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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

überhaupt zuerst auf einer Linie, die etwa von Holzminden herab bis nach Jena oder Rudolstadt führt. Auf dieser Linie geht deßhalb die Sonne total verfinstert auf. Da sich nun der Mond von Westen nach Osten um die Erde bewegt, so läuft auch der Mondschatten in dieser Richtung hin über die Erdoberfläche und bedeckt dabei einen langgestreckten Erdstrich, welcher jedoch nur etwa 22 Meilen Breite hat. Durch die auf S. 511 beigegebene Karte kann man sich über den Verlauf des Mondschattens und der Sonnenfinsterniß überhaupt orientiren. Der dunkler schraffirte Streifen giebt den Weg des Mondschattens an; die schräg etwas nach rechts von oben nach unten verlaufenden Linien lassen die mittlere Ortszeit erkennen, zu welcher der Moment der Totalität für die betreffenden Gegenden eintritt. Die dem Wege des Mondschattens parallel laufenden Linien deuten an, wie groß hier die größeste Phase der Finsterniß wird. Letztere wird bekanntlich in Zollen angegeben, von denen zwölf auf den Durchmesser der Sonne gehen. Zur besseren Anschaulichkeit sind auch noch fünf kleine landschaftliche Bilder mitgetheilt, welche die Finsterniß in verschiedenen Gegenden darstellen und dem Leser zugleich die verschiedenen Phasen der Erscheinung veranschaulichen sollen. Das erste Bild stellt uns den Sonnenaufgang bei Nordhausen vor und zeigt also die Sonne gänzlich verfinstert, umgeben vom Glanze der Corona, welche uns sogleich noch näher beschäftigen wird. Das zweite giebt die Größe und Lage der Sonnensichel im Momente des Aufgangs für Berlin. Die Sonne ist hier also um diese Zeit erst zum Theil verfinstert. Indem sie nun weiter emporsteigt, schiebt sich der Mond immer mehr vor die Sonne, um sie etwa eine Viertelstunde nach Aufgang gänzlich zu verfinstern. Das dritte Bild versetzt uns nach Köln gleichfalls im Momente des Sonnenaufgangs. Der Mond ist hier schon wieder im Davonziehen. Die Sonnensichel ist also nach oben ausgebogen und sieht vollkommen anders aus, als zur Zeit, da sie in Berlin aufgeht. Die beiden letzten Bilder endlich stellen den Moment der größesten Phase für zwei außerhalb des Mondschattenweges, nördlich und südlich von demselben gelegene Orte dar, nämlich für Kiel, wo die Finsterniß noch 11½ Zoll beträgt, und für Wien mit 11 Zoll in der entgegengesetzten Richtung. Der Leser wird sich aus diesen Darstellungen leicht ein Bild der Finsterniß´für seinen besonderen Standpunkt im Vornherein entwerfen können, um dadurch sogleich auf die Beobachtung genügend vorbereitet zu sein. Nöthigenfalls sollte man eine kleine Reise nicht scheuen, um einen möglichst günstig gelegenen Ort aufzusuchen. Es wird sich zweifellos der Mühe lohnen.

Die größte Phase der Sonnenfinsterniß in Kiel.

In je östlicheren Gegenden man den Mondschatten aufsucht, desto höher wird die Sonne bereits zur Zeit der Totalität über dem Horizonte stehen, desto sicherer wird man also sein, das Phänomen unbehindert von den Dünsten des Horizontes, die der Morgendämmerung selten fehlen, zu beobachten. Andererseits kann man indeß auch in den westlichen Gebieten des Mondschattens Seltsames genug sehen. Der gewaltige Schattenkegel, welcher hier zuerst mit lang gestrecktem Leibe die umschwingende Erdkugel trifft, kommt dort von der Höhe der Atmosphäre her zu uns herab; er berührt zuerst die Wolken über unseren Häuptern, ehe er uns trifft. Man wird ihn hier wie eine dunkle Kluft, die sich in weitem Bogen mit außerordentlicher Schnelligkeit auf uns herabstürzt, herannahen sehen. Kurz bevor er die Erde berührt, erscheinen dann jene seltsamen Schattenstreifen, welche man schon bei früheren Gelegenheiten wie geisterhafte, schnell vorüber züngelnde große Schlangen wahrnahm und über deren Ursprung man noch nicht vollkommen im Klaren ist. Die Richtung der Bewegung dieser schattenhaften Schlangen scheint mit der des jeweilig herrschenden Windes in Beziehung zu stehen. Sie rühren deßhalb höchst wahrscheinlich von jenen Wallungen her, welche für uns der Sonnenrand oft zeigt, wenn wir ihn durch eine ungleichmäßig erhitzte und bewegte Luft beobachten. Jedermann, der die Sonnenfinsterniß ansieht, kann hierüber, zum Beispiel an weißen Häuserwänden, interessante und dankenswerthe Beobachtungen sammeln, indem er sich die Bewegungsrichtung und Größe dieser Streifen merkt.

Die größte Phase der Sonnenfinsterniß in Wien.

Sobald die Sonne total verfinstert ist, verwandelt sich das ganze Bild der Landschaft; denn nun trifft gar kein direkter Sonnenstrahl mehr rings umher die Atmosphäre, und ihre heiter blaue Färbung verliert sich deßhalb ganz plötzlich. Der ganze Himmel färbt sich gewittergrau und wir sehen mit einem Male den Mond tiefschwarz an Stelle der Sonne stehen, umgeben von dem mysteriösen silbergrauen Glanze der „Corona“, jener weiten, räthselhaften Atmosphäre der Sonne, welche sich nur in diesen Momenten dem menschlichen Auge enthüllt.

In diesem Augenblicke beginnt deßhalb erst die geradezu fieberhafte Thätigkeit, welche während der kurzen Minuten der Totalität die Astronomen der nächsten Umgebung des Tagesgestirnes widmen müssen, um jenen Geheimnissen abermals einen Schritt näher zu kommen, welche sich hier, in gar seltsamem Widerspruche mit der gewöhnlichen Anschauung, wegen allzu starken Lichtes selbst vor unseren geschärftesten Blicken beharrlich verborgen zu halten wissen. Die veränderliche Gestalt, die Ausdehnung, die physische Beschaffenheit dieser „Corona“ können absolut nur während totaler Sonnenfinsternisse ergründet werden. Die Totalität dauert aber in den günstigsten Fällen nicht über acht Minuten an; im Falle der zu erwartenden aber währt dieselbe für uns nur höchstens (für die deutschen Orte in der Mitte des Schattenweges) zwei Minuten. Es ist ganz unmöglich, in dieser kurzen Zeit auch nur einen kleinen Theil der gestellten Aufgaben mit Ruhe zu erledigen, und gerade deßhalb ist die Mitwirkung des Publikums, wo sie überhaupt möglich ist, ungemein wünschenswerth.

Es sei aus diesem Grunde ganz besonders darauf hingewiesen, daß Zeichnungen der Form jener Corona, die bei jeder Sonnenfinsterniß sich gänzlich verschieden darstellt, auch von astronomischen Laien, welche eben nur ein geübtes Auge haben, stets als sehr erwünschte Beiträge aufgenommen sein werden. Arbeitstheilung wird dabei zweckmäßig sein, so daß mehrere Zeichner sich darüber einigen, welches Stück der Sonnenumgebung jeder aufnehmen soll.

Es kann auch von wissenschaftlichem Interesse werden, wenn farbengeübte Augen sich die Vertheilung der Dämmerungsnüancen während des Eintritts der Totalität merken. Die vielen Besucher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_510.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)