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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Magdalena.

Von Arnold Kasten.
(Fortsetzung.)
8.

Graf Hochberg blieb eine Zeit lang wie fest gebannt stehen; dann sank er in einen Lehnstuhl und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Als er sie wieder sinken ließ, hatten seine todesblassen Züge einen furchtbaren, beinahe irrsinnigen Ausdruck angenommen. Er starrte lange vor sich hin auf den Boden.

„Der gefälschte Wechsel,“ murmelte er, „ein häßliches Wort! Bin ich denn wirklich ein – Fälscher?!“ –

Plötzlich sprang er auf. „Der Niederträchtige!“ rief er in einem Anfalle zügelloser Wuth. „Warum ließ ich ihn fortgehen? Warum habe ich ihn nicht zu Boden geschlagen, zertreten? Mir diesen Schimpf, diese Schmach! – Wer ist dieser Mensch? Warum drängt er sich in mein Leben? Warum verfolgt er mich? Warum wirft er mir aus dem Hinterhalt die Schlinge um den Hals und zerrt mich zu sich heran? Will er mich vernichten?“

Graf Erich fiel wieder in das vorherige finstere Brüten zurück. Er kenne ihn schon seit seiner Jugend, hatte der Konsul gesagt, und dem Grafen war es jetzt plötzlich, als kenne er Felsing auch. Ja, einmal hatte es ihm geschienen, als ob er diese Stimme schon gehört hätte! In Ruitenheim, hatte Felsing gesagt, in Ruitenheim, wo er vor Jahren die Liaison mit der schönen Magdalena hatte!

Der Graf versank in ein langes, peinvolles Nachdenken, er fühlte immer deutlicher die Nähe eines Feindes, eines planmäßig und unerbittlich vorgehenden Feindes, gegen den aller Widerstand vergeblich war. Die Drohung mit dem Staatsanwalt ging ihm auch plötzlich in schreckensvoller Klarheit auf. Es war so augenscheinlich – Felsing wollte ihn vernichten, an Vermögen und Ehre; er hatte die ganze Sache mit dem schurkischen Treiber abgekartet. Allmächtiger Gott! Wegen Fälschung verhaftet, vor Gericht gestellt, verurtheilt, ins Zuchthaus – nein, nimmermehr, das nicht! Aber wo Hilfe finden und Rettung? Es gab keine mehr – außer Einer! Wie ein Blitz zuckte der Gedanke in dem gequälten Hirne auf. Ja, das war es – ein rasches Ende – und zwar jetzt gleich!

Der Graf hob entschlossen das Hanpt, trat an seinen Schreibtisch und öffnete das Fach, wo sein Revolver lag. Indem er ihn langsam herausnahm, sah er sich noch einmal in dem schönen Raum um, den die Sonnenstrahlen vergoldeten. Hier war er ein glücklicher Mann gewesen, beneidenswerth vor Tausenden, und nun stand der Tod neben ihm und wich nicht mehr, bis er ihn zu Boden geworfen hatte, regungslos ausgestreckt – nein, nicht daran wollte er denken, er mußte fest bleiben und das Nöthige noch ordnen.

Und wenn es dann aus war mit ihm, was dann? Würde mit ihm aus der Welt schwinden, was er gethan? War dann der Haß des Unerbittlichen gesättigt? Oder würde er ihn noch über das Grab hinaus verfolgen, ihn, seine Frau, die unschuldigen Kinder?!

Mit diesen Gedanken legte sich eine furchtbare Bangigkeit auf seine Brust.

Wenn er sich noch einmal, noch tiefer vor Felsing demüthigte, noch einmal zu ihm ginge, ihn anflehte? – Nein! Es würde ja doch nichts nützen, Felsing würde ihn wieder mit seinem eiskalten Hohne überschütten – nein, mochte kommen, was da wollte, das konnte er nicht mehr! Also sterben! Vielleicht daß, wenn er sich selbst dem Hasse Felsing’s zum Opfer gebracht, dieser wenigstens Frau und Kinder verschonte! Eine gerichtliche Klage konnte nach seinem Tode ohnedies nicht mehr angestrengt werden, wenn der Wechsel eingelöst wurde, und seiner Familie blieb so immerhin noch so viel, daß sie nicht in Noth gerathen konnte.

Nachdem der Graf seinen Entschluß gefaßt hatte, kam eine verhältnißmäßige Ruhe über ihn. Er begann die nöthigen Anordnungen niederzuschreiben, überhaupt noch ein wenig Ordnung zu schaffen. Es war halb vier Uhr. Er wußte, daß um vier Uhr seine Frau mit Gabriele von ihrer Spazierfahrt zurückkehrte. Bis dahin konnte Alles vorüber sein.

Er klingelte seinem Diener und sagte demselben, daß er zu arbeiten habe und ungestört sein wolle.

„Lassen Sie Niemanden eintreten,“ fügte er hinzu – „hören Sie. Niemanden! Und machen Sie ein kleines Feuer in dem Kamin! Ich finde, es ist etwas frostig hier. Ist Hans zu Hause?“ frug er sodann, während der Diener das bereits im Kamin geschichtete Holz in Brand setzte.

„Nein, Herr Graf! Er ging vor einer Viertelstunde mit dem Herrn Doktor aus.“

„Es ist gut. Sie können gehen.“

Aber der Diener, ein alter Mann mit weißen Haaren, zögerte.

„Gestatten mir der Herr Graf,“ begann er, an der Thür stehen bleibend, „Ihnen im Namen meiner kranken Tochter, die ich heute besuchte, aufs Herzlichste zu danken für die reichliche Unterstützung, welche Sie ihr zukommen ließen. Die Kinder sind nun in guter Pflege, und auch meiner Tochter geht es jetzt, wo die große Sorge von ihr genommen ist, besser. Sie ist wieder ganz heiter und glücklich und wünscht mit ihren Kindern dem Herrn Grafen Gottes reichen Segen, Gesundheit und ein langes Leben.“

Der Alte küßte dabei respektvoll des Grafen Hand.

„Das freut mich, lieber Friedrich,“ erwiederte lächelnd Graf Erich, „es freut mich sehr. Es ist gut jetzt, Friedrich, gehen Sie!“

Nachdem der Diener das Zimmer verlassen hatte, verriegelte Graf Erich beide Thüren, dann setzte er sich an den Schreibtisch, um einen Brief an seine Frau zu schreiben.

„Liebe Claire,“ begann er, aber schon nach diesen Worten stockte er. Ob er ihr Alles mittheilte? Nein, das ging nicht, sie sollte doch wenigstens noch die Möglichkeit haben, an seine Unschuld zu glauben – um ihrer selbst willen!

Er begann wieder zu schreiben:

„Meine Lage ist unhaltbar geworden, und ich sehe mich in der bitteren Nothwendigkeit, Euch zu verlassen. Laß nach meinem Tode durch Deinen Notar, den Justizrath, sofort das hiesige Anwesen und Hochberg verkaufen. Der Erlös wird hinreichen, nicht nur meine und Eugen’s Verbindlichkeiten zu decken, sondern auch Dir und den Kindern noch eine erträgliche Existenz zu bereiten. Konsul von Felsing ist im Besitze eines Wechsels, bei dessen Ausstellung mir in unbegreiflicher Uebereilung ein verhängnißvolles Versehen passirte. Diesen Wechsel einzulösen soll die erste Sorge des Justizraths sein. Es hängt viel davon ab. In allen unser Vermögen und den Verkauf der Güter betreffenden Angelegenheiten weiß der Justizrath Bescheid. Uebertrage ihm Alles!

Grüße die Kinder! Ich umarme sie und Dich, mein geliebtes Weib! Lebt wohl und verzeiht mir! Es muß sein! Dein Erich.“

Er faltete den Brief und adressirte ihn: „An meine Frau.“

„Ah, das wäre geschehen,“ sagte er mit einem Seufzer der Erleichterung. „Nun meine Papiere noch ordnen.“

Er schloß ein zweites Fach des Schreibtisches auf. Es war sein „geheimes“ Fach und enthielt alte Briefe und Erinnerungen, zum Theil aus seiner frühesten Jugend! Das Beste schien ihm, Alles zusammen zu verbrennen. Er mochte es nicht mehr ansehen, brauchte er doch kaltes Blut. Rasch nahm er eine große Anzahl von Briefen und verschiedenen Gegenständen. Haarlocken, Schleifen, vertrocknete Blumen, einen Fächer, einen Schlüssel aus dem Fach. Aber indem er sich anschickte, sie ins Feuer zu werfen, zögerte er doch.

„Zu was man das Alles aufbewahrt!“ murmelte er. „Man scheut sich, es wegzuwerfen, zu vernichten, und sieht es doch nur dann wieder, wenn man sich auf ewig davon trennen muß!“

Durch seine Finger glitt eine Anzahl von Frauenbriefen, die er einst in Paris während seines dortigen Aufenthalts als Attaché erhalten hatte. Dieser hier war von der Marquise Ernomville, ein gefährlicher Brief – der Marquis hatte Verdacht geschöpft, und wenig fehlte, so hätte er ihn der Zofe abgenommen! Zahlreiche Billets rührten von Fernande, der Schauspielerin am Gymnase, her; sie stand mit der Orthographie auf sehr gespanntem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_527.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)