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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Goldgräbereien aufgewachsen und hat sich dann in allen Winkeln der Vereinigten Staaten umhergetrieben. Er spricht das bunteste Kauderwälsch, und er flucht, daß der Tisch wackelt. Ich glaube, er kann weder lesen noch schreiben; wenigstens schützt er seine verwundete rechte Hand auch als Hinderniß für das Lesen vor. Er ist von der Bildung so unbeleckt, wie es Adam am Schöpfungsmorgen war. Vergegenwärtigen Sie sich die Situation: ich machte seine Bekanntschaft, als er eben auf einen Maurergesellen mit einem Bowiemesser losgegangen war und verwundet, von Schweiß und Ziegelstaub bedeckt, auf dem Heu lag. Der vom Himmel Gefallene ist Handlanger bei einem Bau, natürlich muß dieser Bau gerade der Schornstein sein, den mein Bruder Adolf in seiner Fabrik errichten läßt.

Weiß Gott, was ihn dazu getrieben, sein Amerikanerthum hier bei uns zu produciren! Jedenfalls nicht der Name. Er ist von derlei Thorheiten ganz frei. Er hat, wie auch sein Vater, seinen wahren Namen gekürzt und ist schlichtweg als Trutz herumgelaufen. Drüben in der demokratisch dünnen Luft wäre es auch bei dem Trutz geblieben – hier muß ihn doch wohl der Namensteufel etwas gezwickt haben, daß er mit dem Geheimniß seines volleren Namens herausrückte.

Da ist er also. Was soll man mit ihm anfangen? Ich will Ihnen offen berichten: in der ersten Verblüffung hatte ich nicht übel Lust, mit dem jungen Mann ein verständiges und energisches Wort unter vier Augen zu reden, ihm das Portemonnaie mit Geld zu stopfen und ein Billett nach Amerika zu kaufen, ehe die Anderen davon erführen und ehe er im Stande wäre, mit dem Namen ein Unheil anzurichten. Ich schäme mich dessen jetzt: es wäre grausam, brutal, geradezu verbrecherisch gewesen. Ich bin mir bei Uebernahme des Namens darüber klar geworden, daß es nicht genügt, das glänzende Ding wie eine Dekoration an die Brust zu stecken und damit als eitler Geck umherzulaufen, nein, daß nun die heilige Pflicht auf mir lastet, dies Erbe der Jahrhunderte zu hüten und vor jeglicher Art von Unglimpf zu schützen.

Nun, ich nehme die Angelegenheit zu tragisch. Was zu thun ist, liegt klar. Man wird ihn unter den Augen behalten müssen! Man muß diesen Wilden einfach civilisiren! Man muß ihn zur Erkenntniß dessen bringen, was er seiner Familie, um nicht zu sagen, seinem Namen schuldig ist. Ein hart Stück Arbeit; mit Gewalt ist da nichts zu erreichen, das habe ich schon gemerkt. Wir werden Geduld haben müssen.

Sie können sich denken, daß völlige Revolution bei uns ausgebrochen ist. Unser hübsches junges Glück – in das dieser Bengel so plump hereinpurzeln mußte! Meine ärmste Schwiegermutter! Anfangs wehrte sie sich mit Händen und Füßen gegen die Existenz des Amerikaners, zuletzt war doch seine leibliche und sehr effektvolle Gegenwart nicht mehr hinwegzuleugnen. Im Angesicht der Papiere, die ihn legitimirten, fiel sie in eine ganz reelle Ohnmacht. Mein Frauchen giebt sich krampfhaft Mühe, der Sache mit Humor gegenüberzutreten. Lolo Belzig amüsirt sich jedenfalls köstlich. Schwesterchen Olga war sofort mit sich darüber einig, daß sie hier mit voller Tanten-Autorität ihre resolute kleine Persönlichkeit einsetzen müsse. Ich bitte Sie, dieser hahnebüchene Neffe, der um einen Kopf sein niedliches Tantchen überragt!

Nun genug davon. Sie ahnen nicht, wie dieser – dieser – nun, er kann ja nichts dafür, im Grunde ist er ein guter Bursche! – von all unserem Denken und Thun Besitz ergriffen! Bleibem Sie frisch und fröhlich und gedenken zuweilen unser in dieser Schwulität. Meine Frau, meine Schwiegermutter, überhaupt die Damen lassen herzlich grüßen.

(Hier waren über den Zeilen zwei Worte eingeschaltet: ‚auch Olga‘ stand dort, aber scheinbar nicht von Gamlingen’s Hand, als wenn Jemand anders das zugefügt.)
 Stets in Treuen
 Ihr alter Kamerad
 Trutz.“


Lieutenant Mühüller an Hauptmann Trutz von Gamlingen.


 „Lieber Trutz!

Na aber so was! Na nun brat’ mir Einer einen Storch! Das ist meine Meinung von der Sache. Ich war ganz paff, als ich Ihren Brief las. Der reine Kolportageroman! Meine herzliche Kondolation! Pardon, er ist doch Ihr Neffe, und man muß die Verwandtschaften nehmen, wie sie fallen. Es ist schade, daß Mühüller nicht zur Stelle, und wenn es mir zum ersten Mal in meiner Verbrecherzelle zu eng wurde, so war es gestern und heute, seitdem ich von Ihrem amerikanischen Pech gehört. Na aber, den thäte ich auf den Schwung bringen! Ich kriegte ihn klein, ich kriegte ihn zahm wie ein Hühnerfrikassee! Pardon abermals, mein lieber Trutz, ich würde ihm den preußischen Pli beibringen, daß es nur so rauchte. So ein Jankedudel!

Na, nun wollen wir also überlegen, wie das Dings zu fingern. Sie meinen, man müßte ihn mit Handschuhen – jömich, o jömich, mir wurde bei der Stelle Ihres geschätzten Briefes ganz schlimm! Dies wäre das Richtige. Brevi manu und ohne Vorübung! Anders nicht! Zeigt er Renitenz – sofort kehrt, marsch zurück nach Amerika!

Na, nun wollen wir also überlegen. Sie wollen es mit der Bildung versuchen, wie ich Sie verstehe. Sie wissen, ich habe höllischen Respekt vor der Bildung. Je mehr ich jetzt als Staatsbummler in die Bildung hineingucke – und ich schmökere mir noch den Kopf lahm an all’ den Büchern – um so mehr werde ich von der Gefährlichkeit der Bildung überzeugt. Bildung wo sie hinpaßt, à la bonheur! Hier ist sie ein Unsinn, sie wäre ein Verbrechen. Bildung ist auch zu langsam. Sie schafft nicht, man kommt nicht vom Fleck. Er wird Sie auslachen mit Ihrer Bildung. Raison ist besser als Bildung. Und er braucht Raison, soviel ich natürlich von der Sache verstehe – schmeichle mir aber, einiges Kapé in solchen Dingen zu haben.

Und nun, mein lieber Trutz, giebt es noch einen tüchtigen Rungx (wie schreibt man das Dings doch?), daß Sie sich haben verblüffen lassen! Etwas Schwulität will ich Ihnen schon bewilligen, aber höchstens für einen Sechser. Wir kriegen es schon klar! Nur müssen Sie mich genauer orientiren. wie, wo, was, weßwegen, alle Generalfragen. Wegen des Namens reißen Sie sich doch nicht mehr wie ein Bein aus. Sie thun ja fast, als betrachten Sie sich für die Konduite aller verflossenen Gamlingen und aller, die noch vom Himmel regnen werden, verantwortlich. Nehmen Sie mir das nicht übel!

Nun muß ich schließen. Es bläst zur Arbeit. Nur noch vier Stunden Holz hacken. Ich hätte mir schon die Hände schwielig geschuftet, können Sie den Damen vermelden; unter uns, die Schwielen kommen von dem Dauerskat, den wir Verbrecher täglich herunterarbeiten, bis uns Punkt neun Uhr die große Lichtputzschere, die Hausordnung, das Licht vor der Nase abdreht.

Meine ergebensten Grüße an die Damen! Fräulein Schwester wünsche ich zudem noch glückliche Reise nach England.
 Ihr alter Mühüller,
 der ganz starr vor Staunen ist über diesen Kilometerbrief.

P. S. à propos, wissen Sie schon, daß ein gewisser Graf sich in Wiesbaden reich und glänzend mit einer holländischen Wittwe verlobt hat? Ich habe es von einem Kameraden, der ihn kennt und der in Wiesbaden ein paar Tage Vorkur kostete, ehe er sich den Kurgästen von Kasemattenheim anschloß. Ich wußte es, und Frau Schwiegermama hatte Recht: der Kopf ist ihm aus der Richtung gerutscht, als er die Pistole abdrücken wollte. Oder sollte ihm selbst der Schuß Pulver leidgethan haben?“




23.0 Dicks’ Debüt.

Das System Mühüller in allen Ehren – aber hier paßte es nicht. Dieser junge Wilde mußte auf besondere Weise angefaßt werden. Davon überzeugte sich Gamlingen schon in der ersten Woche, wo Jener noch, durch seine Armwunde geduckt, in scheuer Verwunderung das elegante Zimmer anstierte, in welches er sich vom Zimmerplatz weg versetzt sah. Freilich schlug die Vermietherin oft genug die Hände über dem Kopf zusammen, wenn der „Herr Baron“ ihr schönes Porcellan auf die Erde warf, mit den Stiefelhacken das Sofa maltraitirte und die Cigarre brennend auf die Tischdecke legte. Aber das war eine Kleinigkeit im Verhältniß zu den Gefühlen der Familie, die diesen amerikanischen Goldsohn nun den Ihrigen nennen sollte.

Gamlingen stand bald schon rathlos vor dem begonnenen Erziehungswerk: an der Dummdreistigkeit des Burschen scheiterte jeder Versuch, ihm zu imponiren; Dankbarkeit schien er nicht zu kennen; die geschenkten Cigarren nahm er kaltblütig hin und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_404.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)