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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Magdalena.
Von Arnold Kasten.
(Fortsetzung.)


Herr und Frau Baronin von Breda!“ meldete der Diener, und unmittelbar darauf erschienen die Beiden auf der Schwelle des Salons. Es war das Paar, welches überall zu finden ist, wo die „Gesellschaft“ sich versammelt: der Lebemann in sehr beschränkten Verhältnissen mit der eleganten Frau, welche ohne zahlreiche Diner- und Soupereinladungen im eigentlichen Sinne nicht leben könnten und deßhalb die Kunst, eingeladen zu werden, bis zur Virtuosität ausgebildet haben. Der Baron war von altem Adel und hatte außer den tadellosesten Formen eine sehr bedeutende Kenntniß von Allem, was in den vornehmen Kreisen vorging: lauter sehr werthvolle Eigenschaften in einem Salon neuesten Datums; er war sowohl beim Hausbau als auch bei der inneren Einrichtung der unentbehrliche Rathgeber gewesen; er hatte außerdem die ersten Schritte des reich gewordenen Industriellen in die Kreise der höheren Finanz und später sogar der Aristokratie geleitet, während seine Frau, die immer noch hübsche, gesellschaftlich sehr gewandte Baronin, bereitwilligst, so oft der verwittwete Konsul es bedurfte, in seinen Salons ihre banale Grazie entfaltete und die Honneurs machte. Es war ein Freundschaftsverhältniß, in dem beide Theile in ausgezeichneter Weise ihre Rechnung fanden.

„Felsing ist ein ungewöhnlicher Mensch,“ pflegte Frau von Breda jede etwas skeptische Bemerkung niederzuschlagen. „Diese feinen Aufmerksamkeiten, diese Zartheit der Empfindungen – ja, meine Liebe, es giebt Ausnahmen und unser Freund Felsing ist eine solche.“

Sie schwebte ihm jetzt lächelnd, beide Hände ausgestreckt, entgegen, während er, sich verbeugend, sagte. „Sehr erfreut, Frau Baronin, daß Sie es doch noch möglich gemacht haben, zu kommen!“

„Für Sie, lieber Konsul, thut man das Unmögliche. Ich hatte heute eine sehr heftige Migräne; zu keinem andern Menschen würde ich gegangen sein. Aber ich mußte Ihnen doch danken – nein, wie reizend war es wieder, meinen Wunsch so zu errathen! Sehen Sie einmal her, wie stehen mir die Spitzen? Ich habe sie noch schnell arrangiren lassen Ihnen zu Ehren!“

Und die Baronin entfaltete, sich halb zur Seite wendend, die reich garnirte, resedafarbige Schleppe.

„Ausgezeichnet!“ sagte Felsing mit einem flüchtigen Blick auf die elegante Gestalt. „Guten Abend, Breda!“ Er schüttelte dem Baron die Hand, und die Beiden standen bereits im Gespräch vertieft, als die Baronin mit der langsam prüfenden Umdrehung vor dem bis zum Boden reichenden Spiegel zu Ende war. Es blieb also noch Emil, der bisher zur Seite gestanden hatte und nun mit holdseligem Lächeln angeredet wurde. Allein dieser empfand innerlich eine unüberwindliche Abneigung gegen die intimen Freunde seines Vaters und gab nur kurze und zerstreute Antworten. Da klang aus dem Gespräche der Anderen herüber der Name Hochberg, und Emil begann scharf aufzumerken.

„Graf Erich hat verkaufen müssen?“ fragte eben Breda.

„Es scheint so,“ erwiederte Felsing.

„Und Sie wissen nicht, für wen der Agent es erworben hat?“

Ein kaum bemerkbares höhnisches Lächeln bewegte die Mundwinkel Felsing’s. Aber Breda hatte es doch bemerkt.

„Ah, eine Idee – am Ende Sie? Ja, ja, gewiß, Sie haben Eckartshausen gekauft! Charmant! Gratulire!“

Der Baron drückte dem schon wieder kalt, beinahe finster dreinschauenden Felsing trotz dessen Weigerung mit freundschaftlicher Theilnahme die Hand, und auch die entzückte Baronin flötete mit zärtlichem Ausdruck: „Aber liebster, bester Konsnl, das ist ja reizend! Warum sagten Sie uns das nicht früher? Wir besuchen Sie im Sommer dort; nicht wahr, Breda?“

Felsing schien von den Theilnahms- und Freudenbezeigungen des Paares nicht sonderlich erbaut zu sein; er erwiederte in kühlem Tone: „Wird mir eine Ehre sein. Aber ich bitte, behandeln Sie die Sache noch als Geheimniß, heute Abend noch; ich möchte nicht, daß der Graf es hier in meinem Hause erführe.“

„Aber warum nicht?“ eiferte die Baronin. „Was ist dabei? Es kann ihm doch nur angenehm sein, daß sein Gut in die Hände eines Gentleman wie Sie übergeht.“

Der Eintritt mehrerer Gäste, welche der Hausherr und sein Sohn begrüßen mußten, unterbrach das Gespräch.

„Es geht stark abwärts mit dem Grafen,“ sagte Breda leise zu seiner Frau. „Ich glaube, wir brauchen uns nicht weiter um diesen Umgang zu bemühen.“

„Das habe ich ohnedies längst satt,“ erwiederte sie spitz, „die hochmüthige Person wußte ja nie, ob sie mich kennen sollte oder nicht. Nun bin ich doch sehr begierig, was für ein Gesicht sie zu diesen Neuigkeiten macht!“

Durch die große Mittelthür traten jetzt rasch nach einander die Gäste ein. Beide Flügel wurden zurückgelehnt und ließen den Blick frei auf das mit blühenden Pflanzen reich dekorirte Entréezimmer, in dem immer neue Gruppen auftauchten. Bald drängten sich in bunter Menge die Uniformen und schwarzen Fräcke der Herren, die hellen, seideglänzenden und spitzenüberrieselten Damentoiletten. Ein guter Theil der hohen Finanz und Aristokratie war erschienen, auch ein Fürst Schmettingen und sogar Seine Excellenz der Kriegsminister krönten durch ihre Gegenwart die ehrgeizigen Wünsche des reichen Mannes, der sich nach allen Seiten verneigte, beflissene Höflichkeitsphrasen ausgab und ganz im Glück aufzugehen schien, eine so glänzende Gesellschaft in seinen Räumen zu versammeln.

Aber nebenbei strichen seine scharfen Augen unablässig nach der Thür hin, und jetzt, plötzlich, erblaßte er bis zu den Lippen herunter und verstummte mitten in dem Kompliment, welches er gerade an die alte redselige Gräfin Sternau richtete. Durch das Vorzimmer schritt ein stattlicher Mann, dessen schönes und freimüthiges Gesicht auf der hohen Gestalt einen äußerst angenehmen Eindruck machte; an seinem Arme hing eine elegante und graziöse Frauengestalt von noch sehr bemerkenswerther Schönheit, selbst im Kontrast mit dem blonden sechzehnjährigen Kind, der einzigen Tochter des Paares, die zur Linken des Papa schritt, hochaufgeschossen und schmal im weißen einfachen Kleid, aber sehr reizend durch den lichten Teint. die Fülle des hochaufgesteckten Haares, von dem sich einzelne Löckchen überall loskrausten, und durch den Blick ihrer hellen blauen Augen, die voll Vergnügen die erste „große Gesellschaft“ ihres Lebens musterten.

Die alte Gräfin Sternau schwatzte, nach ihrer Gewohnheit Deutsch, Französisch und Englisch durch einander werfend, weiter; Felsing hörte sie nicht, seine Augen hingen starr an der Gruppe, die nun auf der Saalschwelle erschien; seine blassen Lippen bebten und fast unhörbar entfloh ihnen ein gemurmelter Name: „Magdalene!“ … Die seltsame Anwandlung ging indessen rasch vorüber und blieb unbemerkt, weil der Eintritt der noch so jugendlich schönen Gräfin Hochberg und ihrer reizenden Tochter für einen Augenblick Aller Augen auf sich zog. Auch Emil, der sich, wie wartend. immer in der Nähe der Thür gehalten, trat rasch vor, die Ankommenden zu begrüßen. Seine Augen, die sonst etwas kühl zu blicken pflegten, glänzten lebhaft; im Uebrigen aber war seine Haltung eine so tadellose, daß die Gräfin sich in ihren Voraussetzungen über die unvermeidlichen Verstöße in einem solchen Hause angenehm enttäuscht sah und sofort ein lebhaftes Gespräch mit dem so auffallend gentil aussehenden jungen Mann anknüpfte. Und der Ton vollkommener, liebenswürdiger Natürlichkeit, welcher die feinste Kunst der Hochgestellten ist und eine so schmeichelhafte Gleichberechtigung einzuschließen scheint, er bezauberte den sonst gegen aristokratische Herablassung sehr mißtrauischen Emil auf die angenehmste Weise. Er bat, der Komtesse vorgestellt zu werden, und blickte während der ersten Worte, die sie frisch und lebhaft sprach, mit einer so unverhohlenen Bewunderung in ihr jugendfrohes Gesichtchen, daß die Gräfin ein leises Lächeln unterdrücken mußte. Auch versäumte er seine Pflichten als Sohn des Hauses, ließ ein Dutzend Gäste unbegrüßt eintreten und kehrte, nachdem er sich dieser Sünde bewußt geworden war und versucht hatte, sie zu sühnen, rasch wieder zu Komtesse Gabriele zurück, um sich an ihrem herzlichen Kinderlachen und ihren lustigen Einfällen zu erquicken. „Sollte man es für möglich halten,“ dachte er, „in diesen Kreisen einer so unverfälschten und unverzagten Natur zu begegnen? Sie ist köstlich, ein ganz entzückendes Geschöpfchen!“

Und wieder beugte er sich über ihre Stuhllehne herab und sah tief in die lachenden blauen Augen, die sich so lebhaft zu ihm emporwandten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_428.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)