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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Mittlerweile hatte sich Felsing energisch durch die Menge geschoben, um zu dem Grafen Hochberg zu gelangen.

„Es ist mir eine große Ehre, Herr Graf,“ sagte er, sich verbeugend, „um so mehr, als auch die Frau Gräfin und die Komtesse die Güte haben wollen, mein kleines Fest zu verherrlichen.“

„Aber, lieber Herr Konsul,“ unterbrach ihn der Graf, indem er ihm freundlich die Hand entgegenstreckte und die kurze, widerwillige Berührung derselben nicht zu bemerken schien, „Sie haben uns ja durch Ihre liebenswürdige Einladung eine große Freude bereitet. Breda wird mich hoffentlich bei Ihnen entschuldigt haben, daß ich nicht noch vorher meinen Besuch machte – ich bin gestern Abend erst von der Jagd heimgekommen. Aber was haben Sie für einen charmanten Sohn – er ist mir schon öfter bei unsern Morgenspazierritten im Park aufgefallen – ein vorzüglicher Reiter und scheint auch außerdem ein prächtiger junger Mann zu sein. Sie selbst reiten nicht, Herr Konsul?“

„Ich? Nein, ich habe niemals Zeit dazu gefunden,“ erwiederte Felsing, und ein eigenthümlich bitteres Lächeln flog dabei über seine Züge.

„Schade,“ meinte der Graf, „Sie haben ja die prächtigsten Pferde in Ihrem Stalle, besonders Ihre Fuchsstute ist ein brillantes Thier.“

Die beiden Herren bewegten sich langsam weiter, der Graf war jetzt, nachdem er sich von dem Hausherrn einigen Herren und Damen hatte vorstellen lassen, bei dem Fürsten Schmettingen angekommen, und ein längeres Gespräch, welches er mit diesem anknüpfte, gab Felsing die erwünschte Gelegenheit, ihn zu verlassen. Seine breite Brust hob sich, als ob er erleichtert aufathmete.

Mit gesteigertem Interesse schien er jetzt seinen Sohn zu beobachten, der noch immer in lebhaftem Gespräche mit der Gräfin und ihrer Tochter begriffen war.

„Und Sie wußten nicht,“ sagte eben die kleine Komtesse, deren lebhafte Augen in jener unverhüllten Freude glänzten, mit welcher nur die erste Jugend den geselligen Vergnügungen entgegengeht, „Sie wußten nicht, daß Doktor Reiter seit drei Monaten unser Erzieher ist?“

„Der Erzieher Deines Bruders, mein liebes Kind,“ verbesserte lächelnd die Gräfin.

„Richard Reiter seit drei Monaten hier? Mein liebster Universitätsfreund! Und hat mich noch nicht aufgesucht! Das ist mir doch ganz unbegreiflich!“ wiederholte Emil Felsing mehrmals im Tone größten Erstaunens.

„Er ist ein Stubenhocker, Ihr Herr Universitätsfreund,“ erwiederte Gabriele Hochberg. „Nicht einmal zu einem Spazierritt hat ihn Papa bringen können. War er immer so?“

Die kleine Gräfin hatte, wenn sie lebhaft sprach oder eine Frage stellte, eine reizende Art, ihren Kopf mit der lichten Haarkrone vorzuneigen und die Leute von unten mit einer gewissen unschuldigen Kühnheit anzublicken.

„O nein, Komtesse,“ erwiederte Emil, welchen die Frage amüsirte, heiter lachend, „im Gegentheil, er war ein flotter Student!“

„Also jetzt blasirt! Das sieht man auch!“

Damit wandte sich die kleine Gräfin, indem sie ihre Lippen etwas verächtlich aufwarf, kurz ab und eilte, da ihre Mutter inzwischen von dem Minister angesprochen worden war, auf ihren Vater zu.

Entzückt sah ihr Emil Felsing nach, und es dauerte auch nicht lange, so war er wieder an ihrer Seite, um ihr auf einem Tische im Hintergrunde des Salons die Bilder eines Albums zu zeigen und zu erläutern.

Ein Theil der Gäste hatte sich nach und nach in die Nebengemächer zerstreut und unterzog ihre Einrichtung der sorgfältigen Kritik, welche Jeder herausfordert, der es sich einfallen läßt, Geselligkeit im großen Stil bieten zu wollen. Und hier hatte man den doppelten Genuß, neben dem „Parvenü“ auch noch dem lieben Freund Breda Etwas am Zeuge zu flicken.

„Immer Renaissance,“ sagte ein dicker Gutsbesitzer, indem er sich mißbilligend in dem nächsten getäfelten Raum umsah, „es wird wahrhaftig nachgerade langweilig. Sitzt man auf so einem harten Sofa, so drückt Einem die geschnitzte Rücklehne das Muster in die Kopfhaut; steht man auf so reißt man einen Weihwasserkessel vom Schaft herunter oder spießt sich an den Hirschgeweihenden des Lüstres –“

„Und für ein paar anständige Bilder hat es, scheint’s, doch nicht mehr gelangt,“ bemerkte der Maler Teufenbach. „Was für elendes Zeug hängt da herum!“

„Die sind immer noch besser am Platz, als das wirkliche große Kunstwerk da drinnen in dem geschmacklosen gelben Salon,“ nahm ein Assessor das Wort, welcher als Kunstdilettant eines gewissen Ansehens genoß. „Sehen Sie doch nur den ‚gestürzten Phaëthon‘ an, der auf der Ausstellung vor zwei Jahren so wundervoll in der Mitte des großen belgischen Saales stand. Jetzt müßte er eigentlich noch einmal sterben aus Verzweiflung, daß er nirgends anders hingestürzt ist, als in dieses Möbelmagazin!“

„St! Der Konsul,“ flüsterte eine der Damen dem kecken Sprecher zu.

„Wir bewundern gerade Ihre reizende Einrichtung, Herr Konsul!“ rief dem Eintretenden das Fräulein von Lieven entgegen.

„Haben Sie das kleine Kabinet schon gesehen? Nein? Kommen Sie, ich will es Ihnen zeigen; das ist meine neueste Acquisition.“

Er öffnete eine mit kunstvoller Eisenarbeit beschlagene Thür, und die sämmtlichen bösen Zungen konnten ein: Ah! der Ueberraschung nicht unterdrücken beim Eintritt in den wunderbar ausgestatteten Raum, welcher der Phantasie eines großen Künstlers sein Dasein verdankte und genau nach seinen Angaben ausgeführt war. Orientalische Teppiche und Draperien bekleideten die Wände des kleinen Gemachs, eine farbenprächtige persische Decke breitete sich über den niederen Divan einer auf Stufen erhöhten Zimmerecke, welche halb von zartblauen Atlasvorhängen und großen Palmenwedeln verdeckt wurde. Kostbare Metall- und Glasgeräthe wirkten mit sanftem Leuchten in dem allgemeinen Farbenkoncert, ein phantastischer Lüstre aus buntem Glas goß sein Licht über den geschnitzten Tisch im Vordergrund und die darum her stehenden Stühle, das sorgsam ausgewählte Kleingeräth – hier war der Ort, wo auch verwöhnte Kenneraugen sich rückhaltlos dem Genuß des Schauens überlassen konnten. Ueber die Stufen des kleinen Erkers floß wie dichter Schnee silberglänzend ein riesenhaftes Eisbärenfell bis herunter vor die Füße der Beschauer.

„Wundervoll, ganz wundervoll!“ rief der mittlerweile nachgekommene Fürst Schmettingen. „Das ist ja ein beneidenswerther Besitz, lieber Konsul.“

„Für den, der ihn zu genießen versteht, Durchlaucht,“ erwiederte Felsing trocken. „Ich bin nicht dafür organisirt, aber ich unterstütze gern Kunstfleiß und Talent, indem ich Derartiges kaufe.“

„Wann werden endlich Diejenigen, die Millionen haben, sie zu genießen verstehen!“ flüsterte der Assessor wehmüthig Fräulein von Lieven ins Ohr.

Mittlerweile hatten sich im großen Salon einzelne Gruppen gebildet; der Hauptkreis aber versammelte sich um die Gräfin Hochberg, welche mit der Fürstin Schmettingen einen Divan einnahm und dort „Hof hielt“, wie die Baronin Breda im Vorübergehen ihrem Manne zuflüsterte. In der That waren alle Großwürdenträger der Gesellschaft dort in einem kleinen exklusiven Cirkel versammelt, Graf Hochberg an den Kamin gelehnt mit dem Kriegsminister, die übrigen Herren in lebhafter Unterhaltung um die Damen. Die Baronin Breda stand nicht weit davon, gleichfalls plaudernd, aber ihre Augen fixirten unablässig durch den Spiegel den Kreis am Kamin; sie klappte heftig ihren Fächer auf und zu und gab sich Mühe zu hören, was hinter ihr gesprochen wurde, während immer wieder ein malitiöses Lächeln ihr Gesicht überflog.

Quer über den Salon kam der alte Baron Karkow etwas schwerfällig auf die Gräfin zu und antwortete auf ihre freundliche Erkundigung nach seinem Befinden: „Taugt nichts mehr, die alte Maschine, abgenutzt, miserabel. Muß so bald wie möglich nach Karlsbad. Was thun Sie denn diesen Sommer, Gräfin?“

„Was wir jeden Sommer thun, wir gehen nach unserem Eckartshausen,“ erwiederte diese. Einen Augenblick später trat die Baronin Breda ebenfalls hinzu, und das Gespräch vom Landaufenthalt wurde allgemein. Endlich fragte man auch sie nach ihren Sommerplänen, und sie erwiederte mit sehr lauter Stimme, daß es alle Umstehenden hören mußten: „Wir gehen dieses Jahr nach Eckartshausen, es wird mir ein großes Vergnügen sein, dieses berühmte Schloß einmal kennen zu lernen, ich freue mich schon unendlich darauf.“

Das allgemeine Gespräch verstummte plötzlich; die Gräfin blickte im höchsten Erstaunen auf Frau von Breda, die jetzt unschuldig, als spräche sie nur mit ihrem Nachbar, hinzusetzte: „Der gute Konsul hat uns eingeladen!“

Aller Augen richteten sich auf den Grafen und die Gräfin. Der Erstere machte ein unbehagliches Gesicht; die Letztere aber,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_430.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)