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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 42.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Lisa’s Tagebuch.

Erzählung von Klara Biller.
(Fortsetzung.)
Den 20.  

Ja – er kommt auf den Ball! Er hat es heut früh zu Onkel gesagt, der war ganz erstaunt. Wir haben nämlich eine Stunde zusammen im Atelier gesessen. Onkel wollte unsere Gruppe einmal vollständig haben. Es war kindisch, aber ich freute mich darauf. Ich hatte vor, ihn dabei zu fragen, ob die Kousine Bertha auf dem Ball sein würde. Aber wie wir so still neben einander saßen, er eine Hand auf meiner Schulter, war’s, als ob alle meine Gedanken auf einmal fortgeflogen wären. Ich dachte weder an ihn noch an mich; es war, als ob ich träumte. Ganz leise flatterte seine weiße Draperie um meine Schulter, denn es war ein heißer Tag und Onkel hatte die Zuglöcher oben geöffnet. Ein paarmal hörte ich Herrn Heinrich leise athmen. Sonst war Alles still. Onkel, wenn er eifrig malt, spricht kein Wort.

„Sind Sie denn noch nicht müde?“ frug mich einmal Herr Heinrich.

„Nein – gar nicht; ich könnte noch eine Stunde so still sitzen.“ Wie ich dabei aufblickte, war mir’s, als ob er mir durch die Augen in die Seele sehen könnte, und ich mußte sie sogleich niederschlagen.


Später. 

Ein junger Engländer, Mr. Bluebottle aus Manchester, besuchte uns heut Nachmittag. Er fuhr in einer Equipage vor und sah aus, als wäre er eben frisch aus der Wäsche gekommen und geplättet worden. Seine Manschettenknöpfe waren groß wie Untertassen, und er roch wie ein Apotheker.

„Das ist ein feiner junger Mann von sehr einnehmendem Wesen,“ sagte Tante.

„Ich wußte, daß er Dir gefallen würde; wenn Einer zweispännig vorfährt, gefällt er Dir immer.“

„Dummes Kind – als ob ich auf Reichthum etwas gäbe.“

Aber ich weiß, daß ich Recht habe; wenn Herr Heinrich reich wäre, da würde er ihr auch gefallen. So findet sie, daß er ein rauhes Wesen habe und einen Gelehrtendünkel, weil er aus Büchern allerlei gelernt.

Mr. Bluebottle, der hat doch sicher nichts Ordentliches gelernt; wie kann Einer mit solchen Manschettenknöpfen an etwas Ernstes denken!


Den 21. 

Sehr heißer Tag. Früh zwei Stunden in der Bildergalerie. Wenn wir in einen Saal traten, fragte Onkel immer:

„Nun – was gefällt Dir hier am besten, Elisabeth?“ und Tante sagte:

„Sich einmal, Elisabeth, da ist ein Bild, das mußt Du doch schön finden!“

Ueber die Brühl’sche Terrasse zurückgegangen. Wie wir ans Belvedere kommen, spricht Onkel: „Was meinst Du zu einer Schale Eis, Lisa?“

Da braucht man mich nicht lange zu nöthigen.

Aller Anfang ist schwer.0 Nach dem Oelgemälde von L. Bechi


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_689.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)