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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Erinnerungen an seine kurze Soldatenzeit in langer Reihe über die redseligen Lippen.

Lächelnd hörte Karli dem Vater zu; manchmal, wenn es der Alte gar zu bunt machte und in gar zu handgreiflichen Stücken aufschnitt, reizte der Bursche noch durch zweifelnde Einwürfe den Eifer und die Phantasie des Erzählers.

Als nun die Beiden gelegentlich in einen lautgeführten Disput über das Soldatenleben von einst und jetzt geriethen und Karli den Meinungen des Vaters, welcher natürlich die gute alte Zeit vertheidigte, mit schlagenden Gründen auf den Leib rückte, suchte der Pointner Hilfe bei Götz.

„Du, jetzt red’ Du auch amal was,“ schrie er ihn an, „hockst den ganzen Abend da, wie wenn Dir die Zung’ ang’wachsen wär’! Jetzt bezeugst mir’s, hab’ ich net Recht? Is ’s ehnder net besser und lustiger g’wesen? Jetzt red’ – Du bist ja auch Soldat g’wesen – vor a zwanz’g, fünfazwanz’g Jahr’! Han, bei was für ei’m Regiment bist denn gleich g’standen?“

„Beim achten,“ erwiederte Götz mit einer fast auffälligen Hast.

„No also, jetzt red’, ob’s Dir zur selbigen Zeit net auch besser ’taugt hat, als wie Dir’s heutigen Tags taugen möcht’?“

Das Gesicht des Knechts hatte steinerne Züge angenommen, und ein finsterer, beinahe scheuer Blick war in seinen Augen.

„Mein Gott, laß mir mein’ Ruh’! Auf was soll denn ich mich heut’ noch Alles b’sinnen? Mein Denken geht auf morgen und auf d’ Arbeit,“ erwiederte er mit einer Stimme, welche rauher und ernster klang als sonst. „Und im Uebrigen – wie könnt’ denn ich an Zeugen machen für so an Unterschied? Ich weiß wohl, wie ’s früher g’wesen is – hab’ aber kein’ Wissenschaft davon, wie ’s heutigen Tags zugeht bei der Militari.“

„Jesses na, Du Essighafen, Du alter,“ knurrte der Pointner. „Daß aus Dir gar nix zum ’rausbringen is! Das freut doch g’wiß an jeden Menschen, wann er von seiner g’wesenen Zeit verzählen kann! G’rad Du machst an Ausnahm’ und wenn man so amal a Wörtl erfahrt, nachher thust schon gleich, als ob mit G’walt was hergeben müßtest, was selber gern b’halten thätst.“

Der Pointner mußte in diesen Worten einen guten Witz vermuthet haben, denn er lachte aus vollem Halse. Auch Götz lächelte; aber dieses Lächeln sah sich ein wenig gezwungen an, und während er sich mit seiner Pfeife zu schaffen machte, athmete er tief auf; dadurch gewann es fast den Anschein, als wär’ es ihm recht willkommen gewesen, daß ihn das Lachen des Pointner’s jeder Antwort enthoben hatte. Als er nun wieder aufschaute, begegnete er einem neugierig forschenden Blick aus Kuni’s Augen – und da fuhr ihm eine jähe Röthe über die furchigen Backen.

Kuni zuckte mit den Mundwinkeln, schloß halb die Lider und beugte das Gesicht über die Näharbeit, mit welcher sie sich an des Pointner’s Seite zum Tische gesetzt hatte. Götz aber hielt nun unverwandt die Augen nach der Dirne gerichtet; es war etwas halb Furchtsames, halb Feindseliges in diesen seinen Blicken; allmählich aber nahmen sie einen seltsam verlorenen Ausdruck an; Götz mochte mit seinen Gedanken weiß Gott wo verweilen – gewiß nicht am Tische bei diesen drei Anderen, am allerwenigsten bei dem rastlosen Geplapper des Pointner’s.

Der hatte längst wieder den Faden gefunden, schwatzte unermüdlich weiter, und je länger er sich reden hörte, je eifriger er dem von Kuni immer neu gefüllten Glase zusprach, desto rosiger ließ sich seine Stimmung an. Und als er sich wieder einmal über einen seiner vermeintlichen Witze zu Thränen gelacht hatte, klatschte er, im Lehnstuhl sich dehnend, die Hände in einander und kreischte:

„Was? Geht’s bei uns net g’rad lustig zu? A schöners Leben kann’s ja gar nimmer geben als wie im Pointnerhof, und da soll mir noch amal Einer sagen, daß bei uns der Unfried’ daheim is! Was?“

Dabei stemmte er die Fäuste über die Stuhllehne, blies die Backen auf und rollte herausfordernd die vom allzu reichlichen Genuß des Weines aufquellenden Augen.

Kuni lachte trocken auf, zog die Unterlippe zwischen die Zähne und beugte sich tiefer über ihre nicht allzu emsige Nadel.

Auch Karli lachte.

„Ah was, was redst denn jetzt da daher!“ meinte er. „So was sagt ja kein Mensch net! Ich wüßt’ auch net –“ Da unterbrach er sich und schaute mit verwunderten Augen zu Götz empor, der sich vom Tisch erhoben hatte. „Ja was is denn? Du wirst Dich doch net schon schlafen legen?“

„Was denn? Für mich is lang schon Zeit! Morgen fruh muß ich bei Zeiten ’naus ins Holzerfeld – und da geh’ ich nachher gern a Bißl ehnder fort, daß ich wieder daheim bin, ehvor Dich auf d’ Reis’ machst. Und drum gut’ Nacht mit einander.“

Bei diesen Worten hatte er schon den Hut aus der Fensternische genommen und war auf die Thür zugegangen.

„Aber geh’ weiter, so bleib doch noch a Bißl sitzen,“ grollte Karli; doch kamen seine Worte schon zu spät. Hinter Götz hatte sich bereits die Thür geschlossen.

„Aber so laß ihn doch, wenn er net bleiben mag, der Leimlippl, der langweilige,“ wehrte der Pointner, während Kuni sich aufrichtete, als fühlte sie sich plötzlich von einem unbehaglichen Druck befreit.

Karli furchte die Stirn und drehte das Schnurrbärtchen.

„Jetzt geh’, Vater, schimpfen mußt fein auf ’n Götz dengerst net! Ich mein’, er plagt sich g’nug für uns – und da kann man sich sein Bißl Eigenheit schon g’fallen lassen.“

„No ja, is ja recht! Aber deßwegen muß man ihn net merken lassen, als ob man ohne ihn gar net b’stehen könnt’. Meinetwegen soll er sich schlafen legen, wann er mag! Wir Drei mit einander sind auch g’rad g’nug zum Lustigsein! Gelt, Kunerl – ja? Und jetzt g’rad mit Fleiß – jetzt g’rad freut’s mich recht – jetzt bin ich g’rad recht lustig!“

Kuni schien die Worte des Bauern überhört zu haben. Mit nachdenklichen Blicken hing sie an der geschlossenen Thür. Nun wandte sie hastig das Gesicht gegen Karli; aber die Frage, die ihr auf der Zunge liegen mochte, kam nicht über die Lippen; schweigend zog sie, den hübschen Kopf in den Nacken duckend, die Schultern in die Höhe und beugte sich wieder tiefathmend über ihre Arbeit.

Der Pointner stellte eben das geleerte Weinglas auf den Tisch und fuhr nun mit beiden Händen auf Kuni los.

„Jetzt hör’ amal auf mit Deiner ewigen Stichlerei, jetzt hab’ ich’s g’nug.“

„Aber geh’, Bauer,“ lachte Kuni, deren nachdenkliche Stimmung jählings verflogen schien. „Du hast mich doch net in Dienst g’nommen zum Muckenfangen!“

„Nix da! Jetzt wird aufg’hört! Jetzt heißt’s lustig sein! Weiter amal mit Dei’m G’lump.“

Dabei hatte der Pointner mit der einen Hand Kuni’s Arm ergriffen und suchte ihr mit der andern die Näharbeit zu entreißen.

Kuni aber wußte sich ihm unter lachenden Worten zu entwinden, und um dem Armbereich des Alten zu entkommen, rückte sie dicht an Karli’s Seite, welcher dem Vater gegenüber Kuni’s Partei mit den Worten ergriff: „Aber so laß doch ’s Deandl nähen, wenn’s amal nähen will!“

„Ahan, natürlich, da hat man’s wieder amal!“ kreischte der Pointner. „Das is doch g’wiß, daß die Jungen allweil z’sammhelfen gegen ein’ Jeden, der in die verstandsamen Jahr’ is! Aber vor der Hand bin ich noch der Herr im Haus. Und drum sag’ ich Dir’s, Kuni – jetzt thust, was ich haben will – und Dein’ Arbeit legst mir weg – und da setzt Dich her an mein’ Seiten und unterhaltst Dich mit mir, oder – oder –“ Schwerfällig erhob er sich und machte Miene, der Dirne in ihren Fluchtwinkel nachzurücken.

Da warf nun Kuni ihr Nähzeug in die Fensternische und lachte:

„Ja, ja – meinetwegen in Gottes Namen – gieb Dich nur z’frieden, ich thu’ Dir ja schon Dein’ Willen! Aber niedersetzen mußt Dich und mußt mir mein’ Ruh’ lassen!“

„No also, nachher is recht – und da ruckst jetzt her!“ Damit ließ sich der Pointner in seinen Lehnstuhl zurücksinken, und vor Freude darüber, daß er seinen „verstandsamen“ Willen durchgesetzt hatte, glänzten ihm die runden dunkelrothen Backen wie zwei große Granatkugeln. Er hub sein altes Kichern und Schwatzen an, leerte ein Gläschen ums andere, erzählte Schnurren über Schnurren und stritt sich über die Wahrheit seiner Geschichten bald mit Karli und bald mit Kuni, welche unermüdlich die Gläser füllte, wobei sie Karli’s Glas mit ganz besonderer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_616.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)