderen sein Name. Was ist dabei? Wenn ich es wäre, ich ließe meine Papiere aushängen, daß sich Jeder überzeugen kann. Warum soll ein Baron nicht Steine und Kalk schleppen? Arbeit schändet nicht. He, Dicks, was meinst Du, wir wollen Deine Papiere aushängen lassen, hörst Du?“

Dicks verzog den Mund nur zu einem spöttischen Lächeln. Herr Pansow wollte die Erklärung, aus der er keinen rechten Sinn herauszufinden vermochte, abschneiden und wandte sich an das Violettauge: „Also Sie sind es gewesen, der den Mann da insultirt? Sie haben angefangen?“

„Insultirt? Woso? Hat sich was!“ knarrte die Roststimme. „Sie hören ja, er is es! Hab’ ihn doch bloß bei seinem Namen genannt! Er is doch Baron! Warum soll er nich Baron sind? Wenn ick et wäre, als wie icke …“

Es war die Nachäffung des Pockennarbigen. „Verdammt!“ bekräftigte er, auf sein emporgezogenes Knie schlagend.

Herr Pansow wandte sich ungeduldig an einen der anderen Arbeiter. Dieser zuckte die Schulter: sie nennten ihn Baron, sein Spitzname; aber es sei doch mehr dahinter; er soll ein Anrecht darauf haben. Er macht zwar keinen Gebrauch davon, und es ärgert ihn. Aber er soll es doch nun einmal sein! Ein Baron von … von …“

„Gam … Gamlich – so was,“ half Einer nach.

„Gamling,“ verbesserte ein Anderer.

„Nicht möglich! Unsinn!“ rief Herr Pansow. Er mußte hellauf lachen.

„Er nennt sich bloß Trutz!“ ergänzte der Gefragte.

„Der da sollte …“ das Wort blieb dem Fabrikanten im Munde stecken. Die Erinnerung an irgend ein vor vielen Jahren in einem Vorstadttheater aufgeführtes Volksstück stand plötzlich vor ihm. Dort war zur großen Ueberraschung des Publikums ein Nachkomme eines Geschlechtes, von dessen Vorhandensein Niemand eine Ahnung hatte, in die Handlung hereingeplatzt, den Konflikt völlig auf den Kopf stellend und allen Vermuthungen und Kombinationen über den Ausgang ein Schnippchen schlagend. Man hatte damals über diese Unverfrorenheit, mit welcher der Schriftsteller die Macht des Zufalls mißbrauchte, bedenklich den Kopf geschüttelt. Ungläubig, das Lachen von vorhin mechanisch in den Mienen festhaltend, starrte er den angeblichen Gamlingen an. Nicht möglich! Er kann doch nicht plötzlich vom Himmel gefallen sein, und gerade hier, am heutigen Tage! So lächerlich spielt doch selbst der Zufall nicht.

Der „Baron“ ließ sich gerade von seinem pockennarbigen Freund Mäpke eine Erfrischung reichen, bestehend in einem Stückchen Primtabak, das dieser losgeschnitten und das er Dicks in den vorgestreckten Mund schob. Er schien Pansow und dessen Verwunderung nicht im Mindesten zu beachten.

Mit einem vollkräftigen Berlinischen „Nanu?!“ fuhr Adolf zurück, als Pansow ihm die erstaunliche Neuigkeit meldete. Walther horchte stutzend auf. Doch nur zwei Minuten lang schien er an der legitimen Richtigkeit dieses Namensvetters zu zweifeln, es schlummerte ein Bewußtsein in ihm, daß er von diesem Namen noch die kühnsten Ueberraschungen zu erwarten habe.

„Wer? Wo ist er denn?“ rief er mit einem erzwungenen Lachen.

Herr Pansow zeigte nach Dicks hin.

„Der da! Das ist ja – das ist – wirklich – ausgezeichnet!“ platzte Walther heraus. Er war fahlblaß im Gesicht.

Dicks saß da und hielt die verbundene Hand in dem einen gekrümmten Arme, als wäre es ein Kindchen, das er hätscheln müßte. Seine im spitzen Winkel emporgestemmten Kniee wiegten sich lässig hin und her, und mit wälzenden Muskelbewegungen ließ er den Prim im geschlossenen Munde wandern.

„Der da …“ wiederholte Walther, und der Ausdruck des Lachens verschwand gänzlich. Mit wachsendem Erstaunen stierte er den Burschen an. War es eine neckende Sinnestäuschung, oder hatte der Bengel da wirklich solche auffallende Aehnlichkeit mit dem Oberstlieutenant? Dasselbe rundliche, fröhlich gesunde Gesichtchen und die Spur des Husarenbärtchens, das sich über der Oberlippe keck zu kräuseln begann, dieselben runden, hellen, stets etwas verwunderten Augen.

Daneben hielt dessen Freund Mäpke und grinste ihn triumphirend an. In der Stellung eines Budenbesitzers hielt er, als wäre er es, der das außerordentliche Wunderding von einem noch völlig wilden und unbeleckten Baron in irgend einem amerikanischen Winkel aufgestöbert und nun zum Besten der hohen Civilisation zu produciren hätte. Man meinte, der Kerl müßte jeden Augenblick den Mund weiter aufreißen, um das verehrte Publikum zum Entrée aufzufordern: „Heran, meine Herrschaften – ein Baron, ein echter Baron, noch völlig ungezähmt!“




22.0 Nur keine Bildung.

Hauptmann Trutz von Gamlingen (Berlin) an Lieutenant Mühüller
 (Wesel a. R. – Citadelle).

 „Mein lieber Mühüller!

Zu unserer großen Freude erfahren wir aus Ihrem letzten Brief, daß Sie frischauf sind und daß es Ihnen so gut geht, wie es Ihnen unter solchen Umständen nur gehen kann. Gottlob, scheint Sie Ihr alter prächtiger Humor auch diesmal nicht zu verlassen. Es sind ja doch nun von dem ‚Bade-Urlaub mit Kettengerassel‘, der Ihnen von Staatswegen spendirt wird, wie Sie es nennen, bereits drei Wochen verflossen. Freilich wäre es nun an uns, Ihnen durch hübsche, unterhaltende Briefe das Einerlei von „Kasemattenheim“ zu beleben – ach, mein guter Mühüller, der Humor ist mir selber diesmal ausgegangen, und wir sitzen auf dem Trockenen.

Also der Fall ist der. Denken Sie, es ist ein Gamlingen vom blauen Himmel heruntergefallen, ein unzweifelhaft echter mit Papieren. Echt sogar bis auf das Gesicht unseres braven Oberstlieutenants; ein Enkel des lieben alten Herrn. Ich erzählte Ihnen einmal etwas von einem verlorenen Sohn, den das Leben tüchtig herumgeworfen und der Jahre lang verschollen war, bis der polizeiliche Rapport eines Atlantic, der den, wie es scheint, Amerikamüden zurück in sein Vaterland bringen sollte, seinen Tod authentisch vermeldete. Es hatte Niemand eine Ahnung, daß er verheirathet gewesen und eigene Nachkommen hatte. Auch diese hielten sich im Verborgenen drüben in Amerika, bis nun der eine übers Wasser setzte, um seine ‚große Tour‘, freilich auf seine Art, zu machen.

Eine seltsame Verlegenheit! Sie kennen mich genug, um mir keine häßlichen Motive unterzuschieben. Nicht das Gefühl, daß wir uns mit dieser Adoption sträflich übereilt haben; nicht, daß mir der Name jetzt, wenn er mir formell auch kaum genommen wird, Rechtens nicht mehr zusteht; nicht, daß ich mich in dessen Besitz durch einen Anderen moralisch verdrängt fühle, nicht, daß mir die Existenz dieses Anderen ein steter Vorwurf ist, nicht, daß ich diese Existenz annullirt wünschte – Gott erhalte ihm sein junges Leben und mache ihn zu einem braven und tüchtigen Menschen! Wahrhaftig, ich bin jederzeit bereit, diesen Namen wieder hinzugeben. Er beginnt mir wirklich schwül zu werden. Alles das nicht – nur die Verlegenheit, was man mit dem Burschen beginnen soll.

Sie müssen wissen, er ist der amerikanischste Amerikaner, der sich ausdenken läßt. Er ist so gut wie wild, und fast könnte man ihn bei Castan ausstellen lassen. Er ist in den kalifornischen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_403.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)