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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Geplauder fand, mehr als je vonnöthen war. Oft saß er, wenn der Pointner seinen von Ruh’ und Frieden ermüdeten Leib schon aufs Lager gestreckt hatte, noch stundenlang in der Stube mit Kuni beisammen, lauschte ihrem unermüdlichen Geplauder, schmunzelte zu ihren Anekdoten, und wenn gerade der Uebermuth sie packte, wie er das nannte, so ließ er es lachend sich gefallen, daß sie ihn mit der Lichtschere oder mit dem Messerhefte auf die Fingerknöchel schlug oder ihm mit beiden Händen in die Haare fuhr.

Manchmal, wenn sie sich besonders freundlich zu ihm erwies, stieg der Gedanke in ihm auf, Kuni zur Vertrauten seiner Herzenssorgen zu machen. Oft lag ihm das vertrauende Wort schon auf der Zunge, und dennoch wollte es ihm nicht über die Lippen. Er wußte selbst nicht, woran es lag, daß er das Wort nicht heraus zu bringen vermochte.

Eines Abends jedoch, als er wieder einmal von einem nutzlosen Gange nach dem Binderholze zurückkehrte, nahm er sich fest und heilig vor: „Heut’ red’ ich mit der Kuni! Sie muß mir was verrathen, wie ich’s anstellen soll.“

Er fand sie zu Hause in der Stube, sie saß am Tische, auf welchem ein thränendes Talglicht brannte, und putzte aus ihrem Schoße grüne Bohnen in eine Schüssel. Als er eintrat, erhob sie sich mit lächelndem Gruße, schüttete den Inhalt ihrer Schürze auf die Bank und zündete die Hängelampe an.

„Geh, setz’ Dich nieder, ich bring’ Dir gleich Dein Essen,“ sagte sie und huschte aus der Stube.

Karli setzte sich, stützte die Ellbogen auf den Tisch und starrte mit verdrießlichen Blicken in die leise singende Lampenflamme.

Kuni kehrte zurück und brachte einen dampfenden Suppenteller. Dabei schaute sie mit forschenden Blicken in das grämliche Gesicht des Burschen. „Was is denn? Was machst denn schon wieder für a Göschl?“ fragte sie und fuhr ihm mit der Hand über die gesträubten Haare. „Gelt, bist recht müd’?“

Er nickte nur und rührte unablässig mit dem Löffel in der Suppe. Dann fragte er zerstreut: „Wo is denn der Vater?“

„Zum Nachbar is er ’nüber auf an Sprung. Ja – und daß ich net vergiß – recht g’sorgt hat er sich wegen Deiner! Weißt, gegen Abend is a Schrift ’kommen, an Dein’ Adress’, und da hat er g’meint, es müßt’ was Amtliches sein. Ja, ich glaub’, da hat er s’ ’reing’legt –“ Sie ging auf einen kleinen Wandschrank zu und öffnete ihn. „Da – da hast es!“

Karli nahm das Schreiben, das sie ihm reichte, und las die Aufschrift. „Was kann denn jetzt das bedeuten? Es wird doch net“ – er stockte und erbrach das Siegel. Kaum hatte er zu lesen begonnen, als er mit stammelnden Worten auffuhr: „No also – da hab’ ich’s jetzt! Himmel Kreuz Saxen!“

Neugierig näherte sich Kuni. „Was is denn, han?“

„Was wird denn sein! Einrucken muß ich, zu die Manöver – und übermorgen in der Fruh soll ich mich schon beim Regiment stellen! Da soll so doch gleich –“. Aergerlich warf er das Schreiben auf den Tisch und kraute sich mit beiden Händen die Haare.

Mehr noch als er selbst war Kuni erschrocken. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren. Eine Weile stand sie schweigend, dann legte sie eine Hand auf seine Schulter und fragte: „Han, Karli – gehst ungern fort?“

„Na, so a Frag! Gern soll ich auch noch gehn!“ brummte er. „G’wiß wahr, ich bin mit Leib und Seel’ Soldat g’wesen und hab’ heutigen Tags noch grad so mein’ Freud’ und mein’ Lieb’ dazu. Aber – wenn’s nur net jetzt g’rad wär’ – g’rad jetzt!“

„Und – wie lang kann’s denn dauern?“

„No, unter vier Wochen wird’s allweil net abgehn.“

„Vier Wochen?“ flüsterte Kuni und starrte, die rothe Lippe benagend, vor sich nieder.

Karli aß ein paar Löffel Suppe und schob dann den Teller von sich. „Jetzt is mir schon der ganze Appetit vergangen!“

Mit der Zunge fing er die Schnurrbartspitzen zwischen die Zähne und schaute unter hochgezogenen Brauen hervor in die dünnen Dampfwölkchen, die sich aus dem Suppenteller kräuselten.

Kuni seufzte laut, rückte ihm den Teller wieder näher und redete ihm freundlich zu: „Geh’, Karli, schau, essen mußt ja doch a Bißl ’was. Jetzt wirst so wie so recht harte Tag’ kriegen!“

Sie verließ die Stube und kehrte mit einer Schüssel voll Rohrnudeln und einer irdenen Raine zurück, in welcher das Kraut noch schmorte. „So, geh’, laß Dir’s schmecken!“

Karli begann zu essen, als gäb’ es gegen solche Mahnung keine Widerrede; auch schien nach den ersten Bissen der Appetit wieder in ihm zu erwachen, so daß er drauf loslöffelte, als hätte er den ganzen Tag gehungert.

Kuni hatte sich ihm gegenüber an den Tisch gesetzt, die Arme über der Eichenplatte gekreuzt, und so schaute sie ihm schweigend zu, eine Weile mit den Augen jeden Bissen verfolgend, den er zum Munde führte.

Es mußten seltsame Gedanken sein, die in ihrem Kopfe durch einander schwirrten. Ihre frischen rothen Lippen waren wie schmollend aufgeworfen, und zwei kleine Furchen lagen zwischen ihren zusammengezogenen Brauen. Dabei verwandte sie keinen Blick mehr von dem Gesicht des Burschen, und mehr und mehr verschärfte sich der forschende, wägende Ausdruck in ihren Augen. Nun huschte es hell über ihre Wangen, wie der Abglanz eines innerlichen Lachens. Doch rasch verdüsterten sich wieder ihre Züge; unter den eingekniffenen Lidern schienen ihre Augen kleiner und kleiner zu werden, und die winzigen Fältchen an ihren Mundwinkeln, die sich wie Grübchen ansahen, wenn sie lachte, wurden länger und tiefer, ließen jählings ihr Gesicht um Jahre gealtert erscheinen und gaben ihm einen müden, verächtlichen Ausdruck. Ueber ihre Züge ging ein eigenartig zuckendes und zitterndes Spiel, beinahe regungslos aber waren die Augen, welche sie unablässig auf den Burschen geheftet hielt. Nun plötzlich huschte es wie Spott um ihren Mund; die Lippen kräuselten sich zu einem leisen Lächeln, und in ihren Augen blitzte ein funkelndes Etwas auf. Rasch erhob sie sich, stemmte die Faust auf die Tischplatte und nickte kurz vor sich hin, als wäre sie in einer wohlzuerwägenden Sache nach langer Ueberlegung zu einem Entschlusse gelangt. Leichten Schrittes näherte sie sich dem dunklen Fenster, schaute lächelnd noch einmal auf Karli zurück und drückte nun, die Hände hinter dem Rücken faltend, die Stirn wider die Scheiben.

Während all dieser stummen Minuten hatte Karli für nichts Anderes Sinn und Auge gehabt, als für Teller und Schüssel. Er hatte eine Nudel um die andere verschwinden lassen, die Raine fast bis auf den Boden geleert und dazu hatte er unablässig ein Gesicht geschnitten, wie wenn ihm jeder Bissen und überhaupt alles, alles „aber schon so viel z’wider“ wäre.

Mit keinem Blick hatte er auf das Gebahren der Dirne geachtet, und er wurde auf sie erst wieder aufmerksam, als sie sich vom Fenster zurückstieß und ihm zurief: „Jetzt kommt er, Dein Vater!“

(Fortsetzung folgt.)




Im Kampf mit den Wildbächen.

Von Heinrich Noé.

Das war ein wässeriger Herbst, der von 1882! Alle Ueberlieferungen von der regelmäßigen Schönheit dieser Jahreszeit schienen, wenigstens am Südabhang der Centralalpen, über den Haufen geworfen, wenn man nicht vielleicht ein unablässiges Regnen auch als ständige Witterung gelten lassen will. Die Wettergelehrten, welche sich eben so wenig die außerordentliche Hitze wie die ungewöhnliche Kälte des einen oder des anderen Jahrganges zu erklären wissen, stehen nicht minder rathlos vor einer derartigen Erscheinung. Man hat an alle möglichen Ursachen gedacht, auch kosmische Einwirkungen in Erwägung gezogen; aber kein Erklärer läßt die Weisheit des anderen gelten. Genug, nachdem im Pusterthale bis zum 12. September der betreffende Monat sieben Regentage gezählt hatte, öffneten sich an diesem Tage die Schleusen des Himmels und die Fluthen begannen ihr verheerendes Werk.

Die Eisenbahnreisenden konnten über allerlei Abenteuer berichten, aus den Tagen, in welchen dieses Werk begann, bis es schließlich mit jeglichem Verkehr zu Ende war. Mancher Bach, sonst ein klares, bescheidenes Rinnsal, war ein breiter, gelbschlammiger Breistrom geworden, der hier und dort über die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_602.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2023)