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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

g’wesen is – über den Bygotter! Du – der hat sich fein verändert! Den hätt’ ich nimmer ’kennt! Und was der für Sachen treibt! Weißt – wie wir a Zeit lang so dag’standen sind, da is er auf amal unter d’ Hausthür ’raus ’kommen, sein Deandl an der Hand. Und da hat er a völlige Ansprach’ an d’ Leut’ g’halten, daß g’meint hast, Du hast an Vater Kapazinner im Bauernfrack vor Dir. Weißt, vom Joseph in Aegypten hat er ’was g’sagt, als wie wenn er der Joseph wär’ und kämet jetzt heim zu seine Brüder, damit er ihnen ihre Sünden vorhalten könnt’ – und g’rad ermahnt hat er d’ Leut’, sie sollten Buß’ thun und sollten sich aussöhnen mit ihrem himmlischen Vater. ‚Denn das Gericht ist na … he, das Gericht ist na … he, es schwebbet über Euch!‘ hat er allweil g’schrieen. No, jetzt da kannst Dir doch denken, wie d’ Leut’ g’lacht haben. Und die Burschen haben sich gleich an G’spaß aus der Sach’ g’macht und haben a Litanei ang’stimmt: ‚Heiliger Knotzensepp, bitt’ für uns! Heiliger Bygotter, erlöse uns!‘ Ja g’rad krumm werden hättst mögen vor Lachen. Dem Andern is nachher der Kampl g’schwollen, und g’rad d’rauf los g’schimpft hat er – der Moses hat net ärger schimpfen können, wie er vom Berg Sinai ’runterg’stiegen is und seine Juden ums goldene Kalb ’rum g’funden hat. Und in der ganzen Zeit hat er sein Deandl an der Hand bei ihm dort stehen g’habt. Völlig erbarmt hat Ein’ das Madl. Ganz kaasweiß is ’s g’wesen, hat ’zittert am ganzen Leib und g’rad ’neing’starrt hat’s allweil in Boden. Na, na, das sind Sachen! Da möcht’ man gleich lieber weinen, wenn’s net gar so zum lachen wär’!“ Brummend wandte er sich und schritt dem Stalle zu.

Unter unwilligem Schnuffeln schlenkerte Stoffel die Mützenquaste in den Nacken und schlorpte seinem Kameraden nach.

„Na, na, was sind jetzt das für G’schichten! Han, Kuni, was sagst denn Du zu so ’was?“ lachte der Pointner und stieß die Dirne mit dem Ellbogen an.

Kuni fuhr auf wie aus tiefen Gedanken. Sie schien von Martl’s Worten wenig gehört zu.haben. Eine Weile hatte sie den Götz mit forschenden Blicken betrachtet; dann waren ihre Augen auf Karli hinübergeglitten und an ihm haften geblieben. Und offen hatten ihre Mienen das Wohlgefallen verrathen, das sie an der strammen, schmucken Erscheinung des Burschen zu finden schien.

Karli merkte und ahnte nicht, welch einer eingehenden Betrachtung er unterzogen wurde. Während Martl’s Worten hatte er fast regungslos gestanden, eine leichte Blässe auf den Wangen, die Augen mit schwermüthigem Blick zur Erde gesenkt.

Was aber ihm entgangen war, das hatte Götz gewahrt. Und während mitfühlende Theilnahme aus seinen Augen sprach, wenn sie auf dem Burschen ruhten, war ein nicht sehr freundliches Empfinden aus ihnen zu lesen, wenn sie ihre scharfen, durchdringenden Blicke hinüberschossen nach der Stelle, an welcher der hübsche Gast des Pointner’s saß. Dazwischen warf er ab und zu auch einen Blick nach dem Himmel empor, den das dunkle Wettergewölk schon völlig überzogen hatte.

Jetzt fuhr um die Hausecke ein jäher Windstoß, der auf dem Tische das Linnen hoch aufblähte und Alles, womit der Tisch bestellt war, auf die Erde zu schleudern drohte.

Der Pointner und Kuni griffen mit beiden Händen zu; schon aber hatte Götz das Linnen erfaßt und niedergedrückt unter den gelassenen Worten: „Ho, hü, jetzt wird’s aber ernst, wie’s scheint!“ Und achtsam hob er den Tisch empor und trug ihn langsamen Ganges in das Haus.

„Sapra! Jetzt hätt’s aber bald klappern können!“ meinte der Pointner; dann wandte er sich lachenden Wortes an Karli: „Aber was is denn mit Dir? Weßwegen stehst denn gar so verdattert da? Geh’ weiter, rühr’ Dich, komm auch a Bißl ins Reden! Da schau her! Da hast a G’sellschaft, wie Dir a schönere net aussuchen kannst.“ Schmunzelnd griff er der Dirne unter das runde Kinn.

Kuni runzelte die Brauen und wehrte sich mit den Armen gegen die Freundlichkeit des Pointner’s.

„Geh’, Maderl, geh’, was hast denn –“ so wollte er gegen diese ihn verblüffende Abwehr Protest erheben, als auf der Straße ein johlender Lärm sich näherte. „Ja was is denn jetzt da schon wieder?“ frug der Pointner, erhob sich und trippelte in neugieriger Hast dem Zaune zu; kaum hatte er ihn erreicht, da rief er kichernd zu Karli zurück: „Jeh, Du, da komm’ her – – der Bygotter!“

Der Bursche zuckte leicht zusammen. Zögernd that er einige Schritte gegen den Zaun und blieb wieder stehen.

Kuni verwandte keinen Blick von ihm und in reger Spannung erweiterten sich ihre Augen.

Jetzt hörte man von der Straße her eine Stimme, die den Pointner grüßte.

„Grüß’ Gott, grüß’ Gott!“ rief der Bauer lachend entgegen und winkte mit der Hand einem etwa vierzigjährigen, in einen frischgewaschenen Leinwandanzug gekleideten Manne zu, der raschen Ganges draußen vorüberschritt. Es war der Lehrer des Dorfes. Erregung und Unmuth sprachen aus seinem dunkel gerötheten Gesichte. An seiner linken Seite ging eine hochgewachsene, hagere und dennoch breitschulterige, steife Mannsgestalt. Die Füße staken in hohen, fuchsigen Stiefeln; die eine Hand trug einen breitkrempigen Filzhut, die andere führte einen knorrigen Hakenstock. Die langen Flügel eines schwarzen, eng zugeknöpften Rockes flatterten im Winde, und über die Schultern wehten die Spitzen eines mächtigen Bartes, in dessen silbernes Grau vom Kinn weg zwei schmutzig gelbe Strähne sich mischten. Der Mund verschwand unter dem zottigen Schnurrbart. Eine schmale, scharfe Hakennase krümmte sich aus dem fahlen, steinernen Gesichte. Graue, starrblickende, rothumränderte Augen funkelten unter weißen buschigen Brauen, über denen sich eine hohe, knochige Stirne wölbte. Diese Stirn war kahl bis über den Scheitel hinaus; jedoch vom Hinterhaupte und von den Schläfen flatterte ein halb ergrautes Haar in dicken, zerzausten Büscheln.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Pointner dem Manne ins Gesicht und murmelte: „Der hat sich freilich verändert – o mein Gott! Der ganze Jeremias, wie er auf die Trümmer von Jerusalem hätt’ sitzen können.“

Nun lachte er über seinen eigenen Scherz und blinzelte nach dem Mädchen, das zur rechten Seite des Lehrers ging, mit gesenktem Köpfchen, mit blassem, verstörtem Gesichte, mit den zitternden Händen am Schürzenbande nestelnd.

So schritten die Drei an dem Bauer vorüber – und da richtete Sanni zögernd das Köpfchen auf, und ihre Blicke trafen sich mit Karli’s Augen. Hastig nickte er ihr unter herzlichem und doch auch wehmüthigem Lächeln einen Gruß zu. Sie winkte ihm einen traurig stillen Dank zurück und überflog dann mit scheuen, furchtsamen Blicken den Troß der schreienden Buben, die den Dreien ein unliebsames Geleite gaben und hinter denen noch eine lachende, plaudernde Schar von Burschen, Dirnen und alten Weibern sich nachdrängte.

Karli folgte dem Mädchen mit den Augen, bis er Kuni plötzlich mit halblauter Stimme dicht an seiner Seite sagen hörte: „Das is aber amal a liebs und a freundlichs Deanerl!“

Hastig schaute der Bursche auf, erröthete und wandte sich wortlos wieder ab. Auf Kuni’s schwellenden Lippen verstärkte sich das Lächeln, wieder maß sie die Gestalt des Burschen mit musternden Blicken, und in ihren Augen zuckte etwas auf wie trotziger Uebermuth. Dabei merkte sie nicht, daß ihr stilles Gebahren einen aufmerksamen Beobachter gefunden hatte – in Götz, welcher mit verschränkten Armen unter der Haustür lehnte.

Jetzt kam der Pointner kopfschüttelnd vom Zaune zurück und berichtete auf die Frage seines plötzlich gar neugierig gewordenen Gastes, was er über den Bygotter zu berichten wußte.

„A g’spaßiger Nam’ – Bygotter?“ meinte Kuni.

„Weißt, eigentlich heißt er Knotzensepp – ja – Josef Knotz. Aber als a Bursch is er amal im Algäu wo im Dienst g’standen und da hat er sich’s auf a Zeitlang so ang’wöhnt, daß er überall, wo unsereins ‚g’wiß is wahr‘ oder sonst ’was sagt, nix Anders g’sagt hat als wie: ‚By Gott, by Gott!‘ Und drum haben s’ ihn halt nachher den Bygotter g’heißen.“

Während dieser Erklärung des Pointner’s hatten zwei dralle, blonde Dirnen den Hof betreten. Mit stillem Gruße gingen sie vorüber und musterten die Fremde mit neugierigen Blicken. Als sie sich den Ställen näherten, schauten sie noch einmal zurück und stießen sich kichernd mit den Ellbogen an.

Kuni sah es, schoß den Dirnen einen zornigen Blick ihrer dunklen Augen nach und griff nach ihrem Bündel.

„Jetzt mein’ ich doch, es wär’ amal Zeit für mich. Bei dene zwei is ja wohl mein’ versprochene Wegweiserin dabei.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_582.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)